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REZENSIONEN „Wie Olga Schnitzler den Nachlass rettete“, lautet ein Kapitel, dem besondere Bedeutung zukommt, und vieles, was die Autorin Jutta Jacobi in ihrem Buch erzählt, hat damit direkt oder indirekt zu tun. Die Geschichte der Rettung des Nachlasses von Arthur Schnitzler, nach der Annexion Österreichs 1938, ist durchaus bekannt: Eric A. Blackall, ein Student aus Cambridge, der in Wien an seiner Dissertation über Adalbert Stifter arbeitete, beeidete gegenüber dem britischen Konsul, dass der gesamte schriftliche Nachlass Arthur Schnitzlers von der University Library Cambridge erworben worden sei. Durch dieses Manöver konnte der Schnitzler-Nachlass dem Zugriff der Nationalsozialisten entzogen werden, das Arbeitszimmer wurde versiegelt und war für die wiederholt auftauchenden NS-Schergen nicht zugänglich. Bald gelang es Blackall, eine vertrauenswiirdige Transportfirma zu finden, die den Nachlass nach Großbritannien brachte. Eric A. Blackall, der später in Cambridge lehrte und eine Professur an der Cornell University erhielt, wurde für diese Aktion bekannt und sogar ausgezeichnet, es entstand der Eindruck eines beherzten Einzelnen, der er ja auch war. In der Darstellung von Jutta Jacobi wird die bislang nicht oder wenig beachtete Rolle von Olga Schnitzler, die bis 1921 mit Arthur Schnitzler verheiratet gewesen war, in den Vordergrund gerückt. Diese hatte Blackall — über den aus Deutschland vor den Nationalsozialisten geflohenen Germanisten Richard Alewyn — kennengelernt und veranlasst, ihr bei der Rettung des Nachlasses zu helfen. Olga Schnitzler hatte im Haus in der Sternwartestraße ausgeharrt, dort den Nachlass mit Hilfe Blackalls geschützt und schließlich mit ihm für den Transport verpackt. Auch hatte sie ihren 1937 geborenen Enkel Peter betreut, während dessen Eltern Lilly und Heinrich Schnitzler, der Sohn Arthur Schnitzlers, bereits im Exil waren. Nachdem Peter Schnitzler durch Vermittlung des Rechtsanwalts Gustav Rinesch endlich einen Pass erhalten hatte, organisierte Olga Schnitzler, dass er regulär zu Mutter und Vater in die Schweiz reisen konnte — und zwar in Begleitung des „Kindermädchen[s] Poldi“ (der Nachname wird nicht genannt) sowie der Schauspielerin und Übersetzerin Anna Katharina Rehmann-Salten (Wyler), Tochter Felix Saltens, die mit dem Schweizer Rechtsanwalt und späteren Präsidenten des Schweizerischen Zionistenverbandes Veit Wyler verheiratet war, der zahlreichen Verfolgten und Vertriebenen half (im Text wird nur von „Felix Saltens Tochter Annerl, die mit einem Schweizer verheiratet ist“, gesprochen). Nicht oder wenig bekannt war auch die Fortsetzung der Geschichte des Nachlasses, die überdies im Exil zu einem Konflikt zwischen Olga und Heinrich Schnitzler geführt hat. Dieser konzedierte seiner Mutter zwar, die Manuskripte und Dokumente vor den Nationalsozialisten gerettet zu haben, war aber entsetzt darüber, dass die Bibliothek der Universität Cambridge nunmehr den Schnitzler-Nachlass tatsächlich zu ihrem Eigentum erklärte und nicht mehr herausgab. Auch nach 1945 konnte Heinrich Schnitzler die Rückgabe nicht erreichen. Eine genaue Dokumentation der Vorgänge, die weit über die Darstellung Jacobis hinausreicht, bietet übrigens ein Beitrag von Wilhelm Hemecker und David Osterle, der im Jahrbuch der deutschen SchillerGesellschaft 2014 veröffentlicht wurde; auch im Nachwort zu der im selben Jahr von den beiden Wissenschaftlern bei Zsolnay herausgegebenen und vom Verlag heftig beworbenen Novelle von Arthur Schnitzler „Später Ruhm“ finden sich Informationen dazu. Die Recherchen von Hemecker und Österle sowie das Buch von Jutta Jacobi bewirkten entsprechende Beiträge in den Medien (vgl. insbesondere die Artikel von Thomas Trenkler im „Kurier“ vom 17. und 18.1.2015), wodurch die Erben veranlasst wurden, an die Bibliothek der Universität Cambridge zu schreiben. Schließlich war zu erfahren, dass die Leitung der Bibliothek nunmehr doch Heinrich Schnitzler - sowie in der Nachfolge seine Söhne Peter und Michael Schnitzler - als Eigentümer des Nachlasses anerkannt habe und eine Einigung erzielt worden sei: Der Nachlass bleibt in Cambridge, wo er weiter wissenschaftlich und editorisch erschlossen wird, und die Erben nahmen einen „symbolischen Betrag als Wiedergutmachung“ an (Kurier, 11.10.2015; Der Standard, 12.10.2015). „Eine Familiengeschichte“ nennt Jutta Jacobi ihr Buch im Untertitel, und zu dieser Familiengeschichte gehören die Geschichten von Verfolgung, Flucht, Beraubung. Auch der Raub der umfangreichen Privatbibliothek Arthur Schnitzlers durch den Parteigänger der Nationalsozialisten Joseph Gregor wird dabei nochmals kurz behandelt. Dieser vermeintliche Freund der Familie behauptete, die Bücher und Autographen geschenkt bekommen zu haben, und verleibte sie der Theatersammlung der Nationalbibliothek ein, deren Leiter er war. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Exil: Neben Olga Schnitzler, die sich zunächst nach Cambridge, später in die USA retten konnte, sind es vor allem Lilly und Heinrich Schnitzler, über deren Exil — das sie in die USA führte — Jutta Jacobi erzählt. Lilly Schnitzler arbeitete dort als Krankenschwester im Spital und konnte als Geigerin im Orchester wirken, Heinrich Schnitzler brachte unter schwierigen Bedingungen einige Inszenierungen zustande, etwa von Werken Bertolt Brechts, und war Universitätslehrer an der Film- und Theaterabteilung der UCLA (University of California, Los Angeles). Eine dauerhafte Riickkehr aus den USA ins Nachkriegsösterreich kam für beide lange Zeit nicht in Frage, erst 1959 kehrten sie endgültig nach Wien zurück. Als Regisseur und Vizedirektor des Iheaters in der Josefstadt gehörte Heinrich Schnitzler bald zum Wiener Iheaterleben der Zweiten Republik, was auch beinhaltete, dass er mit ehemaligen Nationalsozialisten zusammenarbeitete, etwa mit dem Schauspieler Erik Frey, vormals NS-Betriebszellenleiter des Theaters, dessen Frau, Susi Frey, eine alte Freundin Lilly Schnitzlers war. Erik Freys Verhalten während des NS-Regimes war kein Gesprächsthema, wobei dies freilich zum „allgemeine[n] Schweigen“ gehörte, wie die Autorin es nennt. Dazu passte auch, dass, vor allem öffentlich, das Exil und die verweigerte Rückerstattung des Schnitzler-Nachlasses nicht zur Sprache gebracht wurden. Das war Teil einer Situation, die heute als „Schnitzler-Renaissance“ bezeichnet wird und in der Heinrich Schnitzler sich als Theatermann, Herausgeber sowie Berater jüngerer Forscher und Forscherinnen für die Wiederentdeckung des Werkes seines Vaters einsetzte. Mit nach Wien kam der in Berkeley geborene Sohn Michael, während Peter in den USA blieb. Auch von ihnen erzählt Jutta Jacobi: Michael Schnitzler wird Geiger, Konzertmeister der Symphoniker, Mitbegründer des Haydn-Trio sowie erster Geiger im SchnitzlerQuartett, erhält eine Professur für Violine an der Musikhochschule und engagiert sich seit dem Ende der 1980er Jahre für die Rettung des Regenwaldes in Costa Rica. Peter Schnitzler studiert in Los Angeles, wird Filmregisseur, arbeitet zwischenzeitlich in Europa, auch in Österreich, schließlich wieder in Los Angeles, wo er von den Protest- und Bürgerrechtsbewegungen sowie von subkulturellen und experimentellen Lebensformen geprägt wird. Gleichsam den Rahmen des Buches bilden ein „Prolog“ und ein „Epilog“, in beiden schildert die Autorin, wie sie mit Giuliana, einer Tochter von Peter Schnitzler, die in den 1990er Jahren New York verlassen hatte, um in Wien zu leben, durch den jüdischen Teil des Zentralfriedhofs wandert, Gespräche führt und die Gräber der Familie besucht. Anders als die Generation davor, die keine oder kaum mehr Bezüge zu jüdischen Traditionen hatte, hat sich Giuliana Schnitzler dem Judentum wieder zugewandt, sie ist Vizepräsidentin der reformjüdischen Gemeinde „Or Dezember 2015 71