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Mit einemmal spürte ich die unsägliche Zerschlagenheit der Glieder, nicht mehr Müdigkeit, nur Schmerz. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß diese Füße, die wie Fremdkörper an mir waren, ihren Dienst je wieder wie früher verrichten könnten. Doch was bedeutete die körperliche Erschöpfung gegenüber der Zermürbung Alexander Emanuely Wer war Artur Rosenberg? Artur Rosenberg hat mit seinem 1946 erschienenen Roman „Menschen auf der Straße“ wohl eines der packendsten Zeugnisse der grande deroute, der großen Niederlage Frankreichs 1940, geschrieben. Doch wer war Artur Rosenberg? Zweimal Artur Rosenberg Tatsächlich gab es zwei Exilautoren dieses Namens, und es ist schon vorgekommen, dass man die Lebensdaten und Arbeiten des österreichischen Journalisten und Schriftstellers Artur Rosenberg (1887 — 1969) und des bekannteren Berliner Historikers, Marxisten und KPD-Reichstagsabgeordneten Arthur Rosenberg (1889 — 1943) vermengt hat. Der Autor von „Menschen auf der Straße“ war der am 6. Juli 1887 in Maribor geborene Artur ohne „h“. Sein als Geschäftsmann wenig erfolgreicher Vater zog mit der Familie bald nach Graz, wo Artur dann auch ins Gymnasium ging. Er studierte Geschichte bei Karl Uhlirz und promovierte 1914 mit einer Dissertation zum Ihema „Die Geschichte der Juden in der Steiermark“.' Diese Arbeit erregte damals einige Aufmerksamkeit, war sie doch die erste überhaupt zu dieser Geschichte. Nach dem Weltkrieg verdient Artur Rosenberg dank eines Holzhandels genug Geld, um es ab 1926 als freier Journalist in Paris versuchen zu können. Gleichzeitig ist er aktiv in der Friedensbewegung. Ab 1932 ist er Pariser Korrespondent der „Neuen Freien Presse“ und des „Pester Lloyd“. Er arbeitet auch als Dolmetscher und Übersetzer, so überträgt er 1935 Charles Seignobos Standardwerk „Die Geschichte der französischen Nation“. 1938 ändert sich Artur Rosenbergs Leben und er wird vom Korrespondenten einer der größten österreichischen Tageszeitungen zum Flüchtling. Und 1938 spielt auch der französische Kurort Evian am Genfer See zum ersten Mal in seinem Leben eine zentrale Rolle. Dieser wird 24 Jahre später gleich noch einmal für ihn von Bedeutung sein, als dort 1962 der Algerienkrieg ofhiziell beendet wird. Evian 1938 1938 war der nun im Exil lebende Journalist als Sekretär der vom letzten österreichischen Konsul Martin Fuchs gegründeten Exilorganisation „Entr’aide Autrichien“ Delegierter bei der Konferenz von Evian.? Vertreter von 32 Staaten und etlicher Flüchtlingsorganisationen hatten sich Mitte Juli auf Einladung von Franklin D. Roosevelt getroffen, um Einwanderungsquoten für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland festzulegen. Sichtbares Ergebnis der Konferenz war ein klares Signal, dass niemand diese Flüchtlinge wollte. Artur Rosenberg erleidet das Schicksal vieler Flüchtlinge und wird nach Ausbruch des Krieges interniert. Sein Roman der Nerven? Diese Flucht war über meine Kräfte gegangen, jetzt wurde es mir bewußt. — Eine Stunde war es bis Celle, die würde ich mit dem letzten Aufgebot noch durchhalten. Hätte aber die Flucht auch einen Tag nur länger gedauert, hätte ich den Kampf verloren gegeben. Hinkend schleppte ich mich vorwärts. „Menschen auf der Straße“ beginnt auch mit dem Bericht seiner Flucht aus dem Lager Audierne in der Bretagne, wohin er mit 600 anderen Deutschen und Österreichern aus Paris, darunter Soma Morgenstern, am 5. Juni 1940 gebracht wird. Das drei Wochen lang existierende Lager, in einer ehemaligen Fischkonservenfabrik untergebracht, hat auch Soma Morgenstern ausführlich in seinem Romanbericht „Flucht in Frankreich“ beschrieben.‘ Nach Ausbruch des Krieges ist Artur Rosenberg mit seiner Frau auf der Flucht innerhalb Frankreichs, sie können sich vor den Verfolgern bis zur Befreiung in Savoyen, im knapp 200 EinwohnerInnen zählenden Ort Bourget-en-Huile, verstecken. Dieser liegt übrigens nur knappe 50 Kilometer südlich von Evian. In der Gegend existierte ein bedeutender Maquis unter dem Kommando von „David“ (René Mordeley). Hier fanden schwere Kämpfe statt, bis sich im August 1944 die Deutsche Armee zurückzog. Der Journalist 1945 finden wir Artur Rosenberg in Innsbruck wieder und zwar als Korrespondenten der eben erst von R£sistance-KämpferInnen gegründeten französischen Tageszeitung „Le Monde“. Er publiziert 1946 in der von der ÖVP herausgegebenen Zeitschrift „Österreichische Monatshefte. Blätter für Politik“, deren Chefredakteur Alfred Missong? war, eine der zwei Reden „Zur Jüdischen Frage“. Zwei Reden . Der andere Autor war Eduard Ludwig, 1921 Gründer des Bundespressedienstes, Überlebender des KZ Dachau, ÖVPAbgeordneter. Daneben schreibt ihm Otto Basil Briefe, die dann aber im Nachlass von Andre Breton landen.‘ 1951 bis 1953 ist er Pariskorrespondent von „Die Zeit“. Außerdem wird von ihm in Frankreich auch ein Reiseführer über Österreich herausgegeben. Evian 1962 Im März 1962 werden französische und algerische Vertreter in Evian ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnen, somit nach vielen Monaten Verhandlungen den Algerienkrieg beenden. Ganz diskret, jedoch allen möglichen Quellen zufolge, dürfte Artur Rosenberg eine zentrale Rolle bei den Vorgesprächen zwischen der Regierung de Gaulle und den Vertretern des FLN gespielt haben. So trafen einander für Gespräche ab 1958 in Rosenbergs Wohnung in der 17bis, rue Erlanger im 16. Pariser Arrondissement der algerische Anwalt Ahmed Boumendjel, ein enger Vertrauter von Ferhat Abbas, dem bald ersten provisorischen Staatschef Algeriens, weiters der tunesische Botschafter in Paris Mohamed Masmoudi, der französische Diplomat und Offizier Pierre Ordioni und Gaston Palewski, seit seiner Tätigkeit 1940 als Mai 2016 45