OCR
nur halbherzig wieder aufgenommenes Studium (seine Gedanken waren mehr bei den verheerenden politischen Entwicklungen) war nach nur wenigen Monaten beendet, als er aus der Schweiz ausgewiesen wurde. Er hatte sich geweigert, der Anordnung der Schweizer Fremdenpolizei Folge zu leisten, einen deutschen Pass zu beantragen. Lester kam dieser Zwang nicht einmal so ungelegen. Er konnte sich nun ganz seiner Liga widmen und kehrte zurück nach Paris. Dort hatte Rheinhardt inzwischen auch Kontakt mit Joseph Roth aufgenommen, und Lester wurde an Roths Stammtisch im Cafe Tournon eingeführt. Dort, so formuliert es Lester später 1972 in einem Vortrag an der Wiener Universität, „fühlte ich nach einer Stunde, dass in diesem von Kitsch, Tabaksqualm und Alkoholdunst erfüllten Raum das Herz der österreichischen Emigration schlug.“ Und dort lernte er viele österreichischen Flüchtlinge kennen, u.a. Martin Fuchs, den Vertreter der Legitimisten, der mit Klaus Dohrn die Pariser Zeitschrift Die Österreichische Post herausgab, und den Schriftsteller Soma Morgenstern, mit dem ihn dann eine lebenslange Freundschaft verband. Morgenstern und Roth erklärten ihre Bereitschaft, in der geplanten Liga mitzuarbeiten. Um Musils Forderung zu entsprechen, wurde die formelle Lösung gefunden, keinen Präsidenten zu nominieren, sondern Werfel gemeinsam mit Joseph Roth und E.A. Rheinhard als Vizepräsidenten zu berufen. Dadurch waren beide Gruppierungen, die an einem selbständigen Österreich interessiert waren, indirekt vertreten. Als Sekretär wurde Lester nominiert. Da er bei Rheinhardt wohnte, bedeutete das in der Praxis, dass diese beiden die Geschäfte führten und Roth und Werfel bei wichtigen Fragen konsultiert und eingebunden wurden. Am Vormittag des 11. März 1939, dem Jahrestag der Besetzung Österreichs, organisierten die Legitimisten eine Gedenkmesse, an der Rheinhardt und Lester als Vertreter der Liga teilnahmen. Die dort geplante Predigt wurde von der französischen Sicherheitsbehörde unterbunden. Die Liga selber veranstaltete im Theater Aydar unweit vom Eiffelturm einen Österreichabend, an dem schätzungsweise 700 Besucher teilnahmen. Auch Franzosen waren unter den Rednern, Vertreter des Vereins Union des Amis de l’Autriche, was wahrscheinlich dazu beigetragen hatte, dass von den französischen Behörden keine Einschränkungen auferlegt wurden. Der Hauptredner des Abends war Rheinhardt, der über Österreichs Geschichte und kulturelle Leistungen referierte. Unter den anderen Vortragenden war auch der französische Schriftsteller Benjamin Cremieux, der, wie ja auch E.A. Rheinhardt, nur wenige Jahre später in einem KZ umkommen sollte. Lester moderierte den Abend und las auch einen Unterstützungsbrief Heinrich Manns vor, in dem die Eigenständigkeit Österreichs betont wurde. Ein voller Erfolg war dieser Abend jedoch nicht ganz, denn die Akustik war so schlecht, dass die Reden nur teilweise verstanden werden konnten. Doch war schon die Tatsache, dass so eine relativ große Veranstaltung überhaupt zustande kommen konnte, bereits ein Erfolg. Es sollte der einzige nach außen sichtbare Auftritt der Liga bleiben, denn der notwendige formelle Bescheid der französischen Behörden, dass die Liga ihre Tätigkeit ofhiziell aufnehmen dürfe, ist niemals erfolgt. Ein weiteres öffentliches Auftreten war daher nicht möglich, doch wurden weiterhin Sitzungen abgehalten, Erklärungen verschickt. Anfang April 1939 fand im geschichtsträchtigen Hotel Lutetia‘ eine Sitzung statt, an der neben Rheinhardt, Roth, Lester und einigen anderen auch der österreichische katholische Historiker und Schriftsteller Walther Tritsch teilnahm. Lester berichtet später, dass bei diesem Treffen eine Diskussion iiber den Inhalt des Begriffes 42 ZWISCHENWELT „Nation Österreich“ entstand. Tritsch erläuterte, dass seiner Meinung nach österreichische Besonderheiten auch in burgundischen "Traditionen am Hofe Maximilians des I. wurzelten, was bei Roth einen Zornesausbruch auslöste, der dann lautstark verkündete, man solle mit diesem sinnlosen Geschwätz aufhören, das einzige, was jetzt noch sinnvoll sei, wäre eine österreichische Truppe unter französischem Kommando zu organisieren, um so den Franzosen im zweifellos bevorstehenden Krieg zur Seite stechen zu können. Wenige Tage später traf Lester den vom Alkohol stark gezeichneten Joseph Roth in seinem Café Le Tournon. Lester hatte sich kurz zuvor an der Cöte d’Azur ein Haus gekauft und bot Roth an, dessen Schulden zu bezahlen, ihn in seinem Auto in den Süden zu fahren und ihn bei sich einzuquartieren, um sich ein wenig zu erholen. Roth meinte, so berichtet Lester, er müsse sich das reiflich überlegen. Das Angebot kam jedenfalls zu spät, Roth wäre wohl gar nicht mehr in der Lage gewesen, diese Reise anzutreten. Ein Monat später verstarb er, was auch der Liga einen schweren Schlag versetzte. Die oben erwähnte Sitzung im April war die letzte, die abgehalten wurde. Die Aktivitäten verschoben sich, jedenfalls für Lester und andere, in den Süden Frankreichs, wo in Le Lavandou eine kleine Gruppe von meist österreichischen Exilanten miteinander verkehrte. Unter anderem verkehrte Lester dort auch mit Egon Erwin Kisch und Hans Weigel. Anfang September, am Tage des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges fuhren Rheinhardt und Lester ins nahegelegene Sanary-sur-Mer, um in Angelegenheiten der Liga Franz Werfel zu treffen. Bald danach wurde Lester als „Feindlicher Ausländer“ im bei Aix-en-Provence gelegenen Anhaltelager Les Milles interniert, wurde aber nach sechs Wochen wieder frei gelassen. Zurück in Le Lavandou, lernte er den österreichischen Schriftsteller Fritz Brügel kennen, der ihn an Julius Deutsch empfahl. Deutsch, der in Paris weilte, hatte damals offenbar sogar versucht mit Hans Rott, dem chem. Staatssekretär in der Schuschnigg-Regierung und mit der Mitwirkung von Martin Fuchs, der den Legitimisten nahe stand, eine österreichische Exilregierung zu bilden. Der Versuch scheiterte, weil die Differenzen zwischen den Sozialisten, die sich ja nicht auf ein österreichisches Programm festlegen wollten, und den Monarchisten zu groß waren und die R.S. jede Zusammenarbeit mit den Austrofaschisten ablehnten. Lester, der bemerkenswerterweise von den französischen Behörden sogar eine Reiseerlaubnis nach Paris erhalten hatte, suchte Julius Deutsch in Paris auf. Es ergab sich daraus aber zunächst noch kein konkreter Plan. Doch erfuhr Lester bei dieser Gelegenheit in Paris von Klaus Dohrn, dem aus Deutschland stammenden katholisch-legitimistischen Exilanten, den Lester in Joseph Roths Freundeskreis kennengelernt hatte, dass die monarchistische Exilzeitschrift Die Österreichische Post verboten worden war, ein Wiedererscheinen zwar vielleicht möglich wäre, dazu aber die Finanzierung fehle. Lester bot nun Klaus Dohrn und Martin Fuchs an, ein Wiedererscheinen der Österreichischen Post als Monatszeitschrift zu finanzieren, allerdings als eine Zeitschrift aller österreichischen Gruppierungen. Man einigte sich rasch; die erste Ausgabe wurde inhaltlich festgelegt und Lester fuhr zurück nach Le Lavandou, um die Erteilung der Genehmigung für die Publikation abzuwarten. Doch wurde diese verweigert und Lester blieb bis auf weiteres ohne konkrete Aufgaben in Le Lavandou. Ein paar Monate später erfuhr Lester von der „Aktion Wasicky“, den erfolgreich erscheinenden Bestrebungen, ein möglichst unpolitisches Office Autrichien zu gründen, das von den Alliierten als Vertretung aller Exilösterreicher in Frankreich anerkannt werden sollte. Der aus Österreichisch-Schlesien stammende Pharmakologe