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So beginne ich, schuldlos und mitschuldig, wieder von neuem. — Auch ich begegnete Eva Loewenthal im Maimonides-Zentrum. Ich half ihr bei der Pflege des kleinen Wastl. Er war verwaist, nachdem er von Zimmer zu Zimmer gewandert war. Wastl war ein Kanarienvogel und ein so hervorragender Sanger, dass ihn niemand lange ertragen konnte. Frau Loewenthal zögerte nicht lange, den kleinen Waisenknaben bei sich aufzunehmen. Die beiden wurden ein Herz und eine Seele. Sie behandelte ihn wie eine kleine Persönlichkeit, einen lieben Freund, dabei vermenschlichte sie ihn überhaupt nicht. Sie waren ein ungleiches Paar, sie sprach schr leise und er sang schr laut. Ihre Gedichte erinnern mich an das Wesen von Blumen. An vielen Wundern gehen wir achtlos vorüber, weil sie uns selbstverständlich sind. Der Blick schweift über ein Gänseblümchen, es schillert nicht, es präsentiert sich nicht, es lebt, wächst und ist einfach da. Seinen „Namen“ erhält es von seinem Dasein, so ist es auch mit ihren Gedichten. Auch die Gedichte von Eva Loewenthal kommen aus ihrem Da-Sein. Man liest leicht darüber hinweg. Wüsste jeder Mensch seinen „Namen“, allein dadurch wäre die Welt gütiger. Die menschliche Kultur hebt immer etwas hervor, sie verleiht Macht, Menschen, Formen, Bildern, Ritualen, sie verleiht Worten Macht. Eva Loewenthal wusste, dass Worte erst leben, wenn man auf ihre Macht verzichtet. DIE FEUERKUGEL AM HIMMEL so leuchtend rot. Wer wollte vom Unauslöschbaren nicht Glut heimtragen, bevor es Abend wird... In diesem Sinne gestaltete sie auch die Lesungen im Maimonides-Zentrum. Sie nahm sich viel Zeit für die Auswahl der Gedichte, die sie vorlesen wollte und deren Reihenfolge sie im Gespräch mit mir immer wieder veränderte. Dann wurden Zeit und Ort der Lesung ausgesucht. Nur kein Aufschen, am besten ein Zeitpunkt nach einem jour fixe. Als Ort kam in Frage, wo man gerne verweilte. Sie selbst las die Gedichte nicht vor, aber sie übte mit mir. Wie immer scheute sie das Sprechen. Kein Pathos, das mochte sie überhaupt nicht. Beim Üben merkte ich erst, wie zerbrechlich diese Gebilde waren. Ich las sie buchstäblich in die allgemeine Unterhaltung hinein, denn ihr Auftreten war eben kein Auftritt. Sie verschaffte sich nicht durch Autorität Ruhe, sie kam und setzte sich zu den anderen. Die Ruhe stellte sich während des Lesens von selbst ein, jene, die zuhörten, waren betroffen. Es betraf sie ja auch wirklich, jeder und jede von ihnen hatte Verfolgung und Exil auf die eine oder andere Art selbst erlebt. Das allein erklärte aber noch nicht die Wirkung ihrer Gedichte. NUN WENDE DICH Den Brunnen lass) denn die Wasser des Abschieds sind brennend heiß. Und die Lieder, die dort gesungen wurden, zerrissen schon einst die Herzen der Sänger. Eva Loewenthal (1913 — 2002), Bibliothekarin und Dichterin, Matura mit Kindergartenausbildung, ein abgebrochenes Musikstudium, Exil in England. 1965 erschien der Band „Gedichte“ und 1983 „Rauchblumen blühen nicht“. Weitere Veröffentlichungen in dem 1994 erschienenen Buch von Brigitte Pixner, „Die Zeit hängt am Haken“, in der „Prosa-Anthologie des Österreichischen Schrifistellerverbandes, Gedanken Brücken“, 2000, und in „Verlassener Horizont. Österreichische Lyrik aus vier Jahrzehnten‘, 1980, sowie 1972 in „Wie weise muß man sein, um immer gut zu sein. Eine Anthologie österreichischer Frauenbyrik der Gegenwart.“ In den Periodika „Heimatland“, Jg. 29 und 31 erschienen Gedichte von ihr und in „Tür an Tür“, 1970;(4). Außerdem veröffentlichte sie in „Podium“, „Wortmühle‘, „Neue Zürcher Zeitung“, „Verlassener Horizont (DDR), in den „Wiener Kunstheften“ und „Wiener Bücherbriefe“; Sendungen in Rundfunk (Radio Wien und Burgenland) und Lesungen. 2001 erhielt sie das „Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien“. Die Gedichte „Der Wegweiser verwischt‘, „Während das Jahr zu Ende brennt“, „Die Feuerkugel am Himmel“, „Nun wende Dich“ sind dem Band „Rauchblumen blühen nicht“ (Wien 1983) entnommen. Das Gedicht „Im Sommer stand er steinern“ dem Band „MondSchneeSteine“ (2004). Edith Hueber, geb. 1958 in Vipiteno/Sterzing, Italien, frühes Klavierstudium, Matura an einer Lehrerbildungsanstalt, studierte in Wien Deutsche Philologie, Diplomarbeit zum Thema Exilliteratur, arbeitete als Beschäftigungstherapeutin im Maimonides Zentrum, unterrichtet im Bereich der Erwachsenenbildung und der Förderung für Kinder, lebt in Wien. Veröffentlichung: Beitrag zum Projekt von Lore Kuntner: Mut zur Hässlichkeit, Gespräche über Cora Pongracz. Felix de Mendelssohn, Marina Pongracz de Benavides, Ferdinand Schmatz, Karin Mack, Konrad Priessnitz, Edith Hueber, Rainer Strobl. 2012. Die im Text eingeflochtenen Interviews wurden im Frühjahr!Sommer 2014 gemacht. Dezember 2015 15