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ehemaligen Minister der Regierung Schuschnigg Hans Rott und Guido Zernatto in der legitimistischen Bewegung in Frankreich führend aktiv. Auch Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, der Gründer der Paneuropa-Union, beteiligte sich an den Aktivitäten. In der von Klaus Dohm und Martin Fuchs herausgegebenen „Österreichischen Post“ und in Flugblättern, die illegal nach Österreich gebracht und dort verteilt wurden, traten die nach Frankreich emigrierten österreichischen Legitimisten für eine Beilegung der Feindseligkeiten ein, die im Februar 1934 in Österreich zu einem Bürgerkrieg geführt hatten. Doch gleichzeitig sahen sie einzig in der Monarchie eine dauerhafte Existenzmöglichkeit Österreichs.” Eine der kulturellen Vereinigungen, die im französischen Exil entstanden, war der „Cercle Culturel Autrichien“, der erstmals Ende November 1938 mit einer Veranstaltung in Erscheinung trat. Die Gründung einer gesamtösterreichischen Zeitschrift scheiterte an parteipolitischen Gegensätzen der Emigranten. Zum Kreis um Kallir zählte in Paris auch Johannes (später John) Oesterreicher, der vom Judentum zum Katholizismus konvertiert und Geistlicher geworden war und den Nationalsozialisten nur mit knapper Not hatte entkommen können. Oesterreicher hielt später in New York die Begrabnisrede fiir Otto Kallir. Mit der letzten von vier Ausstellungen in Paris im Juni 1939 endete Otto Kallirs Tätigkeit als Galerist aufeuropäischem Boden. Er und seine Familie verließen am 16. August 1939 mit einem der letzten Schiffe vor Kriegsausbruch von Le Havre aus an Bord der „Ile de France“ den europäischen Kontinent. Saved from Europe Die Suche nach dem bestmöglichen Visum für ein Drittland hatte Kallir in Paris intensiv beschäftigt. Durch Unterstützung einiger schwedischer Kunststudenten, die er in Wien kennengelernt hatte, hatte er schwedische Visa bekommen. Gleichzeitig besaß die Familie bereits von Alice Jonas ausgestellte Affidavits — aber keine Visa — für die USA. Alice Jonas war die in den USA geborene frühere Frau von Otto Kallirs Bruder Alfred. Wenige Tage nach dem „Anschluss“ hatte Alice an Fanny Kallir, Ottos Ehefrau, geschrieben und ihre Hilfe angeboten. Bis Juni 1938 war es dem zweiten Ehemann von Alice, Robert Jonas, unter Einsatz eigener Vermögenswerte als Garantie gelungen, Affidavits für die Familie Kallir zu beschaffen. Wie Jane Kallir in ihren Erinnerungen anerkennend anmerkt, war diese Hilfestellung und Generosität der Familie Jonas schon deshalb besonders bemerkenswert, weil Alice von Alfred Kallir nicht sonderlich gut behandelt worden war und ihr neuer Ehemann, ein Farmer im Norden des Bundesstaates New York, keine engere Beziehung zur Familie Kallir hatte. Während des Wartens auf die amerikanischen Visa hatte Otto Kallir die Vorteile eines Exils in Schweden gegen ein Leben in den USA abgewogen. Schweden erschien ihm europäischer und somit weniger bedrohlich. Dagegen sprach aber seine Befürchtung, dass ein Krieg, mit dem er bereits rechnete, möglicherweise auch Schweden erfassen würde. Zudem erschienen Kallir die beruflichen Aussichten in den USA vielversprechender, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nur wenig Englisch sprach. Alice Jonas schickte immer wieder ermutigende Briefe nach Frankreich — „as though taking in four Austrian refugees were as simple as inviting the neighbors to dinner“ (Jane Kallir). Sie schlug vor, die Familie vom Schiff abzuholen und dann auf ihre Farm zu bringen. An 50 ZWISCHENWELT diesem ruhigen Ort sollten sich die Flüchtlinge von der Überfahrt erholen und in Amerika akklimatisieren können. Auch Ottos Cousin Willi Kallir, der 1939 bereits seit etwa einem Jahr in den USA lebte, redete ihm zu, wenn auch weniger überschwänglich. Er bemerkte, dass Amerika, trotz seiner außergewöhnlichen natürlichen Ressourcen und dem relativ hohen Lebensstandard noch unter der wirtschaftlichen Depression leide. Er warnte Otto auch davor, dass einige Aspekte des europäischen Mittelklasselebens — lange Ferien, große Wohnungen, Bedienstete, erlesene Einrichtung — nur den ganz Reichen zur Verfügung stünden. Bei jedem Immigranten gebe es Augenblicke, in denen er das Land verdammen würde - angesichts der grotesken Hässlichkeit der amerikanischen Architektur und des durch die riesigen Entfernungen ausgelösten Gefühls der Lähmung. Doch irgendwann gewöhne man sich daran und lerne die Annehmlichkeiten des Lebens in diesem Teil der Erde zu schätzen.” Bereits im November 1939 eröffnete Kallir im „New York Gallery Building“ an der 57. Straße eine Zweigstelle, wiederum unter dem Namen St. Etienne. Sie wurde zum Hauptsitz der Firma, da das Pariser Geschäft infolge der Kriegsereignisse aufgegeben werden musste.*? Wie schon zuvor in Paris, war Otto Kallir auch in der österreichischen Exilpolitik in den USA aktiv. Neben dem bereits 1938 von Ernst Karl Winter in New York gegründeten „Austro-American Center“, das allerdings primär kulturelle Ziele verfolgte und nicht auf die Schaffung einer österreichischen Exilregierung ausgerichtet war, sind unter den größeren Gruppierungen der österreichischen politischen Emigration unter anderem die bereits am 1. Mai 1939 von Robert Heine Geldern gegründete und im Mai 1940 von Otto Kallir übernommene katholisch-konservative „AustrianAmerican League“ zu nennen, die allerdings nach Gründung des „Free Austrian Movement“ (FAM) in Selbstauflösung begriffen war. Diese von Hans Rott am 16. Oktober 1940 in Toronto gebildete und ab 1942 in New York angesiedelte legitimistische Organisation verfolgte das deklarierte Ziel, eine österreichische Exilregierung zu schaffen. Die FAM manövrierte sich spätestens im Zuge der Bemühungen um die Aufstellung eines eigenen „Österreich-Bataillons“ innerhalb der US-Streitkräfte ins exilpolitische Abseits. Noch 1939 ging das Austro-American Center in der neugegründeten Austro-American-League unter Leitung von Otto Kallir auf. Willibald Plöchl, der Gründer des „Free Austrian National Council“, machte Kallir für die Differenzen, die zwischen ihm und Otto Habsburg entstanden waren, verantwortlich. Im Zusammenhang damit wurde Kallir von Personen aus dem Umfeld Plöchls beim FBI beschuldigt, ein „früherer Agent Hitlers und Mussolinis“ gewesen zu sein und mit Raubkunst gehandelt zu haben. “Eine sehr unglückliche Hand in der Politik“ Gerhardt Plöchl, ein Neffe Willibald Plöchls, hat über die Ereignisse ein vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes herausgegebenes Buch veröffentlicht, in dem Kallir eine zentrale Rolle spielt. Die komplexen, schwer überschaubaren Argumentationen, in denen auch immer wieder auf Kallirs Zeit in Paris Bezug genommen wird, können hier nicht wiedergegeben werden. Das Dokumentationsarchiv veröffentlichte auf seiner