der direktor kam mir riesig vor hinter seinem schreibtisch. im
aschenbecher glühte eine zigarette. er blickte mir tiefin die augen.
ich kam mir vor wie in einem agentenfilm.
warum willst du das gedicht nicht lernen?
ich schwieg, weil ich angst hatte, meiner mama würde etwas
passieren, wenn ich sagte, ich fände es dumm. außerdem war
dieses gedicht gelogen. seit einiger zeit gab es nicht einmal mehr
brot in den läden. und wenn doch, war es hart wie stein.
das sagte ich ihm natürlich auch nicht. ich schwieg und schaute
zu boden.
nach einer gefühlten ewigkeit sagte er schließlich:
du schreibst seit einiger zeit so schlechte noten. du warst doch einmal
der beste der klasse.
- ich weiß nicht. frau winter...
was, frau winter?
— frau winter gibt mir so schlechte noten. ich...ich...lerne...
viel... aber... weife nicht...
stammelte ich und meine augen füllten sich mit tränen.
was arbeiten deine eltern?
— kombinat...papa arbeitet beim kombinat...
und deine mutter?
ich fing an laut zu weinen. und hörte nicht mehr auf. der direktor
nahm den telefonhörer in die hand und ich dachte, die männer
kämen gleich um auch mich zu holen.
meine großmutter kam. entschuldigte sich beim herrn direktor
höflich für mein benehmen. überreichte ihm noch eine packung
kaffee, die uns mein onkel aus deutschland mitgebracht hatte.
und schimpfte den ganzen weg nach hause.
nicht mich. sie fluchte auf deutsch und rumänisch über dieses
miese schwein und benutzte ungarische wörter, für die ich von
papa eine ohrfeige kassiert hätte.
ich bekam eine hühnersuppe. um deine nerven zu stärken, sagte
oma. die suppe war wohl cher für ihre geschwächten nerven,
dachte ich und grinste.
am abend saßen wir vor dem fernseher und schauten das abend¬
programm. im televizor sah ich ceausescu und seine frau über die
baustelle des volkspalastes laufen. sah ihn grinsen.
bestia hörte ich hinter mir meine großmutter sagen, die da¬
mit unsere größte wissenschaftlerin des landes meinte, genossin
ceausescu.
sie war nicht schön. alles andere als schön. hatte diesen zinken
im gesicht. immer diese strengen haare. ich mochte sie nicht.
oma mochte sie nicht. im grunde genommen mochte sie keiner
in diesem land.
als ich kleiner war, hatte ich sogar richtig angst vor ihr. onkel ernö
brachte einmal den zauberer von oz auf kassette aus deutschland
mit. zwei wochen sah ich ihn mir jeden tag nach der schule an.
und dachte elena ceausescu sei die hexe des westens. dachte,
darum würden sie die nachrichten so oft in schwarzweif zeigen.
meine oma lachte. und mama noch mehr.
sie kicherte: die hexe des ostens! und konnte sich vor lachen
kaum halten.
normalerweise kam papa vor den nachrichten aus der arbeit nach
hause und duschte, bevor das wasser abgestellt wurde.
nach meinem besuch beim direktor war er nach dem spielfilm
und der hymne noch immer nicht daheim.
oma war beim film mit den stricknadeln in der hand einge¬
schlafen.
ich zündete schnell drei kerzen an, bevor der strom abgestellt
wurde, nahm oma ihr strickzeug aus der hand. sie schnarchte kurz
auf, erhob sich aus ihrem sessel und ging, nachdem sie mir einen
feuchten kuss auf die wange gegeben hatte, ins bett.
ich wollte sie nicht beunruhigen und sagte ihr nicht, dass papa
noch nicht da war.
wusste nicht, was ich tun sollte. wen ich anrufen sollte. ich
wartete im kerzenschein und blätterte im cine almanach. dann
schlief ich ein.
als ich aufwachte, war es dunkel und ich lag im bett. papas arm
auf meiner brust. die sich plötzlich befreit anfühlte beim anblick
meines vaters neben mir. hatte schließlich gedacht, ich sei schuld
an seiner abwesenheit.
am nächsten morgen stand papa in der küche und machte rührei.
rdntotta, sagten wir immer und ich spielte mit den wörtern: tata
csindl rdntottdt. rdntottdt csindl tata. tata ti ta to... das letzte t
verschluckte ich beim anblick meines vaters.
sein rechtes auge war blau und zugeschwollen, und als er szia
sagte, zischte es mehr als sonst, weil ihm ein zahn fehlte und seine
lippe dick verkrustet war.
in der schule saß ich noch ganz verheult in meiner bank, sang
lautstark die hymne mit, sodass mich frau winter gut hören konnte.
dann trat ich vor die klasse und sagte das gedicht auf. die genug¬
tuung in ihrem gesicht hat sich tiefin mein gedächtnis gebrannt.
im sommer nach mamas verschwinden fuhren wir zum ersten mal
nicht ans meer. papas wunden waren verheilt und wir witzelten
über seine zahnlücke. nannten ihn hexe des ostens. und wurden
traurig, denn wir hatten immer noch keine nachricht von mama.
papa blieb seit der sache mit dem gedicht nach dem frühstück zu
hause. ging nicht mehr zum kombinat, sondern auf den markt. wo
er alles mögliche verscherbelte. oma trug ihre goldohrringe plötz¬
lich nicht mehr und beim spielen fand ich ein dickes bündel geld.
bevor ich damit jedoch kapitalist spielen konnte, erwischte
mich oma und schimpfte.
sie schrie mich laut an. wir haben eine gute beziehung, dachte
es war heiß. die nächte unerträglich. ich lag wach und konnte
nicht einschlafen. lauschte dem bellen der hunde. musste an belle
denken, unsere kleine pekineserhündin, die meine mutter eines
tages mitgebracht hatte.
sie hatte krumme zähne und glubschaugen. ich fand sie so
hässlich wie unsere große genossin.
jeden morgen, nachdem wir ihr zu fressen gegeben hatten,
kratzte sie an der wohnungstür und wir ließen sie alleine hinaus
ihr geschäft machen. ich ging zur schule, mama und papa zur
arbeit und wenn oma vom milchanstehen zurückkam, wartete