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KONTROVERSE Karl Wimmler Veronika Seyrs im Vorjahr erschienenes Buch „Forellenschlachten“ rekapituliert in 33 zwischen 1991 und 1997 datierten Briefen „an eine real existierende Freundin, die aber nie abgeschickt wurden“, ihre Zeit als ORF-Fernsehkorrespondentin in Belgrad. Sie behauptet mit der Briefform Authentizität, löst diese aber nur marginal ein. Obwohl sie schreibt: „Ich war weitgehend ahnungslos, wie sich der Zerfall Jugoslawiens abgespielt hatte. Zur Vorbereitung der ersten Dienstreise nach Belgrad hatte ich genau eine Woche Zeit“ (35), weiß die Korrespondentin und Autorin von Anfang an, wo Gut ist und wo Böse. Nach wenigen Monaten bereits (3.Brief, Silvester 1991) weiß sie über Franjo Tuöman, den Präsidenten Kroatiens trotz spärlichster Berichte über Kroatien im gesamten Buch: „Tuöman ist an vielem schuld, aber nicht Hauptschuldiger. Tudman ist ein Kommunist geblieben“ und „hat Milosevi& bewundert“. „Sein Fehler war, sich nicht einzugestehen, dass er nicht Milosevics Brutalität besaß.“ (35) Und: „Tuöman war ... ein großes Unglück für Kroatien“. Derartiges hat sie zu Weihnachten 1991 sicherlich nicht nach Wien gemeldet. Da waren sämtliche österreichische Medien voll von anerkennenden Worten, wenn nicht Hymnen über diesen kroatischen Führer, der „unter Tito als Nationalist eingesperrt war“. Sie spricht von „Milosevids Verfassungsputsch“ (von 1989), von dem sie uns im ganzen Buch nicht erklärt, worin der „Putsch“ bestand.(25) Wie bei vielen anderen Jugoslawien-Kommentatoren firmiert zwar der ehemalige Staatschef Tito auch bei Seyr mit einigem Recht als „Diktator“, zugleich aber wird die unter seiner Präsidentschaft festgeschriebene Verfassung als unantastbares Heiligtum des Nationalitätenausgleichs gehandelt. „Mit der Verfassung von 1974“, schrieb im Gegensatz dazu der Schriftsteller und Milosevi&-Gegner Dragan Veliki¢ vor mehreren Jahren in einem Beitrag zum Sammelband ,,Serbien nach den Kriegen“ (Suhrkamp 2008) „bekamen die autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina in vieler Hinsicht den Status einer Republik. (...) Es kam zu der absurden Situation, dass es in der Republik Serbien das Territorium des sogenannten engeren Serbiens gab, das auch ‚Serbien außerhalb der autonomen Provinzen‘ genannt wurde. Dieses Serbien war innerhalb der Republik Serbien nicht gleichberechtigt gegenüber dem Kosovo und der Vojvodina, weil es ohne die Zustimmung der politischen Führung der Vojvodina und des Kosovo keine Entscheidungen auf lokaler Ebene treffen konnte. (...) Mir ist nie klargeworden, warum nach dem Zweiten Weltkrieg nicht auch in Kroatien autonome Provinzen eingerichtet wurden, z.B. Istrien, wo es italienische Bevölkerungsteile gab, und die Krajina, wo Serben lebten. Kroatien war also eine einheitliche Republik, und Serbien bekam autonome Provinzen. Kurzum: das Serbien ohne Provinzen — das sogenannte engere Serbien — hatte eigentlich gar keinen Status und konnte nicht über sich selbst bestimmen.“ Von Anfang an also gibt Seyr politische und historische Beurteilungen wieder, die ihrer Erklärung und Begründung bedürfen bzw. bedurft hätten. Knapp zwanzig Jahre nach ihrem Belgrad-Aufenthalt hätte sie Zeit genug gehabt, sich in die näheren Umstände zu vertiefen und ihre mannigfachen historischen Urteile einer Überprüfung zu unterziehen. Aber leider kann davon keine Rede sein. Aus der Fülle an wiedergegebenen, ja wiedergekäuten Vorurteilen und Propagandabildern greife ich nur einige heraus (ausführlicher siehe mein eben erschienenes Buch „Das Verschwinden der Eislers“, S. 148-176): Vom Belgrader Regime schreibt Seyr, es „scheint sich auf einem Todestrip wie im Führerbunker zu befinden“. (255) — Seltsamerweise tauchen in diesem „Führerbunker“ Besucher aus aller Welt auf: „In den letzten fünf Monaten waren folgende Verhandler der EG und der USA in Belgrad bei Milosevi€ Klinken putzen.“ Es folgen zehn Zeilen Namen samt Funktion. (34) Und knapp vier Jahre später: „Eine kleine Liste der internationalen Vermittler, die sich in den letzten Wochen zur Friedenstaube MiloSevié auf den Olivenzweig gesetzt haben: Gracov, Kosyrew, Zotov, Hurd, Carter, Owen, Vance, Huntington, Kinkel, De Poos, Holbrooke, De Michelis, Mitsotakis, Stoltenberg und Frasure ... Ich glaube, dass der Papst das einzige Staatsoberhaupt ist, das bei MiloSevié noch nicht die Klinke gedrückt hat.“ (269) — Der Oberserbe also einerseits eingebunkert, andererseits der sich als „Friedenstaube“ gerierende Zampano, bei dem die ganze Welt zum „Klinken putzen“ zu Kreuze kriecht. Es drängt sich der Verdacht auf, dass sie weder weiß, noch wissen will, dass die betreffenden Staaten ihre Vertreter nicht zuletzt deswegen dorthin schickten, weil sie eigene Interessen verfolgten. Wie das halt so ist mit der Außenpolitik von Staaten. Wenn Slobodan Milosevid ein derart singuläres Feindbild abgibt, so ist es umso verwunderlicher, dass die Autorin nicht nur kein Wort über den gegen ihn vier Jahre lang, 2002 bis zu seinem Tod 2006, geführten Prozess in Den Haag verliert (Spiegel 12.2.2002: „Der Schlächter vor Gericht“), sondern auch kein einziges ihrer Argumente auf irgendwelche dort gewonnenen Beweise seiner Verbrechen stützt. Dabei wären die englischen Transcripts dieses Prozesses im Internet leicht zugänglich, wenn auch umfangreich: http://www.icty.org/case/slobodan_milosevic/#trans (abgefragt 12.1.2015.) „Es ist ihnen (den Serben, K.W.) gelungen“, schreibt Seyr über den Angriff auf Dubrovnik, wohin sie mit ihrem Team am 8.12.1991 eilt, „kein einziges Fernsehbild von dieser ‚Rettungsaktion‘ in die Welt entkommen zu lassen; es existiert ja bekanntlich nicht, wovon es kein Bild gibt.“ (45) — Ich befrage das Internet und werde fündig bei den ZDF-Heute-Nachrichten just vom 8.12.1991 (https://www.youtube.com/ watch?v=NIZJLgelYw4; abgefragt 1.1.2015). Mit Bildern von Schäden in Dubrovnik. Als Seyr später hingegen auf die Operation Oluja („Sturm“) kurz zu sprechen kommt, bei der laut Wikipedia „die kroatische Armee und ‚Polizeieinheiten‘ im Sommer 1995 innerhalb von 84 Stunden den Hauptteil der 1991 entstandenen Republika Srpska Krajina eroberten, die zuvor rund ein Drittel Kroatiens kontrolliert hatte“, und rund zweihunderttausend Serben zu Flüchtlingen gemacht wurden, irritieren die hier tatsächlich fehlenden Fernsehbilder nicht. Bei Seyr geht das so: ,, Das Tudman-Regime war vom Westen so weit aufgeriistet worden, dass es den finalen Schlag gegen die serbischen Eroberer in Ostslawonien und der Krajina (als ob diese nicht serbisches Siedlungsgebiet gewesen ware, K.W.) wagen konnte. Die Nato leistete aus der Luft Unterstützung und die UNO war mit Peacekeeping voll ausgelastet.“ (291) — Nach drei Absätzen ist darüber genug gesagt und die Autorin kann sich wieder darauf stürzen, wie schmählich die Flüchtlinge, über die „keine Zahlen bekannt sind“, in Serbien behandelt wurden. Fünf Seiten weiter folgt doch noch ein Absatz über die Krajina: „Zagreb hat die Krajina als politische, geographische und historische Kategorie gelöscht: Knin heißt jetzt Zvonimirgrad. Der Sabor, das Parlament in Zagreb, hat die Nationalisierung des serbischen Eigentums beschlossen. Das ging alles schr schnell, die Kroaten lassen nichts anbrennen.“ (296) Dass sie auch keine Bilder liefern, stört Seyr nicht, zumal darüber ohnehin kaum ein Medium berichtet. Möglicherweise wollte die Autorin ursprünglich ein ganz anderes Buch schreiben, darüber nämlich, was der Krieg bei ihr persönlich Dezember 2015 79