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ich hatte angst, sie würden auch papa mitnehmen und ich müsste
weihnachten mit oma alleine verbringen. aber die männer kamen
nicht mehr.

nur hörte ich, seit mama weg war, im telefon ganz oft ein kli¬
cken. oma nahm mir sofort den hörer aus der hand und legte
auf, wenn ich nicu am telefon sagte, der sozialismus sei scheiße,
weil er mir meine mama weggenommen hat.

meine noten wurden schlechter. obwohl ich genauso viel wie früher
lernte. ich wollte, dass mama stolz auf mich war. doch irgendwie
konnte ich machen, was ich wollte, die frau lehrerin verlor ständig
meine schularbeiten und in meinem notenbuch verschwanden
die zehner. verwandelten sich auf einmal in vierer und dreier.

ich war nicht mehr der beste in der klasse und verstand es nicht.
ich weinte mich in den schlaf und lag neben papa. da, wo mama
sonst immer geschlafen hatte.

ich ging auf die deutsche schule, weil wir deutsche waren. nicu
hingegen war rumäne und ging in meine klasse, weil seine eltern
nach deutschland wollten. ständig warteten sie auf einen blauen
brief mit ihrem visum, der nie kam. nicu war noch nie in deutsch¬
land gewesen. ich schon oft. mit dem finger auf der landkarte.

oma erzählte mir viel von diesem deutschland. sie war schon
einmal wirklich dort gewesen.

das erste mal, als sie so alt war wie ich. nur damals bedeckte
deutschland beinahe den ganzen kontinent und hatte auch so
einen führer wie wir. der hatte sich jedoch selber erschossen.

großmutter ist zwei jahre nach dem krieg wieder zurückgekehrt.
nicht nach ungarn, zu dem unsere stadt damals gehörte, sondern
in die volksrepublik rumänien.

ganz groß wäre Republica Popularä Romänä auf ihrem pass von
damals gestanden, wenn sie einen gehabt hätte.

jetzt lebten wir in einer sozialistischen republik. auf meinem
pass stünde Republica Socialistä Romänia. und er hätte keinen
einzigen stempel drin.

ich war noch nie im ausland gewesen. im televizor sagte man,
das ausland sei voller imperialisten und kapitalisten. rumänien sei
ein land dazwischen, sagte frau winter, meine lehrerin.

ich musste sehr lange überlegen, was sie damit meinte, da um
uns herum nur sozialistische bruderländer waren. vielleicht meinte
sie mit kapitalisten ja die jugoslawen. die schienen ein bisschen
freier zu sein als wir.

mit mama sprach ich immer deutsch. auch mit oma sprach ich
deutsch.

ein altes deutsch, das von unseren vorfahren nach siebenbürgen
gebracht wurde. das sich dann mit dem jiddischen und dem
ungarischen verschmolzen in unser deutsch verwandelt hatte.

als ota, mein großvater, noch lebte, sprach ich mit ihm ru¬
mänisch. mit meinem papa ungarisch. aber alle waren wir im
grunde rumänen.

das machte die grenze, die uns vor dem ausland schützte und
uns zu rumänen machte. ich fühlte mich nie so rumänisch wie
mein pass, den es gar nicht gab. mama schimpfte immer darüber,
dass wir keine pässe hatten.

nur im spiel hatte ich einen. da durfte ich sogar das land verlas¬
sen. war oft in ungarn, jugoslawien, österreich und im schönen
deutschland. zumindest stellte ich es mir immer als sehr schön vor.
in österreich und deutschland spielte ich immer kapitalist.

warf papier durch die luft und stellte mir vor, es wäre geld. immer
wenn ich am glücklichsten war, kam nicu mit einem knüppel und
spielte imperialist. dann sperrte er mich im innenhof zwischen
den wohnblöcken in unser garagenhäuschen aus holz und sprach
ein fantasierussisch.

die garage wartete immer noch auf unser auto. als ich sechs jahre
alt war, hat papa seinen führerschein gemacht und wahrscheinlich
das fahren jetzt längst verlernt, weil man im sozialismus nicht
einfach so ein auto kaufen konnte.

dafür musste man warten. und papa wartete nun schon seit zwei
jahren. in der garage lagerten wir statt einem auto unser holz für
den kachelofen. und kiloweise kartoffeln.

ich war eigentlich ganz froh kein auto zu haben. dachte mir,
mit einem auto würden meine eltern das ganze holz und die
kartoffeln in meinem zimmer stapeln.

mein zimmer war eh schon so klein. und wurde noch kleiner,
wenn mama sich zu mir ins bett legte, weil papa schnarchte oder
nachdem sie laut gestritten hatten.

nur mama war laut. papa schrie nie. und oma sagte immer, das
sei auch gut so. und wenn die frau schreit, ist die beziehung in
ordnung. wenn der mann schreit, dann ist sie kaputt.

ohne mama im haus wurde es sehr leise. oma murmelte nur
jeden tag zehnmal ihren rosenkranz vor sich hin. jetzt schrie nur
noch papa.
ihre beziehung ist kaputt, dachte ich.

kurz nachdem der sozialismus mir meine mama genommen hatte,
musste ich in der schule ein dummes gedicht lernen. dumm dachte
ich, weil mama es bestimmt für dumm gehalten hätte. es ging so:

einst gabs im land zu wenig brot
und viele kinder litten not.

das elend ist nun längst vorbei.
das danken wir unserer partei.

ich weigerte mich es auswendig zu lernen. dachte an mama und
frau winter gab mir sowieso nur noch schlechte noten. hatte also
folglich nichts zu verlieren.

richtig stolz nahm ich also meine erste 1, die schlechteste note,
entgegen und fühlte mich revolutionär, obwohl ich nicht einmal
wusste, was genau es bedeutete.

ich wurde zum direktor zitiert.

in der klasse fühlte ich mich noch groß und stark. vor dem büro
des direktors war ich ein kleiner wurm.

ich saß auf dem schulgang und zitterte am ganzen körper. die
anderen kinder zeigten auf mich und lachten. manche ältere
schüttelten den kopf.

die bösen kinder zwinkerten und zeigten mit dem daumen
nach oben. ich wollte nach hause. ich wollte zu meiner oma.
nein lieber zu mama.

Dezember 2015 41