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— werden unsere tränen auch alles wieder bunt machen in rumänien?, fragte ich papa. papa lächelte und gab mir einen kuss auf die stirn. es war kurz vor weihnachten. und nach der großen enttäuschung an meinem geburtstag hatte ich jede hoffnung auf ein wunder aufgegeben. hatte mich längst auf ein trauriges weihnachtsfest mit oma und papa ohne mama eingestellt. nicoletta hatte mir zwar freundlicherweise angeboten über weihnachten ihre mama auszuleihen, doch nachdem oma diese immer als nichtsnutzige trinkerin beschimpfte, schlug ich das angebot aus. eines frühen morgens weckte mich papa, der aufgeregt die kleine schwarze reisetasche packte. ganz verschlafen noch fragte ich ihn, was er denn da tue. bukarest, sagte er angespannt und gleichzeitig fröhlich. ich sprang auf und wollte meine tasche auch schnell packen, doch papa meinte, er würde alleine fahren. ich sei noch zu klein für die große stadt. in meinem pyjama stand ich im flur und beobachtete meinen vater, der sich den dicken wollschal, den ihm oma eigentlich zwei tage später zu weihnachten schenken wollte, um den hals band. ganz fest nahm er mich dann in den arm, hob mich zu sich, drückte mich noch fester und verschwand aus der tür. das war das letzte mal, dass ich meinen vater gesehen habe. den nachmittag verbrachte ich mit oma vor dem fernseher. ceausescu wollte uns wie sooft schon erzählen, wie gut es uns ging. sprach irgendetwas von kapitalisten und imperialisten. ich hörte nicht richtig hin. war cher damit beschäftigt papa in der masse ausfindig zu machen, immer wenn die kamera dorthin schwenkte. wenn oma dachte, ihn entdeckt zu haben, sprang sie auf und stellte sich vor den fernseher. drehte ihn ganz laut auf, weil die menschen plötzlich buhten. ich stand auf, schob oma zur seite und hörte elena ceausescu liniste! liniste! rufen. die nationsmutter versuchte ihre kinder zum schweigen zu bringen. vergeblich. alles wurde plötzlich ganz unruhig. die menschen in der masse wurden immer lauter. dann fiel das bild aus. als man wieder den balkon sah, stand dort nicht mehr unser conducätor, sondern ganz viele menschen, die bücher und papier hinunter warfen. die kamera schwenkte auf das dach, wo man zwei kleine menschen zum hubschrauber rennen sah, der gleich darauf abhob und verschwand. wie meine eltern. und der sozialismus aus dem besten land der welt. ich war zehn und wusste mit einem schlag, was revolution bedeutete. ich steckte mittendrin. sah im fernseher menschen mit tränen in den augen, die nun nicht mehr vor trauer flossen, sondern vor freude. außer bei meiner oma und mir. immer wieder sahen wir bilder von kämpfen auf den straßen bukarests. sahen menschen mit maschinengewehren und hörten permanent schüsse. mittendrin immer wieder bilder von poeten, künstlern und sonst noch irgendwelchen menschen im schäbigen fernschstudio. nur nicht meinen vater. wir waren alle ganz aufgeregt und waren frei, hieß es auf einmal. überall hallte es Zbertate! libertate! wir bekamen die freiheit. nur nicht meine mutter. mama wurde zwei tage, nachdem die drei männer sie in die schwarze dacia gezwängt hatten, am tag meines geburtstages, erschossen. so steht es in der securitate-akte. darin steht auch, dass meine mutter tagsüber immer in die knopffabrik ging und nachts texte verfasst hatte für eine untergrundzeitschrift, die sich gegen das regime richtete. darum musste sie sterben. jahrelang hatten wir gehofft, geglaubt, meine mutter würde eines tages auftauchen, wussten nicht, was passiert war. nun habe ich die gewissheit. großmutter starb sieben jahre nach der revolution, immer noch in dem glauben, ihre tochter käme bald heim. sie war nicht mehr dieselbe, nachdem wir vom tod meines vaters erfahren hatten. unser nachbar, der mit ihm nach bukarest gefahren war, erzählte uns, dass er und mein vater noch am selben tag von milizen festgenommen und in ein lagerhaus gebracht wurden. dort wurden sie geschlagen und angeschrien. angespuckt und getreten. eines nachts, sie schliefen bei eiseskälte zu zwanzigst auf dem boden und versuchten sich gegenseitig zu wärmen, schoben drei bewaffnete milizen mit maschinengewehren das dicke eisentor auf und nahmen fünf männer mit. darunter meinen vater. kaum war das tor hinter ihnen geschlossen, hörte man die milizen brüllen für unseren ehrbaren führer. für unser rumänisches volk. singt die hymne! los! doch es blieb still. danach hörte man schüsse. und am morgen mussten die anderen männer hinter dem lagerhaus gräber schaufeln. nach großmutters tod sah ich zum ersten mal deutschland. ich wurde von onkel ernö und tante erika aufgenommen und blieb. nicu konnte ich nicht ausfindig machen. die sozialistische hymne musste ich nie wieder singen. Thomas Perle wurde 1987 in Rumänien geboren. 1991 emigrierte er mit seiner Familie nach Deutschland, wo er dreisprachig aufwuchs und 2007 maturierte, bevor er anschließend für eine Spielzeit als Volontär im Bereich Regie und Dramaturgie am Staatstheater Nürnberg tätig war. Seit 2008 lebt er in Wien und war als Dramaturgiehospitant am Volkstheater und als Regieassistent am Schauspielhaus engagiert. Er studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften und schloss 2015 mit Diplom ab. 2013 erhielt er für seinen Kurzprosatext „wir gingen weil alle gingen“ den exil-Literaturpreis und war 2014 im Rahmen der Nachwuchsautorenförderung des ORF III-Buchmagazins erLesen als Writer in Residence im LOISIUM winee&spa. Seit Februar 2015 ist er Mitglied des Autorentheaterlabors Wiener Wortstätten und erhielt das Startstipendium für Literatur 2015 des österreichischen Bundeskanzleramts. Im Oktober 2015 wurde sein Kurzdrama „europas töchter“ unter seiner Regie bei Mimamusch — Festival für Kurztheater uraufgeführt. Im Herbst 2016 erscheint sein Debütroman „wir gingen weil alle gingen“ im Verlag edition exil. Dezember 2015 45