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Christiana Puschak “.. bis der Mensch zu Liebe gereift“ Edith Jacobson (1897 — 1978) „Und nur meine armen Lieder/ kühlen meinen heißen Schmerz/ singen meinen Kummer nieder/ löschen leise meine Tränen.“ Das sind Zeilen, die Edith Jacobson 1935/36 im Untersuchungsgefängnis Alt-Moabit in Berlin schrieb, bevor sie 1936 wegen Hochverrats zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde. Verhaftet und abgeurteilt wurde sie, weil das Archiv der sozialistischen Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“ entdeckt und enttarnt worden war. Während ihrer Haft verfasste Edith Jacobson psychoanalytische Abhandlungen und lyrische Texte, war ihr doch das Schreiben, sie selbst nannte es „Dichtwut“, ein Mittel zum Überleben, ein Weg, sich ihrer selbst zu vergewissern, wenn die Wirklichkeit dem Bewusstsein entglitt, weil es unerträglich wurde: „Depersonalitätserscheinungen: Unwirklichkeitsgefühle; unmöglich, daß man das hier ist, traumartiges Empfinden!“ Dass diese Aufzeichnungen aus dem Gefängnis als Buch nunmehr einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich sind, haben wir der Herausgeberin Judith Kessler zu verdanken. Jahrzehntelang lagen jene aus dem Nachlass ihrer Mutter stammenden Unterlagen als sogenanntes „schwarzes Heft“ ungelesen in ihrer Hand. Erst 2014 erkennt sie nach einem Gespräch mit dem Publizisten und Emigrationsforscher Roland Kaufhold die Bedeutung dieser tagebuchartigen Notizen und Aufsatzfragmente. Lange blieb die Biografie dieser engagierten und mutigen Psychoanalytikerin im Dunkeln, obgleich einige ihrer Schriften wie „Das Selbst und die Welt der Objekte“ und „Depression“ hierzulande bekannt waren. Geboren wurde Edith Jacobssohn, so ihr Geburtsname, am 10.9.1897 als Tochter einer jüdischen Arztfamilie zu Haynau in Schlesien. Zwei Erfahrungen sollten ihr weiteres Leben und Wirken beeinflussen: das sinnlose Sterben ihr nahestehender Menschen während des 1. Weltkriegs und die Kriegsneurose ihres Vaters als Folgeerscheinung dieses Krieges. 1922 schloss sie ihr Medizinstudium trotz starker Prüfungsängste mit dem Staatsexamen ab und arbeitete hernach an den Universitätskinderkliniken Heidelberg und München sowie in der psychiatrischen Abteilung der Charite Berlin. Ihre psychoanalytische Ausbildung, motiviert über Freuds „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“, absolvierte sie zwischen 1925 und 1929 am 1920 gegründeten Berliner Psychoanalytischen Institut, zu dem auch eine Poliklinik gehörte und an der finanzschwache Menschen kostenlos behandelt wurden. Anregungen in Kinderanalyse - eine Ausbildung gab es damals noch nicht - erhielt Edith Jacobson in Seminaren, die Anna Freud in Berlin abhielt. Ihr Lehrtherapeut und späterer Freund war Otto Fenichel, der offen für gesellschaftspolitische Fragestellungen war, „Marx und Freud miteinander zu verbinden“ suchte und zusammen mit Harald Schultz-Hencke das sogenannte „Kinderseminar“ als Diskussionsforum für junge Psychoanalytiker initiierte. Über Otto Fenichel lernte Edith Jacobson das Ehepaar Annie und Wilhelm Reich, Erich Fromm, Edit Gyömröi, Barbara Lantos und Georg Gerö kennen, die Teilnehmer des „Kinderseminars“ waren und innerhalb der DPG (Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft) eine linksoppositionelle Fraktion bildeten. Und Otto Fenichel war es, der nach seiner Emigration 1933 aus a Rae” «cee rs ZEN SUN IGT TEL TE en era BERN s m. aw nd I a le 5 Edith Jacobssohn (Jacobson) = oe 10,09, 1897 Haynau (Niederschlesien) - 08.12.1978 New York. | > r > E hes m $ F e = Ärztin und Psychoanalytikerin. = ; Lebte von 1925 his 1935 in Berlin. N > Edith Jacobssohn untberstü lie Widerstandsgruppe "Neu Beginnen” im x Rt Kampf gegen die Nationalsozialisten und wurde im Oktober 1935 verhaftet. Br x > 1938 gelang ihr die Flucht über Prag nach New York ; te : Za ket =) r Eria jr fh = Is Be a Vorsitzende der i | e New York Psychoanalytic Society (1954-1956). pa = Sie gilt heute als führende Theoretikerin ix : os & und Klinikerin der nachfreudianischen cc eS - = amerikanischen Psychoanalyse. F : FR = mela? SL hak Deutschland den Kontakt dieses Kreises sozialistisch orientierter Psychoanalytiker zueinander mit Hilfe von „Rundbriefen“ (1934-1945) — Zeugnisse des Widerstands der Psychoanalyse im nationalsozialistischen Regime — aufrechterhielt. Zu dieser Gruppe gehörte auch Edith Jacobson. „Als ich jung war“, so berichtet sie in einem autobiographischen Text, „habe ich mich für Politik nicht interessiert ... Aber ... Ende der zwanziger Jahre begann Hitlers Aufstieg, und schon bald hatte er größere Massen hinter sich. Hier lauerte eine Gefahr, das spürte ich: Ich hörte seine Reden und las Mein Kampf, und ich war entsetzt.“ Trotz des frühzeitigen Erkennens der Gefahr floh Edith Jacobson aus Solidarität zu ihren Patienten nicht, wie Lore Rubin, die Tochter von Annie und Wilhelm Reich, sich erinnerte, und auch wegen ihrer Familie nicht, die sich nicht zur Flucht entschließen konnte. Ab Herbst 1933 führte sie gleichsam ein „Doppelleben“: auf der einen Seite verrichtete sie loyal gegenüber der DPG, die eine Politik der „Selbstgleichschaltung“ im Nationalsozialismus forcierte und ihren Mitgliedern politische Abstinenz verordnete, ihre Lehr- und Ausbildungstätigkeit und auf der anderen Seite beteiligte sie sich an der Widerstandsarbeit der streng konspirativ arbeitenden Gruppe „Neu Beginnen“. In ihrer Praxis, die sie bis zu ihrer Verhaftung am 24.10.1935 betrieb, behandelte sie auch Regimegegner. Anfang 1938 wurde sie wegen ihres miserablen Gesundheitszustands vom Zuchthaus Jauer/Schlesien in das Israelitische Krankenhaus Leipzig verlegt. Von dort gelang ihr mit Hilfe von u.a. Emmi Minor die Flucht über München, Prag und Paris nach New York. Ihre zweite Lebenshälfte verbrachte Edith Jacobson in den USA, wo „Neuankömmlinge nicht immer mit offenen Armen“ aufgenommen wurden. Dass sie dort als Lehranalytikerin, Dozentin, Mai2016 9