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die „zu Hause“ bleiben, finde ich häufig Figuren, die sich fremd, alleingelassen, zu wenig beachtet und vergessen fühlen. Unzugehörig ist mittlerweile cher ein edles Prädikat. Wer will, zumal in Deutschland und Österreich, noch „Heimat“? Heimat ist ja auch so ein Wort, das ohne nähere Erklärungen kaum mehr verwendbar ist (ich schreibe es inzwischen mit y und @). Vielleicht waren die Exilanten der 1930er und 40er Jahre, die in der englischen Provinz österreichische Volkslieder gesungen oder gar geschuhplattlert haben, die letzten Boten einer Zugehörigkeit. Als sie fichen mussten, gab es —- in München, Wien, Berlin und Paris — noch einen Echoraum für Menschen, die über Sprache, Wissen und Talent verfügten, sie hatten Grund zu der Annahme, dass es auf ihre Stimme ankommt, sie vermissten ihr Publikum, die Zeitschriften und Verlage, die für sie ein Zuhause gewesen waren und ihnen weit über ein Cliquenwesen hinaus Bedeutung gaben. Es sind, wie einer meiner „Lieblingslehrer“ (Siegfried Kracauer, auch er ein Rausgeschmissener) sagen würde, Begriffe, die zwar fortbestehen, sich aber mit neuem Inhalt gefüllt haben. Auch das Wort Schlepper gehört neu definiert. Lange Zeit habe ich, im Wissen um die aussichtslose Lage meines Großvaters, der mit einem für diese Flucht völlig ungeeigneten und überfüllten Schiffgeflohen (und dann doch umgekommen) ist, diesen Berufsstand verteidigt. Das Gewerbe war nicht so durchkapitalisiert wie heute. Ähnliches gilt für das Wort Korruption, dank der ein nicht ganz so fanatischer Nazi ein Auge zugedrückt und damit Leben gerettet hat. Und was kann Widerstand in unserer wohlgesättigten und durchliberalisierten Gesellschaft sein, in der jeder Protest und jede Abweichung sofort zu einer Mode wird? Wie ist das mit „übersetzen“ und „übertragen“? Kramer hat seine herrlichen Gedichte über eine Welt geschrieben, die es in Niederösterreich kaum mehr gibt, über Bauern und Dachdecker, Säuferinnen und Zellenbewohner... In der Ukraine, in Rumänien und weit Christoph Reinprecht Worte für Hazel Rosenstrauch Gesprochen bei der Veranstaltung zum Theodor Kramer Preis, ESRA, Wien, 10. September 2015 Am Samstag erhält Hazel Rosenstrauch in Niederhollabrunn, Geburtsort von Theodor Kramer, den diesjährigen Theodor Kramer Preis fiir Schreiben im Widerstand und im Exil, und dass mir heute die Ehre zuteil wird, Hazel Rosenstrauch und ihr publizistisches Werk, für das sie ausgezeichnet wurde, zu würdigen, ist eine große Freude und fußt naturgemäß auf jener Zeit, in der unsere Biographien sich kreuzten, 1989, das Jahr einer Zeitenwende, im Wiener Tagebuch, das wir damals redaktionell betreuten, gemeinsam mit anderen wie Leopold Spira und Toni Lehr, Gerda Freistadt oder Ruth Fischer, Erich Hackl und KarlMarkus Gauß oder Peter Rosner und Carl-Wilhelm Macke, um nur einige zu nennen, die gemeinsam hatten, „ungleichzeitig konservativ“ zu sein, „in ihrer Auffassung vom Wertvollen, resistent gegen Moden, altmodisch in der Ablehnung von Konsum und persönlichem Ehrgeiz“, wie Hazel Rosenstrauch „beim Sichten der Erbschaft“ notiert. im Südosten kann das noch nachempfunden werden, aber ist er dort lesbar? In die Liste für ein neu zu schreibendes Wörterbuch nehme ich auch die Wurzeln und die davon abgeleitete „Entwurzelung“ auf. Wenn ich Gelegenheit habe, antworte ich auf die Frage nach meinen „Wurzeln“ mit dem Satz: Ich komme aus der Emigration. Es irritiert die Erwartungen, und das ist gut so. Außerdem ist der Mensch ka Bam und kann sich — zum Glück — ohne Wurzeln und darum frei bewegen. Seit ich mit diesem Gedankenspiel begonnen habe, fallen mir ständig Worte, Begriffe und Konnotationen ein, die in der veränderten Landschaft noch nicht ihren angemessenen Platz haben. Um für diese Landschaften Namen, Töne und Farben zu finden, bräuchte es einen Theodor Kramer. Er konnte sowas. Dichten wie er kann ich nicht, aber dass ich einen Preis für Schreiben über Menschen in Exil und Widerstand bekomme, hat meine Lust, weiter Worte zu finden, neu belebt. Mal schauen, was daraus noch entsteht. Die Vorstellung, dass man mit — zumal differenzierten — Texten die Welt verbessern könnte, hat ja mittlerweile etwas Rührendes. Anerkennung, Resonanz, auch Zugehörigkeit bekommt man als Autorin heute kaum durch das Mitleben und Mitbeben eines Publikums, für das Literatur ein Grundnahrungsmittel war, das begierig aufgegriffen wurde. Man bekommt sie cher durch Preisverleihungen. Der Theodor Kramer Preis und eine Gesellschaft wie die nach diesem sinnenfreudigen Sänger benannte ist ein Reservat, ein geschützter Raum, in dem alte, vom Aussterben bedrohte Pflänzchen gehortet und gestreut werden. Solche Samenbanken sind wichtig, damit eines Tages daraus wieder Intellektuelle, Dichter und Individualisten wachsen, die Weltverbesserung und Poesie, Trinken, Träumen, Politik und Zärtlichkeit zusammenbringen. Beim Sichten der Erbschaft: Es ist jenes Buch, das aus Hazels Wiener Jahren heraus entstand (1992 im persona Verlag vorgelegt) und das dem Milieu einer „politischen Stammeskultur“ gewidmet ist, einem Milieu aus ehemaligen Kommunistinnen und Kommunisten rund um das Wiener Tagebuch, ein „untergehendes Schnörkel der Geschichte“ wie auch seine Protagonisten, wie Hazel formuliert, ein Milieu „spezifisch verknoteter Widersprüche“, zwischen „kommunistisch“ und „jüdisch“, „österreichisch“ und „weltbürgerlich“, „Wir und Über-Ich“, „Glauben und Wissen“, „gestaltend und scheiternd“, „dem Entweder-oder und dem Sowohl als auch“: Spannungen, denen sie auch später immer wieder nachspüren, nachschreiben wird, ohne sie je auflösen zu können, aber stets getragen von jenem Wort Ernst Fischers, das für das Wiener Tagebuch nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und seiner Exilierung aus der Partei bestimmend wurde: Wo einst der Mythos war, sitzt jetzt der Zweifel. „Nur keine Angst“. „Der Raum für Narren ist eng geworden.“ „Ich wehre mich gegen die Boxen, in die ich und ‚wir‘ immer ses gesteckt werden.“ Hazel nennt ihr Buch im Untertitel „Wiener Bilder für das Museum einer untergehenden Kultur“. Aber was $ Dezember 2015 23