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der Holzarbeitergewerkschaft. Diese betreibt in der nahen Philipovichgasse ein Jugendheim. Mitte September 1937 wird Ludwig Beer bei einer Polizeirazzia gegen führende KJV-Funktionäre in Wien-Döbling und WienWähring erneut verhaftet. Bei den ersten Verhören wird er mehrmals schwer mißhandelt: Man hat mir die Zähne eingeschlagen, meiner Mutter hat man die blutige Wäsche ausgefolgt. Der Wiener Polizeipräsident verhängt über Ludwig Beer eine „Anhaltehaft“ von drei Monaten. Mittlerweile ist er in das Gefangenenhaus in der Roßauer Lände verlegt worden, Mitte Oktober in das Gefangenenhaus des Wiener Landesgerichtes. Um das drohende Strafausmaß zu minimieren, hält Ludwig Beer bis zum Prozess an der von ihm bereits gegen Ende September gewählten Strategie fest: die Aktivitäten im KJV zu bestreiten und zugleich das Engagement in den illegalen Freien Gewerkschaften hervorzuheben. Am 3. Februar 1938 wird Ludwig Beer am Wiener Landesgericht zu zwei Monaten schweren Kerkers verurteilt. Er geht jedoch frei, da ihm die bisherige Haftzeit angerechnet wird. Mutig weist Ludwig Beer bei der Verhandlung auf die vielen Schläge hin, die er bei den ersten Polizeiverhören erhalten hat. Als ihm der Staatsanwalt eine erneute Klage wegen des Verbrechens der Verleumdung androht, hält er an seinen Aussagen unerschrocken fest. Flucht nach dem „Anschluss“. Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg? Schon kurz nach dem „Anschluss“ Nüchtet Ludwig Beer in die Schweiz nach Zürich. Von dort schreibt er seiner Mutter: „Komme nicht wieder!“ Über Basel und Mülhausen im Elsass gelangt Ludwig Beer Anfang April nach Paris. Hier durchläuft er die nächste wichtige Weichenstellung in seinem politischen Leben. Er will sich hier nicht lange aufhalten, es zieht ihn weiter. Mit Hilfe der von der Kommunistischen Partei aufgebauten „Iransport-Organisation“ kommt Ludwig Beer Mitte April in Spanien an. Er gehört damit zu den letzten österreichischen Freiwilligen, denen der Weg nach Spanien noch gelingen sollte. Obwoll sich zu diesem Zeitpunkt die militärische Lage für die Republik als bereits nahezu aussichtslos darstellt, will er als Teil der Internationalen Brigaden aktiv am Bürgerkrieg teilnehmen. Aus Paris schreibt er seiner Mutter: „Ich möchte mir die Front, an der ich kämpfe, selbst aussuchen.“ Ende Juli 1938 wird es dramatisch ernst. Es beginnt die brutale Schlacht am Ebro, die längste und härteste Auseinandersetzung im Spanischen Bürgerkrieg mit den schwersten Luftangriffen in der gesamten bisherigen Kriegsgeschichte überhaupt. Interbrigadisten werden diese Tage in ihren Erinnerungen als die „schlimmsten ihres Lebens“° bezeichnen. Ludwig Beer ist einer Transmissionskompanie zugeteilt worden. Ihre Aufgabe ist es, die Nachrichtenverbindungen zwischen den einzelnen Truppenteilen zunächst herzustellen und dann auch im Kampfgeschehen aufrechtzuerhalten. Mitte September trifft ihn eine Kugel am Ellbogengelenk. Mitkämpfende Genossen werden später davon berichten, dass sich Ludwig Beer „phantastisch geschlagen“ habe.’ Bereits Ende September werden die Internationalen Brigaden von der republikanischen Regierung von der Front abgezogen. Die Interbrigadisten, die nicht nach Hause zurückkehren können, werden in mehreren Demobilisierungslagern in Katalonien zusammengefasst. Im Dezember starten die österreichischen Freiwilligen einen letzten Versuch, doch noch frei aus Spanien herauszukommen. Sie schreiben an Organisationen und Personen in verschiedenen Ländern, mit der Bitte um Aufnahme und Asyl. Ludwig Beer wendet sich an die französischen Behörden. Doch die rechtsgerichtete französische Regierung verweigert jede Aufnahme von Interbrigadisten. Die Grenze zu Spanien wird kategorisch dichtgemacht. Ein zweites Gesuch Ludwig Beers hätte nach Schweden gehen sollen. „Da ich aber nicht mehr in meine Heimat zurück kann, möchte ich nach dem demokratischen Schweden.“ Kurz vor Weihnachten starten die Franco- Truppen ihre Offensive in Katalonien, sodass dieses Gesuch nicht mehr abgeschickt werden kann. Ludwig Beer interniert im Lager in Südfrankreich? Hunger, „Volkshochschule Gurs“, HitlerStalin Pakt und erneute Flucht Anfang Februar 1939 erreichen Ludwig Beer und die österreichischen Freiwilligen auf ihrem Rückzug die französische Grenze. Mit ihnen sind zigtausende Menschen unterwegs, eine der größten Fluchtbewegungen des 20. Jahrhunderts in Europa. Frankreich empfängt die Flüchtlinge aus Spanien wie Verbrecher. In den Badeorten St. Cyprien und Argelés werden zehntausende Menschen am Strand zusammengepfercht. Ludwig Beer befindet sich im Sammellager Argelés. Im Lager gibt es den Sandstrand und sonst nichts: kein Trinkwasser, nicht einmal sanitäre Anlagen. Es geht ums Überleben. Anfang April 1939 werden die österreichischen Spanienkämpfer nach Gurs überstellt, im Pyrenäenvorland zwischen der Stadt Pau und der Adlantikküste gelegen. Das Lager ist in den Wochen zuvor speziell für Flüchtlinge aus Spanien errichtet worden. Die Lebensbedingungen sind für die Internierten nicht mehr lebensbedrohend, jedoch immer „noch schlecht genug“. War es in Argelés der Sand, mit dem Ludwig Beer und seine Genossen zu kämpfen hatten, so ist es hier der Regen. Niederschläge, die in dieser Gegend sehr häufig auftreten, verwandeln den Boden in knöcheltiefen Morast. Von Anfang an intensiviert die Gruppe der österreichischen Interbrigadisten ihre politischen (Schulungen, Artilleriekurse), kulturellen (Sprachkurse, Konzerte) und sportlichen Aktivitäten (Schach, Volleyball, Fußball, Turnübungen). Anfang Juni 1939 werden diese unterschiedlichen Aspekte des Engagements zusammengefasst und eine eigene „Volkshochschule Gurs“ gegründet. Auch Ludwig Beer nimmt intensiv an den verschiedenen Kursen der „Volkshochschule Gurs“ teil. Von Mithäftlingen wird er später als besonders wissbegierig und lernwillig beschrieben.” Ein Foto aus dem Sommer 1939 zeigt ihn mit drei weiteren Genossen beim täglichen Lernen spanischer Vokabeln. Wie wichtig Ludwig Beer das Lernen ist, darüber schreibt er auch in einem Brief aus Gurs an seine Mutter: Liebste Mam! Ich sehe am Beispiel anderer, wie viel ich noch lernen muss. Immer, wenn man glaubt, man kann was, muss man bemerken, dass dies sehr wenig ist, dass es so und so viele Leute gibt, die die Sache besser machen. Lernen ist für Ludwig Beer neben dem Sport, der Ausbildung zum Tischler, der Revolution - in Verbindung mit seinem Mai 2016 37