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nässt seine Stirn. Das lässt ihn schneller hierhin und dorthin und wieder wegblicken. Da trifft er auf fremde Augen, sie schenken ihm Verwunderung und Tee wird ihm eingeschenkt. Dass er sich doch endlich verlangsamen möchte. Niemand versteht, weshalb er hier ist, was ihn denn stolz macht, lediglich hier zu sein. Es ist, dass jeder Moment ihn bedrängt, denn jeder verlangt von ihm, als einzigartig erinnert zu werden. Doch er sicht nichts, weil er viel sicht, alles mit einem Blick sieht, in einem Augenblick zu viel auf einmal sieht und abdrückt. Dieser Gegenstand ist einzigartig, sagt er und drückt ab, und diese Stimmung dort, abgedrückt. Das verschleißt ihm den Auslöser. Da ergattert eine seinesgleichen ein Motiv und er macht es ihr gleich, doch beide schen nichts, er ist einer unter anderen und einer mit einer seinesgleichen unter anderen und beide sehen nichts. Nichts, dem sie nahe kommen. Dabei fühlt er sich so begünstigt alles aufzusaugen, die ganze Zeit. Womit hat er verdient, sich von dieser Zeit einschüchtern zu lassen? Sie sollte ihn animieren, ihn hochleben lassen! Der Tourist drückt drauf, erdrückt den Augenblick, aus dem Drang des Moments, aus Vorfreude auf die Befriedigung der Bekanntschaft und der Verwandtschaft zu Hause. Er hört sie lechzen nach dem, was er sicht, und ihnen zeigen würde, was er aber nie wirklich schen wird, sondern wie sie nur gezeigt bekommt. Wie viele Facetten, wie viele Widersprüche das Land nicht berge, sagt er. Er sagt es, um sich später zitieren zu können. Er blickt aus dem Esslokal wie jemand voll innerem Frieden. Das Esslokal wartet auf mit bunten Tischtüchern, darauf sich Ellenbogen stützen. In den flachen Händen ruhen die Köpfe, ruht sein Kopf und ruhen die Köpfe seinesgleichen. Er sieht sich um, sie sind unter sich, unter ihresgleichen, er ist unter ihnen. Sie wenden sich voneinander ab, um sich dem Ausblick, der so fremd scheint, zu widmen. Es lässt sich hier so schön in der Ruhe schwelgen, sagt er, und alles schwelgt in der Ruhe. Man unterhält sich, es muss auch ausgesprochen werden, was sich in einem sammelt. Es wird ausgetauscht, was einem unter anderen widerfahren ist, und eine möchte beweisen, wie viel sie vom Eigentlichen schen durfte und einer empfiehlt, wo es sich gut schlendern ließe, da hat er schon zu essen bekommen. Und allesamt haben sie zu essen bekommen und tauschen ihre Geschmackserlebnisse aus. Der Tourist muss sich viel anhören, was er noch zu besuchen hat, und er muss viel nicken zu dem Gesagten. Eine ist schr angetan, sie sagt, aber arm sind die Leute, eine Pracht aber, sagt einer, ihre Gewänder, sie glänzen förmlich, wie alles so bemerkenswert glänzt. Es ging ihr glänzend diese Tage, sagt eine und bekommt den Nachtisch hinserviert, wie eine Belohnung vor sich hingestellt. Hier ist keiner allein, nichts, was für sich alleine bewältigt werden müsste. Es ist ihnen die Aussicht gemein und die Dankbarkeit darum. Wie anders es hier ist, sagt der Tourist, sagt es, wie ein kleines Resümee, und blickt zu seiner Nachbarin. Sie nickt und ergänzt seine Sätze und er nickt und dann heben sie ihre Gläser. Wenn man hier vorüberginge, man könnte meinen, sie triumphierten ein wenig, als überbrückten sie mit ihrem Anstoßen eine Leere. Und trotzdem scheint ihnen eine Zustimmung, eine Anerkennung ihres Glückes zu fehlen. Wie jeder für sich wieder den Blick schweifen lässt, ein Blicken der geringsten Anstrengung, das einen doch etwas vernehmen lässt. Es wurde viel gegessen, und er sagt, es war köstlich hier, das Essen. Es wurde einiges erledigt, einiges geschen an Sehenswürdigem. Das macht zufrieden und etwas unbeschwert im Kopf, den er nicht aus der Hand geben möchte. Er hätte guten Grund sich einmal zurückzulehnen. Alles ist noch auf den Beinen in dieser Stadt, denkt er sich, doch er war aufanderen Beinen unterwegs. Schon winkt ihm ein helfender Gedanke, bald würde er ausgestreckt in seinem Hotelzimmer liegen und sich mit einem Buch etwas Zuflucht verschaffen. Doch bald ist der Horizont in einem anderen Licht und es wird abgedrückt. Es regen sich Stück für Stück die vielen müden Beine, denn die Aussicht ist auch in diesem Licht abzubilden, denn es wäre nicht erfreulich, die Aussicht gerade in diesem Moment, also in diesem Licht nicht abzubilden. Und es wäre eine unvollständige Erfahrung, also für die Bekannten und Verwandten unzulänglich wiedergegeben, hätte man die Aussicht in diesem Licht nicht aufgesucht und heimgebracht. Er verlässt das Lokal, ganz aufgewühlt in seiner Erschöpfung. Noch ein paar Meter gehen, sagt er sich, sich noch etwas verlieren in den kleinen Gassen. Denn hier passiert einem das leicht, freut es ihn, es tut doch wohl, sich zu verlieren. Hier sind die Straßen noch voller Leute. Es ist fein, sagt er, so angelächelt zu werden und er folgt einer Frau in ein unscheinbares Haus. Er folgt ihr durch einen langen Gang in einen Hinterhof und dann ein paar Stiegen hinauf. Der Tourist muss sich schr konzentrieren, um sich den Weg einzuprägen, der ihn wieder auf die Straße führen würde. Dieser Kerl hat wohl nicht überlegt, was er hier tut, aber das schätzt er auch sehr, dieses Lockere und Unbedachte. Doch locker ist ihm nicht zumute. Sie zieht ihn an sich. Er hat ihr Gesicht kaum gesehen und auch jetzt ist es dunkel und zu nahe, um es genauer wahrzunehmen. Er kann nicht anders, als an sein Hotelzimmer und den Heimweg zu denken, während er sich berühren lässt und durch das Fenster über die Wäscheleinen in die beleuchteten Wohnungen auf der anderen Hofseite blickt. Jetzt möchte er gerne wissen, wie viel er zu bezahlen hätte, denn soviel hat er gelernt, immer nach dem Preis zu fragen. Die Frau spricht etwas, das er nicht versteht. Er berührt ihren Körper, als hätte er so etwas noch nie gemacht, und vernimmt das Stöhnen anderer Leute hinter den Wänden. Der Tourist verlässt eilig das Haus, in das er so unverschens geraten war. Auf der anderen Straßenseite angekommen, geht er ohne anzuhalten weiter, als wüsste er, wohin er möchte. Die Nacht ist eingekehrt. Was für eine laue, zu aller Leichtigkeit ermunternde Nacht. Hat er nicht sein Hotelzimmer, das auf ihn warten würde, wo er endlich Ruhe fände? Auf einmal hört er das Meer. Auf das Meer habe ich ganz vergessen, sagt er, und lächelt über sich. Da ist man am Meer, sagt er, und dann versäumt man, ans Meer zu gehen. Aber es macht Freude, durch sein Rauschen daran erinnert zu werden. Niemand wird hier abgestoßen, sondern mit den nötigen Eindrücken aufgenommen, aufbewahrt und abgefertigt. Er spaziert ziellos am Strand. Hier ist man mit gutem Recht unterwegs. Der Tourist geht entlang der unzähligen Fußspuren und hebt den Blick zu den Sternen, die er niemals so reichlich über sich gesehen hat. Thassilo Veit Hazod, geboren 1990 in Wien, ist in Oberösterreich und Wien aufgewachsen. Nach Abschluss der Studien Geschichte und Sprachkunst studiert er aktuell Europäische Ethnologie an der Universität Wien. Neben Rezensionen erschienen von ihm in der „Zwischenwelt“ Nr. 3-4/2013, S. 27, die Gedichte „Nacht Fluss Feld“, in der Nr. 1/2014, S. 51-52, die Erzählung „Hinaus“ und in der Nr. 2-3/2014, S. 36-37, weitere Gedichte. Dezember 2015 67