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wurden, hatten rund 50.000 Bolivianer und Bolivianerinnen ihr Leben verloren. Das Land musste 250.000 Quadratkilometer, rund 20 Prozent seiner Fläche, an Paraguay abtreten. Nach dem Krieg war es in Bolivien zu schweren politischen Auseinandersetzungen gekommen. Eine 1936 durch einen Staatsstreich an die Macht gekommene Militärregierung war Ausdruck der Unzufriedenheit. Präsident der Militärregierung war ab Juli 1937 der deutschstämmige Oberstleutnant Germdn Busch Becerra. (...) Buschs erklärtes Ziel war die Modernisierung des Landes, und von den europäischen ImmigrantInnen erwartete er offensichtlich Impulse in diese Richtung. Dass dazu ausdrücklich auch verfolgte Juden und Jüdinnen eingeladen wurden, ist Busch und seiner Regierung hoch anzurechnen. Immerhin entstammte jener Präsident Busch der deutschen Kolonie, die mehrheitlich mit dem Nationalsozialismus sympathisierte. Leo SPITZER scheeibt in seinem Buch: Around 150 to 200 prospective colonists (...) came to Bolivia as potential agricultural settlers, where they were assigned to one of two non-sectarian settlements being established at the end of 1936 — one on the Ichilo River, in Santa Cruz province, and the other, the Colonia Busch, in the Chaparé region in the vicinity of Cochabamba.‘ In Bolivien machte 1932 die agrarisch und mehrheitlich indigene Bevélkerung der Aymara und Quichua 54,5% der Gesellschaft aus, während 14,6% zur weißen Bevölkerung und 30,9% zu den Mestizen gerechnet wurden. Falls diese Informationen den potenziellen österreichischen Migranten zur Verfügung standen, werden sie sie nicht für das Land eingenommen haben. Die Situation war aber nicht so, dass ausreisewillige Juden sich hätten aussuchen können, wohin sie Hüchten können. Die einzige Alternative zu Bolivien war Shanghai. Im Vergleich zu anderen Exilländern war die Vergabe einer Einreiseerlaubnis an eine große Zahl von Flüchtlingen einmalig: Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hat kein Staat Amerikas so vielen jüdischen Emigranten das Leben gerettet. Ab 28. Mai 1938 gab es keine Restriktionen mehr, wenn die Immigranten bereit waren, in der Industrie oder der Landwirtschaft zu arbeiten und U$ 5000 besaßen. Bevorzugt wurden Ehepaare mit männlichem Nachwuchs [!] sowie Verwandte von schon Eingereisten. Fünf Monate vor dem Novemberpogrom wurde im „Decreto de Libre Inmigraciön del 9 de junio de 1938“ betont, dass Bolivien „offen für alle, die gesund im Körper und im Geiste sind“ sei und betont: ... dass alle von diesem Recht Gebrauch machen können, weil „in Bolivien dürfen wir nicht Komplizen des Hasses und der Verfolgungen werden (der) semitischen Elemente in europäischen Ländern“ Dennoch ging die Einreise der jüdischen Flüchtlinge seit 1938 mit einer von rassistischen Argumenten geprägten Verschärfung der Einwanderergesetze einher. Die Immigrationsbehörde wurde dem Außenministerium unterstellt, das am 24. Juni 1938 ein Rundschreiben an die Konsuln versandte, welches besagte, dass die Grenzen Boliviens allen Flüchtlingen offen stünden, allerdings mit Einschränkungen: dies gelte weder für schwarze Einwanderer noch für Einwanderer, die eine Gefahr für die Bewahrung und Verbesserung der bolivianischen Rasse („raza boliviana“) darstellten, womit wohl die Einwanderung jüdischer Flüchtlinge gemeint war.’ Georg Terramare hatte die Direktion des Stadttheaters Troppau übernommen und seine Frau Erna Terrel war in Prag. Nach dem Anschluss Österreichs wurde Erna Terrel zweimal wegen abfälliger Bemerkungen über Hitler in der deutschen Botschaft in 30 ZWISCHENWELT Prag verhört. Die Nazis stellten der populären Künstlerin eine glänzende Karriere bei Theater und Film in Aussicht, wenn sie sich von ihrem „jüdischen“ Mann scheiden ließe, doch sie lehnte ab. Uber Italien und Chile gelangten die beiden nach Bolivien?. Ludwig Popper und seine Frau mussten überlegen, wohin man ausreisen konnte. Sie dachten an die USA — das Traumziel aller Ausreisewilligen, das war allerdings ohne „afidavit“? nicht zu erreichen. Popper reiste in die Schweiz und versuchte es von dort aus. Ab Juni 1938 kämpfte er um eine Einreisemöglichkeit nach Bolivien. Erst im Juli 1939 gelang es, von La Rochelle aus mit dem Schiff nach Arica (Chile) zu reisen, wo die Poppers mit ihren zwei kleinen Buben am 10. August 1939 eintrafen. Fünf Tage später kamen sie in La Paz an. Ernst Otto Allerhands Schilderung ist so plastisch, dass ich sie ausschließlich mit seinen Worten wiedergeben möchte: Bolivien? Weil Bolivien, wie die meisten südamerikanischen Länder, korrupt war. Der Konsul in Paris hat hundert Dollar — was damals sehr viel Geld war — für ein Visum genommen, und so konnten wir das Leben retten. Von Hamburg aus sind wir mit der „Patria“, einem deutschen Schiff, nach Bolivien gefahren, mit zehn Mark in der Tasche. Von seiten der Besatzung wurden wir fabelhaft behandelt. Am 20. April, am sogenannten Führergeburtstag, wurde auf dem Schiff, auf dem all die Juden waren, ein Bankett gegeben. Wir kamen an in Arica, das war eine ganz schreckliche Sensation für uns. Arica war damals kein Hafen, das war überhaupt nichts. Das Schiff ist da draufen gestanden, kamen kleine Kähne, wir sind da draufgesprungen und sind rübergefahren. (...) Wir wollten dann mit einem Zug weiterfahren. (...) Also, wir werden erste Klasse fahren. Ich, ein junger Bub, bin als erster hineingelaufen in den Zug: Wie ein richtiger Stall, schmutzig, staubig— das kann höchstens dritte Klasse sein. Bin durchgelaufen, kam an eine Tür, riß sie auf: Da saßen Hunderte von Indios auf dem Boden, mit Fleischstiicken und einem Zwiebelgestank... das war die sogenannte zweite Klasse. Wir fuhren über 5000 Meter in der Nacht hinauf, sind fast erfroren — unwahrscheinlich, die Kälte auf diesem Paß. Den Leuten ist das Blut aus der Nase und den Ohren gekommen, nicht uns, aber es gab Menschen, die diese Höhe, diesen Druck nicht vertragen haben." Paul Simko hat seine Lebensgeschichte auf Englisch verfasst (er lebt heute in den USA) und erzählt von den Gedanken und Gesprächsthemen, die die Flüchtlinge auf der Reise hatten: We met several families aboard who also had Bolivia as their ultimate destination. I was surprised that most of them were toying with the idea of „getting lost“ at one of our many impending ports of call. To them, their Bolivian visas were only a means to get out of Germany then seek refuge somewhere along the way. I overheard horror stories about life in Bolivia, including one about living ,,among Indians“."' Fritz Kalmars Weg nach Bolivien Unmittelbar nach dem 9./10. November 1938 kam ein norwegischer Reeder in die Hausverwaltung Hönich. Er war über das Geschene entsetzt und fragte, ob er irgendwie helfen könne. Diese Gelegenheit ergriff Fritz Kalmar. Um das norwegische Schiff in England zu erreichen, musste er ein Visum für London bekommen, welches ihm die Engländer nur geben wollten, wenn er einen Heuervertrag vorlegen konnte. Also ging er zur norwegischen Botschaft in Wien und besorgte sich die notwendigen