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Gerhard Baumgartner „Los eternos indocumentados“ Laudation für Erich Hackl Gehalten bei der Verleihung der "Willy und Helga Verkauf-Verlon‚Preise für österreichische antifaschistische Publizistik" 2014 und 2015 an Erich Hackl und Maja Haderlap, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), 1. Dezember 2015 Der Titel meiner Laudation stammt aus dem Lied "poema de amor", der inofhiziellen Nationalhymne EI Salvadors, aus der Feder des Dichters und Revolutionärs Roque Dalton, das mit den Worten endet: los eternos indocumentados, los hdcelotodo, los vendelotodo, los cömelotodo, los primeros en sacar el cuchillo, los tristes mds tristes del mundo, mis compatriotas, mis hermanos. Diese Zeilen Roque Daltons schweben wie ein inoffizielles Motto über dem Werk Erich Hackls, sie wirken wie eine fast programmatische Umschreibung jenes Personenkreises, dem Erich Hackl einen Großteil seines sich über drei Jahrzehnte hinziehenden Schaffens gewidmet hat: die ewig ohne Papiere sind, die jeden Dreck machen, jeden Dreck verkaufen, jeden Dreck fressen, die als erste das Messer ziehen, die Traurigsten aller Traurigen meine Landsleute, meine Brüder. Dass wir heute in Europa und im deutschen Sprachraum die Werke von lateinamerikanischen Dichtern und Schriftstellern wie Roque Dalton tiberhaupt kennen, verdanken wirzu einem Gutteil den unablässigen Bemühungen Erich Hackls als Übersetzer und Herausgeber. Ich erinnere mich noch gutan einen Band über das Leben der guatemaltekischen Indios mit dem Titel "Das Herz des Himmels" — einen Band, den mir Freunde aus der IGLA, der Informationsgruppe Lateinamerika, in den 1980er Jahren weiterreichten und in dem ich zum ersten Maldem Namen Erich Hackl begegnete. Dem folgte dann bald, 1985, die Anthologie: "Hier ist niemand gestorben. Nachgelassene Gedichte aus Lateinamerika", eine Anthologie ermordeter lateinamerikanischer Schriftsteller, in der sich uns "Dritte-Welt-Bewegten" erstmals auch ein neuer Kontinent erschloss, der Kontinent der lateinamerikanischen Literatur und gleichzeitig ein Kontinent linker, sozialistischer, außereuropäischer Literatur. Denn Erich Hackl sah sich -so sagte er einmal in einem Interview - eigentlich immer auch als Vermittler. Diesem Umstand verdanken wir, dass er neben seinen Büchern, Filmen und Hörspielen - immerhin 28 Büchern, die er geschrieben oder herausgegeben hat, vier Filmen und sechs Hörspielen —, dass er daneben auch noch Zeit fand, unzählige Gedichte und 16 Bücher zu übersetzen. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie das alles in ein Leben passt. Vor allem, wenn man bedenkt, wie zeitaufwendig Übersetzungen sind und wie wenig man damit verdient. Besonders literarische 16 _ZWISCHENWELT Übersetzungen sind immer auch — oder vielleicht sogar in erster Linie- ein Liebesdienst: am Autor, am Werk und an der Sprache. Und wie das bei Liebesdiensten so häufig der Fall ist, werden sie nicht gebührend geschätzt. Wie kein Zweiter muss der Übersetzer jedes Wort auf die Waagschale legen, abwägen, experimentieren und nach der besten adäquaten Ausdrucksform suchen. "Eine Übersetzung, die nicht besser ist als das Original, ist es nicht wert, gedruckt zu werden!", sagte mir einmal ein ungarischer Kollege. Undbei Erich Hacklbeschleicht unsimmer wieder das Gefühl, dass so manches Werk durch seine Übersetzungen noch gewonnen hat. Bis zu einem gewissen Grad lässt sich dieses Engagement als Kulturvermittler mit Erich Hackls angeborener Neugier erklären und mit der Tatsache, dass er es — wie er einmal formulierte — "als Gnade empfinde, andere Kulturen kennengelernt zu haben, auch emotional kennengelernt zu haben". Die zahlreichen Übersetzungen lateinamerikanischer Autoren aber sind sicher nicht nur seiner Liebe zu diesen Kulturen und zur spanischen Sprache geschuldet, sondern auch der Bewunderung und Verehrung, die er dem Werk und Wirken dieser Autoren entgegenbringt: dem indigenen maya-ki'che' Autor Humberto Ak'abal, dem bolivianisch-jüdischen Autor Memo Anjel, dem schon erwähnten - auftragische Weise von seinen eigenen Genossen exekutierten — salvadorianischen Dichter und Revolutionar Roque Dalton, dem kolumbianischen Schriftsteller Luis Fayad, dem uruguayischen Journalisten und Schriftsteller Eduardo Galeano, der links-feministischen guatemaltekischen Dichterin AnaMaria Rodas, dem Journalisten, Bühnenautor und Führungsmitglied der urugayischen Stadtguerrilla der Tupamaros Mauricio Rosencof, der fiir sein politisches Engagement zwölf Jahre im Gefängnis verbrachte und nicht zuletzt dem argentinischen Journalisten und Mitglied der revolutionären Bewegung der Montoneros, Rodolfo Walsh, den man ruhigen Gewissens als den Erfinder des Tatsachenromans bezeichnen kann. Rodolfo Walshs 1957 veröffentlichtes Buch "Operaciön Massacre" — natürlich auch von Erich Hackl übersetzt-gilt als das erste Werk dieser für das 20. Jahrhundert so wichtigen literarischen Gattung, die durch Truman Capotes "In Cold Blood" sich endgültig etablierte und die mit Bernt Engelmanns "Großes Bundesverdienstkreuz" Einzug in die deutschsprachige Gegenwartsliteratur hielt. Bei diesen Meistern hat Erich Hackl gelernt. Eigentlich sind-mit der Ausnahme des Kinderbuches "König Wamba" — alle Romane Erich Hackls Tatsachenromane, die auf wahren Gegebenheiten beruhen, die er minutiös und bis ins letzte Detail ausrecherchiert. Die zeitaufwändigen Recherchen für seine Bücher- und die dafür notwendigen Reisen — waren schließlich auch der Grund dafür, dass er, der einstige Lehrer, beschloss, sich nur noch dem Schreiben zu widmen und den Sprung in die ungesicherte Existenz des freien Schriftstellers zu wagen.