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Transaktionen im Bereich des Kunst- und Antiquitätenhandels nach dem „Anschluss“, die diesen Namen verdienen. „Im Auftrag von Dr. Kallir-Nirenstein und nach gemeinsamer Übereinkunft habe ich die Neue Galerie von 1938 — 1949 in seinem Sinn allein weitergeführt“, schreibt Vita Maria Künstler im Katalog „Otto Kallir-Nirenstein. Ein Wegbereiter österreichischer Kunst“, der anlässlich einer Ausstellung über den Kunsthändler im damaligen Historischen Museum der Stadt Wien (im heutigen Wien Museum) erschienen ist.’ „Die ‚Arisierung‘ erfolgte ohne Geld, d.h. ich konnte das Geschäft nicht kaufen und Dr. Kallir-Nirenstein wollte es auch gar nicht verkaufen, sondern es in verlässlichen Händen wissen. Es handelte sich im ausgesprochenen Sinne um einen Fall sogenannter ‚Tarnung‘“, erklärte Künstler in einer im Jänner 1946 verfassten Darlegung zur Entlastung Leopold Blauensteiners, der 1938 Präsident des Wiener Künstlerhauses sowie Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste in Wien geworden war.® Die Umstände dieser „Arisierung“ sind bemerkenswert, da doch die Vermögensverkehrsstelle (die zentrale Arisierungsbehörde im nationalsozialistischen Wien) darauf bedacht war, Übertragungen, bei denen die Interessen der jüdischen Eigentümer gewahrt blieben, um jeden Preis zu verhindern. Bei der „Arisierung“ von Kunsthandelsbetrieben musste die Vermégensverkehrsstelle Gutachten der Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste einholen. Blauensteiner war, so Vita Künstler, über den Vorgang wie auch darüber, dass sie und ihr Mann überzeugte NSGegner waren, informiert. Blauensteiner habe in seinem Büro im Künstlerhaus eine Aussprache ermöglicht: „Es wurde dabei das Faktum der Tarnung als solches selbstverständlich nicht erwähnt, wohl aber die Zustimmung für die Durchführung der Transaktion entgegenkommenderweise und ohne auf die naheliegenden Gründe einzugehen, zugesagt. Damit hat Professor Blauensteiner die Übernahme der Neuen Galerie durch mich ermöglicht.“ Otto Kallir gelang es auch, den größten Teil der in seinem Eigentum befindlichen Kunstwerke aus dem nationalsozialistischen Österreich auszuführen - und zwar nicht nur Bilder von zeitgenössischen Künstlern, die von den Nationalsozialisten überwiegend als nicht regimekonform und daher nicht bewahrenswert betrachtet wurden, sondern auch zahlreiche Werke von österreichischen Meistern des 19. Jahrhunderts, wie sie Hitler und andere Kunst sammelnde Führungspersönlichkeiten des NS-Staates besonders schätzten. Lediglich einige Werke aus dieser Periode musste er zuriicklassen.!° Dass Kallir eine so große Zahl von Bildern exportieren konnte, dürfte wesentlich auch seinen guten Beziehungen zu Persönlichkeiten der Kunstbürokratie zu verdanken gewesen sein. Unter anderem ist hier der bereits erwähnte Kunsthistoriker Bruno Grimschitz zu nennen, ein Freund Kallirs, der sich nach dem „Anschluss“ als Leiter der Österreichischen Galerie Belvedere etablieren konnte und in dieser Funktion auch an der Enteignung zahlreicher jüdischer Sammlungen beteiligt war. Die Museumsdirektoren wurden vor der Freigabe von wertvolleren Objekten für die Ausfuhr informiert und hatten die Möglichkeiten, Gegenstände für ihr jeweiliges Museum zu erwerben. Jane Kallir bezieht sich in ihren Erinnerungen „Saved from Europe“ auf die Ausführungen ihres Vaters, John Kallir: „(...) a few pieces of a more classical nature Grimschitz turned to the wall, saying, , These we must sacrifice to the gods.‘“.'' In einer früheren Publikation legte Kallir diese Worte allerdings Otto Demus von der damaligen Zentralstelle für Denkmalschutz in den Mund: „‚Das opfern wir 48 _ ZWISCHENWELT den Göttern‘, meinte Dr. Demus vom Denkmalamt, der ihm [Otto Kallir] soweit wie möglich half, zu retten, was zu retten war.“!? Fiir Sophie Lillie ist die Bewertung der Sammlung durch Demus „mehr als zurückhaltend“ ausgefallen. Sie unterstreicht, dass er ausschließlich eine kleine Auswahl der regimegenehmen und keineswegs der wichtigsten Bilder zurückbehalten habe, was auf ein gewisses Entgegenkommen hindeute. Lillie nimmt an, dass wohl auch Vita Künstler bei den entscheidenden Stellen für ihren ehemaligen Chef interveniert hat.'? Bereits im Junil934 hatte Kallir, in weiser Voraussicht, seine aeronautische Sammlung bei Gilhofer & Ranschburg in der Schweiz versteigern lassen und die Erlöse dort deponiert. Er verfügte somit über ein Barvermögen im Ausland, aufgrund dessen er und seine Familie 1938 eine Einreisebewilligung erhielten. Evamarie Kallir, die heute in Wien lebende Tochter Otto Kallirs, datiert die Abreise aus Österreich mit dem 15. Juni 1938. Die Familie bestand damals aus ihr, den Eltern — Otto und Fanny Kallir — sowie ihrem Bruder Johannes (später John). In Luzern habe die Mutter gute Freunde gehabt, die sie schr unterstützten. Zu diesen Personen gehörte eine gebürtige Schweizerin, die Oberin im Rudolfinerhaus in Wien gewesen war, die Stadt aber sofort nach dem „Anschluss“ verlassen hatte.'* Eine Arbeitsgenehmigung wurde Otto Kallir wie allen anderen deutschen und österreichischen Kunsthändlern hingegen verwehrt.'° Dies war der Grund dafür, dass er bald nach Paris übersiedelte, wo er Anfang 1939 in der Rue du Faubourg St. Honoré 50 die Galerie St. Eienne gründete. Während Frankreich Kallir eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erteilte, durfte seine Familie, die weiterhin in Luzern lebte, nicht einreisen. So geriet Kallir in die groteske Situation, bis zur endgiiltigen Emigration in die USA im August 1939 zwischen Frankreich und der Schweiz pendeln zu müssen. Er saß, wie es Jane Kallir formuliert hat, zwischen zwei Stühlen („[he] was sitting between two chairs“).'° Die Tatsache, dass sich ab Mitte der 1930er Jahre im Dritten Reich ein neues Kunstverständnis etabliert hatte, wirkte sich spürbar auf den Kunstmarkt im übrigen Europa aus. Deutsche Meister, etwa der Münchner Schule, konnten nirgendwo besser abgesetzt werden als in Deutschland, wo ab dieser Zeit zahlreiche neue Sammlungen als Statussymbole der NS-Eliten entstanden. Im Gegenzug konnten etwa Werke von Impressionisten, die von deutschen Museen abgestoßen wurden, erworben werden. Während seiner kurzen Aufenthalte in der Schweiz versuchte Kallir, ein Geschäft mit dem deutschen Kunsthändler Otto Buchholz zu arrangieren, der im Auftrag des NS-Propagandaministeriums mit „entarteter Kunst“ aus deutschen Museen handelte. Gemäß den Recherchen von Esther Tisa Francini, Anja Heuss und Georg Kreiss bot Kallir Buchholz in einem Schreiben vom 29. Juli 1939 an, vier beschlagnahmte Bilder von Oskar Kokoschka für insgesamt 1.400 Schweizer Franken von Buchholz zu erwerben und in die USA zu bringen. Das Geschäft sollte über die deutsche Botschaft in Paris abgewickelt werden, doch man wurde sich nicht handelseinig. „Angesichts dieser Geschäftsidee, die von Kallir-Nirenstein ausging, erscheint seine Einstellung zur Auktion ‚Entartete Kunst‘ ein wenig paradox. Einerseits besuchte er während seines Aufenthaltes in der Schweiz die Auktion bei Fischer in Luzern, bot aber aus Protest nicht mit, da er die Auktion für eine Schande hielt.“!7 Inwieweit es gelang, Teile des Eigentums beziehungsweise Firmenvermögens ins Ausland zu transferieren, war ein wesentliches Kriterium dafür, ob ein beruflicher Neubeginn im Zufluchtsland