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kommunistischen Glauben - und dem Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus ein weiteres zentrales Lebensthema. Ein Jahr später schreibt er — ebenfalls aus Frankreich — an seine Mutter: Meine Zeit verbringe ich zum größten Teil mit Lernen und ich glaube ruhig behaupten zu können, dass ich in den letzten zwei Jahren mehr lernte als in allen früheren Jahren zusammen ... hab‘ Spanisch, Französisch, Englisch gelernt. Am 23. August 1939 wird in Moskau der Hitler-Stalin-Pakt abgeschlossen. Bei den internierten österreichischen Interbrigadisten im Lager Gurs ruft dieser „Störfaktor“!° „Verwirrung“!! hervor, „wirbelt einigen Staub auf“.'* Zugleich beruhigen führende Genossen: „Stalin weiß schon, was er tut.“!? Andere werden rückblickend von „einem ersten psychologischen Bruch“'* sprechen. Zwei Jahre später wird der tschechische Spanienkämpfer Alois Neuer in einem Brief an seine Familie zu Hause schreiben: „Seid nicht böse aufden Onkel Josef, dass er sich jenen Rain [d.h. Polen, Anm. KP] mit seinem Nachbarn [NS-Deutschland, Anm. KP] teilte. Er meint es gut mit uns ...“ Im Juni 1940 dringt die Deutsche Wehrmacht, den Atlantik entlang, immer weiter vor. Die Internierten aus dem Lager Gurs werden nun in andere Lager „evakuiert“, die näher am Mittelmeer liegen. Ludwig Beer kommt erneut nach Argeles, mittlerweile ein echtes Hunger-Lager. Eine geregelte Verpflegung gibt es nicht, die Rationen werden weiter gekürzt. Die Ausstattung in den Holzbaracken ist nach wie vor notdürftig, die sanitären Anlagen sind fürchterlich, und sonst nur Sand und viele Sandflöhe. Im April 1941 wird Ludwig Beer mit den anderen österreichischen Spanienkämpfern nach Mont-Louis in den Pyrenäen — nur zehn Kilometer von der spanischen Grenze entfernt, auf 1600 Meter Meereshöhe gelegen - verlegt. Kurz zuvor ergeht von der kommunistischen Parteileitung — diese wiederum folgt einem Beschluss der Komintern — an die Spanienkampfer die Empfehlung, nach Hause zuriickzukehren. Die Leitung gibt sich falschlicherweise der Illusion hin, dass es dank des HitlerStalin-Pakts bei einer Rückkehr keine Repression geben werde und nunmehr für einen längeren Zeitraum bessere Bedingungen für das politische Engagement der eigenen Leute gegeben seien. So gut wie alle Rückkehrer finden sich jedoch binnen kurzer Zeit im KZ wieder. Ausdrücklich ausgenommen von dieser Weisung sind Aktivisten, die nach dem „Anschluss“ besonders im Visier der Nationalsozialisten waren. Auch Ludwig Beer, der zudem einen jüdischen Vater hat, bleibt so weiterhin in Südfrankreich. Schon wenige Tage nach der Ankunft in Mont-Louis gelingt Ludwig Beer die Flucht. Nach einem tagelangen Fußmarsch mit anschließender Bahnfahrt erreicht er Toulouse, von wo er nach Durfort gebracht wird, circa dreißig Kilometer östlich von Toulouse.'° Hier befinden sich bereits seit einigen Monaten Josef Meisel und weitere Genossen. “Sofort und ohne Unterbrechung alles riskieren“. Ludwig Beer wird Teil der Résistance!’ Durfort ist ein kleines Industriedorf. Seit Generationen werden hier Kupferkessel hergestellt. Die Bevölkerung ist daher gemischt: Arbeiter, Bauern und die Dorfhonoratioren. Der Bürgermeister, der Mühlenbesitzer, ist ein erklärter Anhänger von de Gaulle. Die Dorfeliten sind mit ihrer gaullistischen Haltung nicht von der Bevölkerung isoliert, das Gros orientiert sich ebenfalls an der 38 _ ZWISCHENWELT un lege. = Zaagl : Sa Ludwig Beer mit Genossen im Lager Gurs (Sommer 1939). Foto: DÖW, Spanienarchiv politischen Figur des Generals im Exil. Die Wiener Flüchtlinge aus den Lagern sind im Dorf willkommen. Es gibt bei den Einheimischen eine große Bereitschaft zur Unterstützung. Als Ludwig Beer nach Durfort kommt, wird auch sein Aufenthalt umgehend mit dem Bürgermeister geregelt. Untergebracht sind Ludwig Beer, Josef Meisel sowie zwei weitere Genossen in einer alten, bereits verfallenen Mühle, die ebenfalls dem Bürgermeister gehört. Offiziell arbeiten sie als „Holzfäller“ (bücheron) bei einzelnen Bauern. Hauptsächlich sammeln sie jedoch Äste und Zweige für die Bäckerei, die zum Brotbacken benötigt werden. Von den Bauern bekommen sie Milch, Eier etc., vom Bäcker Brot. Von der Parteiorganisation werden sie mit Geld unterstützt. Gegen Ende 1941 hat sich die Stimmung im Lande gedreht. Überall formieren sich Widerstandsgruppen, nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion schließen sich auch die Kommunisten an. Es gibt bereits erste spektakuläre Aktionen und Angriffe auf Einrichtungen der deutschen Armee. Auch ausländische Exilanten und Flüchtlinge rufen eigene Widerstandsorganisationen ins Leben, so etwa die Organisation TA - Travail Allemand oder Travail Anti-Allemand (antideutsche Arbeit). Ende 1941, méglicherweise auch erst Anfang 1942, verlasst Ludwig Beer Durfort. Mit neuen Dokumenten ausgestattet — die Ludwig Beer als Elsässer ausweisen — kann er mit dem Zug bis nach Paris fahren. Hinter der Stadt Mäcon, circa 60 Kilometer nördlich von Lyon, überschreitet Ludwig Beer die Demarkationslinie zu der von den Deutschen besetzten Zone, ohne erkannt zu werden. In Paris angekommen mietet er ein Zimmer, ohne aufzufallen. Umgehend sucht er Kontakt zu seinen Genossen von der TA. Ludwig Beer will so schnell wie möglich aktiver Teil der Resistance werden. Doch in den ersten Wochen passiert zunächst einmal gar nichts, wenngleich Ludwig Beer von der Partei finanziell und mit Lebensmittelkarten unterstützt wird. Welche konkreten Widerstandsaktivitäten Ludwig Beer in der Resistance geleistet hat, lässt sich Jahrzehnte später nicht mehr genau feststellen. Es gelingt — das wissen wir — der TA-Organisation, Ludwig Beer im lothringischen Nancy in eine Dienststelle der Deutschen Wehrmacht „einzubauen.“ Zu seinen Aufgaben als „Eingebauter“ gehört es, die Stimmung unter den Soldaten sowie unter deutschen Zivil- und Militärdienststellen zu erkunden, Dokumente heimlich abzuschreiben und Informationen über geplante militärische Aktivitäten einzuholen. Dabei steht Ludwig Beer in regelmäßigem Kontakt