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schmelzen. Kopfbezüge, die alles aufnehmen. Bilder. Traumbilder. Geschmolzene Schneeflocken. Kopfkissen, immer dünner, nasser, kälter, tiefer und tiefer. Mein Kopf samt seiner Träume stürzt in die Dunkelheit. Die Sprache wird einheimisch in meinem Kopf. Traum. Kopfkissen. Leuchtender Lichterschnee. Schmelzendes Glück im Mund der Zeit. Schneekugel. Alles, was schmilzt, hat etwas von der Zeit in sich. Ich lehne mich an die Wörter. An meine Lehnwörter. Und kämme die Teppichfransen. Schwierige Teppiche. Bodenständige Teppiche. Ich trinke. Du bist in einem langen breiten Teppich gewickelt. Sie tragen dich zu einem riesigen Grab. Zu dir selbst. Zu deinem Massengrab. Der Teppich, in dem du getragen wirst, hat eine Fläche von 185.000 km?. Eine Fläche, in die du passt. Vor lauter Weihnachtsfreude glänzen die Straßen, durch die ich mit meinem Abschlusszeugnis in der Hand laufe. Ich bin eine Fremde. Für meine Großmutter bin ich ein Kind voller Liebe zu kleinen, gelben Küken. Für die Linguistikdozentin bin ich eine Sprachbegeisterte. Für die hier Geborenen bin ich Ausländerin. Für die deutschsprachigen Behörden bin ich unabhängig von meinem Geschlecht ein deutschunkundiger Ausländer. Trotz Abschlussarbeit in Deutsch. Das darf ich nicht persönlich nehmen. Das hat mit der Kategorisierung zu tun. Mit Prototypisierung. Kriegsflüchtlinge tragen keinen Koffer mit sich. Sie werden automatisch mit Erde und Schlamm konnotiert. Im Kreis laufe ich herum. Da in der Mitte viel los ist, es ist ein Weihnachtsmarkt. Warmes Licht. Düfte, die glühen. Es schneit hier in dieser Haube. Unter diesem Haubendach. Ich laufe am Rand der Haube. Ich kann nicht raus. Ich schaue durch die Scheibe raus. Wie lange kann man in einer Badewanne sitzen? Meine Gefühle fühlen sich erkältet. Meine Haut gealtert. Wie Elefantenhaut. Das Wasser ist voller Buchstaben. Buchstabensuppe. Ein verwirrtes Bild. Wenn die Bilder, Zeiten und Sprachen überlappen, sich miteinander vermischen. Wackeliger Zustand des Seins. Ich bewege mich nicht. Die Badewanne hat etwas Heimeliges im Vergleich mit dem Weihnachtsmarkt. Hat etwas von dir. Lisa Kerimi Fuß in der Tür Die Fliege stößt erneut gegen das Fensterglas. Kurz sackt sie ab, dann erhebt sie sich. Unermüdlich, sie fast schon mit Neid erfüllend. Sie schaut auf ihre Nägel, ungeschnitten. Die der Daumen weisen eine zarte graue Schicht auf. Schere und Nagelfeile befinden sich nicht im Gepäck, denkt sie und blickt auf eine Tasche im Eck des Raumes. Dieser Raum ist bis auf das Brummen der Fliege und das gelegentlich geräuschvollere Ein- und Ausatmen der anderen nüchtern, fast zeitlos und auf die Art und Weise von Autobahnraststellen geografiebefreit. Sie stellt sich vor, nun aufzustehen, zur Tür zu gehen, dass sie diese öffnet — und das Haus ihrer Schwester erblickt. Das Haus inmitten eines Gartens mit Orangenbäumen, in San Lorenzo bei Salta. Die Bilder, die die Schwester regelmäßig geschickt hat, zeigten nebst Garten 50 ZWISCHENWELT Meine ganze Heimat ist eine Badewanne, musste ich einmal einer Frau antworten, nachdem sie mich erstaunt gefragt hat, ob man in meiner Heimat genug Wasser zum Baden habe. Du bist selbst eine Badewanne. Voller Blut. Tief wie das Mittelmeer selbst. Und mein Kopf ist ein einziges Wörterbuch. Ich bin verfangen unter der Haube einer Schneekugel. Verbannt im Rundgang der Gegenwart. In einer Haube, in der es immer schneit. Und in der ich immer dasselbe tue: Gehen. Im Kreis. Es gibt keine Tür. Es gibt keine geraden Wege. Nur Worte. Nur Worte gibt es. Fremdworte. Geheimworte. Worte mit Klein- und Großbuchstaben. Gemischt mit Zahlen. Zur Sicherheit. Kennworte, die einem in der Luft Türen erscheinen lassen. Die muss man laut aussprechen. Oder auf die unsichtbare Kugelhaube schreiben. Ich kenne keine Kennwiörter, die mir den Weg zeigen. Die Buchstaben, die da sind, muss man finden. Wie am Anfang werden auch am Ende nur Worte bleiben. Die Gegenwart ist rund. Nur meine Kindheit war gerade. War eine Gasse, die eng war und schmal. Eine Gasse mit Anfang und Ende. Aye Alavie, geboren 1974 in Teheran, studierte 1996-98 an der Filmhochschule in Teheran und 2008-12 Germanistik und Europäische Ethnologie in München. Veröffentlichte 1991-98 literarische Texte, Hörspiele und Reportagen in den Kinder- und Jugendzeitschriften „Sorousch Nojavan“, „Aftabgardan‘“, gestaltete auch Kinder- und Jugendprogramme in Radio Teheran. Buchpublikationen: Waste paper (Kurzgeschichte für Jugendliche; Teheran 1996, Aftabgardan Verlag); These are your shares of yourself (Gedichte; Teheran 1999, Darinoosh Verlag); Its cold, (Kurzgeschichte für Jugendliche, Teheran 2001, Soroush Verlag). Beiträge in den Anthologien: Jetzt (Frankfurt/M ., Axel-Dillmann-Verlag 2010): Zwischenwelten, 9. Bonner Buchmesse Migration (FreePen Verlag 2013). Übersetzte ins Persische: „Maikäfer flieg“ von Christine Nostlinger (Teheran 2014, bei Peydayesh Verlag). Auszeichnungen (Auswahl): 1997 beste Kurzgeschichte bei „The Institut for intellectual development of children & young adults“, Teheran; 1998 beste Reportage beim „Pressefestival“, Teheran; 2010 Antho-Logisch? Literaturwettbewerb, Fürth. und Haus meist auch die Schwester mit ihrem Mann, gebürtiger Argentinier, und den Zwillingen, die auf dem fernen Kontinent zur Welt kamen. Die Schwester sah sie zuletzt bei deren Hochzeit in Damaskus vor acht Jahren. Sie sind sich trotz der Entfernung nahe. Die vielen Telefonate bauen Brücken. Zuletzt waren es Gespräche der Sorge, des Aufbruchs, des langen Atems. Dieser Raum scheint ihre Sorge ausbremsen, ungültig werden zu lassen. Er hebt den Donner der Kriegswirren auf. Er macht sie denken, dass ihre Kräuter am Balkon mittlerweile verdorrt sind. Dass die Katze ihre Jungen jeden Tag werfen wird. Sie geht wieder durch die Räume ihrer Wohnung. Das Blumenmuster am Sofa, der Holztisch, dessen Bein wackelt, sie streift die Falten in der Decke, die über die Sofalehne geworfen wird, glatt; im Schlafzimmer hält