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Lisa Fischer Verborgen im Sternenkreis schläft der schwarze Hund. Vitézslava Kapralova 1940 Eine der faszinierenden Musikerinnen des EntArteOpera-Festivals 2016? ist Vitézslava Kapralova (1915 — 1940). Mit fünf Jahren Klavierunterricht, mit neun die erste Komposition, mit achtzehn die erste Absolventin des Briinner Konservatoriums im Fach Dirigieren und Komposition, mit dreiundzwanzig mit ihrer MilitärSinfonietta als jüngste Dirigentin des BBC Orchestra zu internationalem Ruhm - derart rapid stieg die Karriere des tschechischen Wunderkindes. Die einzelnen Stationen führten von Brünn über Prag nach Paris. In der kosmopolitischen Stadt an der Seine erfuhr die Komponistin wesentliche Prägungen und gelangte zu ihrer musikalischen Reife. Die Pariser Zeit und die Liebesgeschichte zu ihrem um Jahrzehnte älteren Lehrer Bohuslav Martinü hinterließen in den Werken inspirative Spuren. Ihr schöpferisches Ergebnis umfaßt rund 50 Titel darunter 25 mit Opuszahlen. Es besteht aus Orchesterwerken, Kammer- und Vokalmusik. Nach der Annexion der Tschechoslowakischen Republik durch das NS-Regime war eine Rückkehr in die Heimat für sie unmöglich geworden, Paris wurde zum erzwungenen Exil. Als Vit£zslava Kaprälovä 1940 zur Zeit des Einmarsches der deutschen Truppen in Paris im Alter von nur fünfundzwanzig Jahren in Süd-Frankreich starb, war die musikalische Meisterschaft dieser jungen Frau singulär ausgeprägt und formvollendet. Gegen die von Männern besetzten Domänen von Komposition und Dirigat siegten Begabung, fachliches Können und weibliche Eigenständigkeit — als Dirigentin schrieb sie Pioniergeschichte. Kaprälovä gilt mit ihrem CEuvre als wichtigste Repräsentantin der tschechischen Moderne, die im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannt ist, hier gilt es das historische Gedächtnis zu aktivieren. Vitézslava Kaprälovä wurde am 24. Jänner 1915 in dem zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörenden Brünn geboren. Sie war das einzige Kind des Pianisten und Komponisten Väclav Kapräl (1889 — 1947) unter dessen Anleitung sie zu komponieren begann. Bereits mit neun Jahren entstanden erste Jugendwerke. Die Mutter Viktorie Uhlitova (1890 — 1973) war Sopranistin und erteilte der Fünfjährigen Klavierunterricht.* Das Paar heiratete 1913, doch der Vater war als Soldat im Ersten Weltkrieg eingezogen und die Beziehung der Eltern scheiterte. Beide kümmerten sich jedoch weiter um die musikalische Erziehung der Hochbegabten. EntArteOpera 2016 MARSCH DER FRAUEN — Ungehörige Komponistinnen zwischen Aufbruch, Bruch & Exil Das Festival EntArteOpera mit Ausstellung, begleitender Publikation, Konzerten, Opern- und Theateraufführung widmet sich 2016 dem Ihema „entartete“ Musik mit einem Fokus auf Komponistinnen. Es werden sieben Frauen vorgestellt, deren Musik verfemt, diffamiert und verboten, historisch verdrängt und schließlich vergessen wurde. Im Spiegel ihrer Zeit waren sie doppelt ausgegrenzt, zuerst als Frauen und dann als vom NS-Regime Verfemte. Bei der Analyse der vorgestellten Komponistinnen spielt deren Kampf um berufliche Anerkennung als schöpferische 54 ZWISCHENWELT 1924 zog der Vater zu vertiefenden musikalischen Studien nach Paris und Vitezslava verbrachte Wochen im Sanatorium Smokovec in der Hohen Tatra. Erste ernsthafte kompositorische Versuche datieren vom Oktober desselben Jahres.’ Ab dem Alter von neun Jahren komponierte Vitezslava regelmäßig und konnte sich sogar über erste Publikationen freuen. Das Werk Po biti bilohorské — Nach der Schlacht am Weißen Berg widmete sie Tomä$ Garrigue Masaryk, dem Präsidenten der jungen Tschechoslowakischen Republik, der als Symbolfigur der neuen Demokratie galt. Bereits die frühen Werken zeigten das außergewöhnliche Talent des Kindes. Doch der Vater wehrte sich gegen den Wunsch der Tochter, Komponistin zu werden. Es war die Mutter, die Vitezslava 1925, im Alter von nur 15 Jahren, am renommierten Brünner Konservatorium eintragen ließ. Hier studierte sie zwischen 1930 und 1935 bei dem Janäcek-Schüler Vilem Petrzelka Komposition und bei dem Dirigenten Zdenik Chalabala das Handwerk mit dem Taktstock. Sie war die Jüngste und das einzige Mädchen. Als Einzige der Gruppe schloss sie die Ausbildung ab.’ Obwohl von kleiner Status, gelang es ihr spielend mit Charme und Überzeugungskraft zu dominieren.® Beim Schlusskonzert der Absolventinnen und Absolventen des Brünner Konservatoriums dirigierte sie 1935 als erste Frau den ersten Satz ihres Klavierkonzerts in d-Moll. Der Auftritt war ihre Feuerprobe, die sie mit Bravour bestand. Das Stück galt als beste Komposition des Jahrgangs. Es wurde mit dem Frantisck Neumann-Preis ausgezeichnet. Vitezslava war die erste weibliche Absolventin in diesem von Männern dominierten Doppelstudium. Zur Fortsetzung ihrer Ausbildung ging sie nach Prag wo die musikalische Senkrechtstarterin am Konservatorium in die Meisterklasse des Dvoräk-Schülers Vitizslav Novak (1870 — 1949) aufgenommen wurde. Er hatte bereits Vitezslavas Vater unterrichtet und galt als einer der führenden Komponisten der jungen Republik. Als Pädagoge fungierte er als wichtiger Wegbereiter zahlreicher Komponisten der tschechischen Moderne. Darüber hinaus belegte die Studentin bei dem langjährigen Chefdirigenten der Tschechischen Philharmonie, Väclav Talich (1863 — 1961), die Meisterklasse für Dirigieren. Kaprälovä schätzte ihren Lehrer Noväk, setzte ihre eigenen Vorstellungen aber zielbewusst in die Tat um. Ihre Groteske Passacaglia gefiel schließlich nicht nur dem Meister, sondern gewann darüber hinaus auch einen mit Geld dotierten Preis. Mit dem Werk hatte sie sich gegen 24 eingereichte Arbeiten durchgesetzt. '” Frauen eine wichtige Rolle. Sie alle waren Pionierinnen in einem deklarierten Männerberuf, warfen Geschlechterklischees über Bord und brachen mutig Tabus. Eine differenzierte Analyse von Leben und Werk der Komponistinnen zeigt ihre Auseinandersetzung mit den musikalischen Strömungen, ihre Reflexion auf die katastrophalen Auswirkungen des Nationalsozialismus, das Leben im Exil, den Kampf für die Rechte der Frauen und ihre künstlerische Identität in der Musik. Das beachtliche und hörenswerte Werk dieser Komponistinnen können Interessierte im September 2016 in den zahlreichen EntArteOpera-Veranstaltungen unter der Leitung von Susanne Thomasberger wiederentdecken, siche www.entarteopera.com