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katholischen Fußballverein kickten, wie sie auch jugendbewegt Volkslieder singend über die Berge kraxelten. Mein Vater hätte sicher nichts dagegen, wenn ich seine These plagüere. Er hat den Ausdruck des homo austro-judaicus geprägt, für jene Zuwanderer aus der weiten österreichisch-ungarischen Monarchie, die aus Böhmen und Mähren, Galizien und dem Österreichisch-Schlesien nach Wien kamen und nach zwei Generationen, manchmal auch nur einer, die westlichen Sitten und Bräuche übernahmen. Erstaunlich viele wurden berühmte Schriftsteller, Künstler, Naturwissenschaftler und Ärzte. Viele von ihnen tragen heute zum Stolz dieses Landes und seiner Tourismusindustrie bei — Sigmund Freud, Arthur Schnitzler, Gustav Mahler, Joseph Roth... Als nach dem Ende der Sowjetunion Tausende Immigranten gen Westen zogen und sich auf ihr Judentum beriefen, gab es in den jüdischen Gemeinden heiße Diskussionen darüber, wie jüdisch diese neuen Juden denn wären. Viele hatten noch nie eine Synagoge von innen geschen, weil es die dort, wo sie gelebt hatten, nicht gab, geschweige denn, dass sie den Talmud kannten. Inzwischen höre ich alle Nas’ lang von deutschen Politikern, auch der Politikerin, wie glücklich man in Deutschland sei, dass im Land der Shoa wieder ein jüdisches Leben blühe. Ich denke da manchmal an Kunstblumen, die auf Styropor gezogen werden. Es ist ja nicht nur lobenswert, sondern auch nützlich für jene Länder, die um ihre Anerkennung unter den zivilisierten Völkern kämpfen mussten, dass sie Immigranten aus dem Osten aufgenommen haben, von denen keiner weiß, wie jüdisch und unjüdisch sie waren, als sie ihr Visum beantragten. Man könnte von einer Art Schubumkehr sprechen. Brachten Ende des 19. Jahrhunderts die osteuropäischen Zuwanderer ein Judentum mit, das eine Tradition stärkte, die deutsche Juden kaum mehr gekannt hatten, so sind es seit Ende des 20. Jahrhunderts „westliche“ Juden, die den Zuwanderern aus dem Osten in Kursen beibringen, was jüdisch ist. Inzwischen zieht es viele junge Menschen aus Israel nach Berlin (wo ich wohne), auch nach Wien und in Orte, die sie aus den Erzählungen der Großeltern kennen. Sie sind definitiv Israelis, Zuwanderer aus dem „jüdischen Staat“. Und sie erzählen, dass sie erst hier, in Deutschland und wahrscheinlich auch Österreich sich mit Judentum beschäftigen, was sie zuvor wenig interessiert hat. Nicht zuletzt, weil es hier Festivals und Stipendien, eine blühende oder zum Blühen animierte jüdische Kultur gibt. Dazu kommen die Konvertiten (und es ist wahrlich nicht einfach, zum Judentum zu konvertieren!), und manche jüdische Gemeinde könnte ohne sie nicht überleben. Man findet unter ihnen gelegentlich auch Kinder oder Enkel von hohen Nazis. Wie das bei Konvertiten eben so ist, befolgen sie die Regeln genau, halten die Feiertage ein und wissen besser als geborene Juden wie ich, was jüdisch ist. Konvertiten sind bekanntlich keine Ketzer, sie hadern nicht mit ihrem Judentum — und das ist auch unjüdisch. Vor 1933 gab es Hunderte Arten jüdisch zu sein oder eben nicht zu sein, man konnte auch beschnitten sein und ein Leben als Agnostiker, Christ oder auch Buddhist leben. Erst Hitler, Goebbels, Kaltenbrunner, Eichmann und all die großen und kleinen Profiteure, die sich der Nazi-Ideologie bedienten, haben uns alle „wieder“ zu Juden gemacht. Nach dem Ende des Kriegs gab es nur wenige Juden im einstigen Tausendjährigen Reich, schr wenige, die zurückgekommen sind und einige DPs, die es in die Camps for displaced persons oder sonstwie in das ungeliebte Land verschlagen hatte. Sie blieben weitgehend unter sich. Dann aber, zumal nach 1990, wurden fast ausgestorbene Traditionen belebt — oder auch erfunden. Am Institut für Volkskunde habe ich gelernt, dass nach dem 2. Weltkrieg Schwaben aus dem Banat oder Flüchtlinge aus den Sudeten, Wenden und Balten bei den Forschern anfragten, welche Kleidung oder Lieder zu ihrer Geschichte gehörten. Traditionen mutieren nicht nur, ihre Erfindung wird immer dann wichtig, wenn Menschen durchgerüttelt werden und nicht mehr wissen, wer sie sind. Das gilt derzeit z.B. für junge Männer aus Neukölln oder den Pariser Banlieues, die den Koran für sich entdecken, oder Imame, die den Djihad zeitgerecht interpretieren. Wenn ich mich als „unjüdische Jüdin“ bezeichne, so mache ich etwas Ähnliches, wie Schwule oder auch „Neger“, die das Schimpfwort umdrehen, um ihm eine andere Bedeutung zu geben. Ich habe den Ausdruck zum ersten Mal von einer Freundin im Alter meiner Eltern gehört, die sich ihrer jüdischen Herkunft durchaus bewusst war, sie aber unwichtig fand. In dieser Reihe stehen all die unjüdischen Juden, die, sofern man an so etwas glaubt, ihrer „Abstammung“ nach jüdisch sind, aber wenig mit Religion zu tun haben: all die assimilierten — meist linken — Österreicher und Deutsche, Franzosen und Engländerinnen und über die Welt verteilten Abkömmlinge von mehr und weniger religiösen Juden, die ihr Judentum zwar nicht verleugnen, aber auch nicht pflegen und auch nicht katholisch oder sonst wie übergetreten sind. Sie wissen, woher sie kommen, aber sie wollen sich nicht durch diese Herkunft definieren. Es ist schwierig, über diese so verschiedenen Menschen zu reden, wenn man sie weder religiös noch rassisch definieren möchte. Was bleibt denn von ihrer Jüdischkeit? Die Hühnersuppe als wichtigstes Heilmittel für alle Leiden? Der blumige Name, der ständig Leute verleitet zu kommentieren „Ach was für ein schöner Name“. Woraufhin ich - nicht ständig, aber wenn es sich leicht ergibt, mich bemüßigt fühle zu sagen, es war nicht immer schön, so einen Namen zu haben. Und an den Reaktionen ablesen kann, wie gebildet und wie naiv die Verkäuferin oder Friseurin ist, die nach dem Namen gefragt hat. Oder das, was eine junge Kollegin „Schicksalsgemeinschaft“ nennt? Vor kurzem habe ich den neuesten Ausdruck für die „echten“ Juden von einem lustigen jungen Mann gelernt: Bio-Jude, aber das finde ich arg zynisch. Sie waren schon ziemlich unjüdisch, aber seit es Zentren für jüdische Studien, Verlage, Festivals und neue Definitionen für „jüdische Literatur“ gibt, ist es schwierig, unjüdisch zu sein (zumal mit so einem hübschen Namen wie meinem). Man stößt allerorten auf das Thema und wird, weil notgedrungen sensibel, auf die drumrumdrapierten Probleme gestoßen. Ich spreche immer wieder von Deutschland, wo ich mich besser auskenne, und weiß nicht, wie das in Linz ist. Vielleicht drehen sich meine unjüdischen Juden im Grabe um, wenn sie mitbekommen, wie ihre Jüdischkeit dreifach unterstrichen wird. Die sogenannte zweite Generation, also meine, war sich notgedrungen bewusst, dass ein Großteil der Verwandten ermordet worden war. Die nächste Generation will sich nicht über den Holocaust definieren. Kann man das Problem endlich abhaken? Ich habe es versucht, aber es gibt zu viele Gelegenheiten, bei denen die Vergangenheit und mit ihr auch die Erinnerung an Unterschiede zur Mehrheit (oder soll ich sagen: zu den „normalen“ Deutschen bzw. Österreichern) auftaucht. Bei den Tafeln vor meiner Haustür, die nicht mich, sondern unjüdische Deutsche erinnern sollen, wie Juden ausgegrenzt wurden, bei Parties, auf denen mir irgendwelche Leute erzählen, wie gut sie sich mit dem Dezember 2015 27