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Diese langwierigen und bisweilen lachhaft akribisch erscheinenden Recherchen bilden das feste Gerüst seiner faszinierenden Prosa. Um sich in eine Szene hineinversetzen zu können, ist es für den Leser eben nicht egal, ob er sich nur "eine Allee" vorstellen soll oder eine" Pappelallee" oder eine von Buchen oder Olivenbäumen überschattete Straße. Dieser weise Ratschlag stammt von Ernesto Cardenal, dem nicaraguanischen Dichter und Befreiungstheologen. Er hat ihn einst - als er bereits sandinistischer Kulturminister war — den Teilnehmern seiner von ihm ins Leben gerufenen Dichterschulen mitgegeben. Diese Hingabe an die Recherche führte und führt Erich Hackl aber auch immer wieder auf neue Spuren. So stieß er beispielsweise bei der Recherche über einen aus seiner Geburtsstadt Steyr stammenden Widerstandskämpfer auf die Geschichte eines Findelkindes aus der Nachbarschaft, eines Mädchens, das seinen Adoptiveltern weggenommen und als sogenanntes "Zigeunerkind" nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Das 1989 unter dem Titel "Abschied von Sidonie" erschienene Buch trug wesentlich zur Begründung von Erich Hackls Rufals engagierter, zeitgenössischer Schriftsteller bei. Den Stoff für seine Geschichten liefert ihm die Zeitgeschichte, das Korsett der Faktentreue lasse da nicht viel Raum für dichterisches "Erfinden" — oder wie er es einmal in einem Zeitungsinterview formulierte, ich zitiere: Nur da, wo es keine Fakten gibt, darf ich behutsam meine Fantasie einsetzen. Erfinden ist Freiheit, in meinem Fall aber auch Not. Umgekehrt stoße ich durch die Recherchen auf Dinge, die mir gar nicht einfallen würden. Weil sie so ungewöhnlich sind, unvorstellbar eigentlich. Und unvorstellbar sind sie meist fürwahr, die Lebensgeschichten seiner Protagonisten, bei denen oft ein zynisch gleichgültiges Schicksal Regie zu führen scheint — Geschichten, die wir mit umso größerer Faszination verfolgen, eben weil wir wissen, dass sie nicht von Erich Hackl frei erfunden sind. Als "ganz uneitel und bescheiden" hat ihn der Literaturkritiker des schweizerischen Rundfunks, Hans-Ulrich Probst, einmal charakterisiert, "als Chronisten und Zeugen", der - ich zitiere — "Geschichte in Geschichten verstehbar macht, Geschichten oft eigenwilliger und eigensinniger Menschen, die sich auf der Suche nach Freiheit und Gliick auch im Scheitern Wiirde und Werte bewahrt haben.” Wie zum Beispiel in seinem Roman "Hochzeit in Auschwitz", der das tragische Schicksal des Wiener Automechanikers, Kommunisten und Spanienkämpfers Rudi Friemel und seiner Frau Margarita vor uns ausbreitet, oder in der bewegenden Liebesgeschichte des Osterreichers Karl Sequens und der Spanischen Verkäuferin Herminia Roudiere aus Hackls Erzählung "Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick". In vielen seiner Texte macht Hackl sich zum Anwalt entrechteter Menschen. "Ich will, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt", hater einmal über seine Charaktere gesagt, "ich weiß, dass ich das Unrecht dadurch nicht wieder gutmachen kann, aber das ihnen angetane Unrecht soll zumindest nicht der Vergessenheit anheim fallen." Der bereits erwähnt Dichter Roque Dalton formulierte das einmal in einem Gedicht mit dem Titel "Warum wir schreiben", das auch Erich Hackl immer wieder gerne zitiert, folgendermaßen: Einer wird sterben, morgen, in einem Jahr, in einem Monat ohne entschlafene Blüten; unter der Erde verstreut wird er bleiben und es werden neue Menschen kommen, die Aussichten verlangen. Sie werden fragen, was wir waren, die wir ihnen mit reiner Flamme voran gegangen sind und deren Andenken man verflucht. Gut. Das machen wir: Wir bewahren für sie die Zeit, die uns gegeben ist. Schon sein erstes Buch galt dem Schicksal der guatemaltekischen Indios, als Übersetzer hater wesentlich dazu beigetragen, das indigene Dichter wie Humberto Ak'abal auch außerhalb Lateinamerikas bekannt wurden. Und er hat sich auch für die diskriminierten und im Verborgen lebenden Menschen in seiner Heimat stark gemacht. Wir hatten einen gemeinsamen Freund, den viel zu früh verstorbenen, tirolisch-jenischen Dichter, Eisenbahner, Gewerkschafter, Forscher und unermüdlichen Aktivisten Romedius Mungenast, der bei jedem Wien-Besuch, wenn erbeimir wohnte, immer begeistert von seinen Treffen mit Erich Hackl berichtete und dem Erich Hackl 2006 in einer Festschrift für Romed mit dem Titel "Tiroler Identitäten" auch einen Text gewidmet hat. Die Schicksale seiner eigenen Landsleute - und seiner Brüder und Schwestern im Geiste in der spanischsprachigen Welt — bilden einen zweiten Fixpunkt im Werk Erich Hackls. Diebeiden bereits erwähnten Protagonisten, Rudi Friemel und Karl Sequens, waren beide österreichische Spanienkämpfer, Freiwillige, die zwischen 1936 und 1939 auf Seiten der Spanischen Republik gegen die faschistischen Truppen General Francos kämpften. Den Spanienkämpfern unter seinen Landsleuten hat Erich Hackl ein Leben lang nachgespürt, hat die noch Lebenden aufgesucht, sie interviewt, ihre Erfahrungen und ihre Schicksale dokumentiert. Die Ergebnisse dieser Arbeit mündeten 2003 schließlich in dem gemeinsam mit Hans Landauer herausgegebenen "Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936-1939", das Namen und Daten vonrund 1.400 österreichischen Freiwilligen der sogenannten Interbrigaden enthält. Der 2014 verstorbene Hans Landauer war der jüngste Spanienkämpfer. Er hat nach seiner Pensionierung das Archiv der österreichischen Spanienkämpfer im DÖW aufgebaut und geleitet. Das Lexikon wurde 2008 von der Theodor Kramer Gesellschaft neu aufgelegt und gilt bis heute als europaweit einmaliges Standardwerk. Das österreichische Exil in Lateinamerika dient Erich Hackl aber auch als Anknüpfungspunkt für aktuelle politische Entwicklungen in Lateinamerika, wie etwa in seinen Arbeiten mitund über Alfredo Bauer, den österreichisch-argentinischen Arzt, Schriftsteller und marxistischen Theoretiker, der im Exil Zugang fand zu einem selten wertvollen Tagebuch der Revolution in Wien 1848. Oder mitdem ésterreichisch-uruguayischen Autor Fritz Kalmar, Theater- und Opernregisseur, ORF-Korrespondent und später österreichischer Honorarkonsul in Montevideo. Oder in seiner Erzählung " Alsob ein Engel", in der er das Schicksal der jungen Gisela Tenenbaum dokumentiert, einer Tochter der ésterreichisch-argentinischen Exilanten Willi Tenenbaum und Helga Markstein, die in den 1970er Jahren als Aktivistin der argentinischen "Monotoneros"-Guerilla ein Opfer der Militarjunta wird, als eine von 30.000 Verschwundenen. Ein Buch als Klage und Anklage zugleich. Dezember 2015 17