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Derartige Erfolge waren fulminant. Kaprälovä lebte intensiv, komponierte und inszenierte sich ein buntes Liebesleben oft mit mehreren Partnern gleichzeitig. Doch die Zeiten waren politisch unruhig, die Bedrohung wuchs und die Lage spitzte sich zu. Martinü setzte alle Hebel in Bewegung, um mit Hilfe zahlreicher Kontakte, seinen Schiitzling wieder mit einem Stipendium nach Paris zu holen. Dies gelang erst nach großen Mühen und Kaprälovä kehrte im Jänner 1939 nach Paris zurück. Bereits im März 1939 wurde die Resttschechoslowakei von deutschen Truppen okkupiert. Für Kaprälovä war nun eine Rückkehr in die Heimat unmöglich, Paris wurde zum erzwungenen Exil. Trotz emotionaler Verzweiflung und physischer Erschöpfung begann sie an ihrem Concertino op. 21 für Violine, Klarinette und Orchester zu arbeiten.”” Wie so oft war ihre Bewältigungsform der Krise eine musikalische Antwort. Doch ihren Eltern schrieb sie 1939 traurig: „lt is cold here like in Siberia but not colder than in my heart.“”' In Frankreich existierte noch kurze Zeit ein reges kulturelles Leben. 1939 erhielt sie sogar einen Vertrag mit dem französischen Rundfunk, der ihr erlaubte, eine halbe Stunde im Monat mit eigenen Kompositionen zu füllen.”” Die Liebesbeziehung mit Martinü als aussichtslos erkennend, orientierte sie sich neu. An Verlobten und Heiratsanträgen hatte es ihr bislang nicht gefehlt.” Sie intensivierte die Bekanntschaft mit dem Publizisten und späteren Drehbuchautor Jift (1915 — 1991), dem Sohn des Jugendstilmalers Alphons Mucha. Im April 1940 gab sie dem in die tschechische Exilarmee Eingetretenen das Ja-Wort. Dies gefährdete auch sie nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris. Darüber hinaus war Jif’s Vater Alphons Mucha in der verlorenen Heimat ein renommierter Freimaurer und einer der ersten, der nach der Annexion der Tschechoslowakei von der Gestapo interniert worden war.” Auch Vit£zslava Kaprälovä blieb nur mehr wenig Zeit. Als ob sie ihr nahes Ende ahnen würde, arbeitete sie geradezu fieberhaft — oft an mehreren Kompositionen gleichzeitig, viele davon blieben unvollendet. Ihre Gesundheit wurde zunehmend fragiler und sie musste sich in ärztliche Behandlung begeben. Von dem durch die deutsche Invasion bedrohten Paris wurde sie von ihrem Mann vom Krankenbett weg in das südfranzösische Montpellier gebracht. Hier starb sie am 16. Juni 1940 zu jener Zeit, als Paris in die Hände des NS-Regimes fiel — vermutlich an Tuberkulose.” 1949 wurde die Urne mit ihrer Asche von Paris nach Brno/ Brünn überführt und mit einem festlichen Trauerakt in einem Ehrengrab des lokalen Friedhofs bestattet. 1998 gründete Karla Hartl in Canada die Kapralova Society. Sie setzt es sich zum Ziel, nicht nur Leben und Werk der wichtigsten tschechischen Komponistin zu erforschen und zu promoten, sondern auch die Aufmerksamkeit auf den Beitrag von Frauen im musikalischen Schaffen zu lenken”. Nach wie vor sind Leben und Werk des Wunderkindes vor allem im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannt. Post scriptum Väclav Kapräl wurde 1942 von der Gestapo gefangengenommen und in das südmährische NS-Internierungslager Svatobofice verbracht. Hier studierte er mit weiblichen Mithäftlingen ein Jugendwerk seiner Tochter ein, das diese im Alter von dreizehn Jahren nach einem Gedicht von Jan Neruda komponiert hatte: An meine Mutter.”’ Ex starb bereits 1947. 56 ZWISCHENWELT Bohuslav Martinü, vom NS-Regime durch seine Kontakte zur tschechischen Exilregierung auf die „Schwarze Liste“ gesetzt, mußte um sein Leben fürchten. Die Flucht nach Amerika gelang ihm, zusammen mit seiner Frau, nach einer neun Monate dauernden Odyssee. Pavel Haas wurde durch das NS-Regime wegen seiner jüdischen Abstammung verfolgt und 1941 nach Theresienstadt deportiert, wo er noch komponierte. 1944 in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gebracht, wurde er hier ermordet. Lisa Fischer, Kuratorin der Ausstellung: „MARSCH DER FRAUEN — Ungehörige Komponistinnen zwischen Aufbruch, Bruch & Exil“. Die begleitende Publikation zur Ausstellung von EntArteOpera 2016 erscheint August 2016. Anmerkungen 1 Vitezslava Kaprälovä, Tagebucheintragung 1940, zit. in: Esther Rebecca Neumann: Vitezslava Kaprälovä. Die Komponistin und ihr soziales Umfeld, Dipl. Arbeit, Institut für Musiksoziologie, Wien 2003, S. 2. Im Mährischen Landesmuseum Abteilung Musikgeschichte befinden sich wichtige Hinterlassenschaften, darunter zahlreiche Korrespondenzen und das Tagebuch der Komponistin. 2 Das Festival EntArteOpera mit Ausstellung, begleitender Publikation, Konzerten, Opern- und Theateraufführung widmet sich 2016 dem Thema „entartete“ Musik mit einem Fokus auf Komponistinnen. Es werden sieben Frauen vorgestellt, deren Musik oft als verfemt, diffamiert und verboten, historisch verdrängt und schließlich vergessen wurde. Mehr Infos unter www.entarteopera.com. 3 Karla Hartl: Vitezslava Kaprälovä. An Annotated Life Chronology, in: Karla Hartl, Erik Entwistle: The Kaprälovä Companion, Lanham 2011, S. 121-153, S. 123. 4 Ebd., S. 122 5 Karla Hartl: Vitézslava Kaprälovä. An Annotated Life Chronology, S. 123 und 141. 6 Hanus Weigl: Remembering Kapralova, in: The Kapralova Society, Newsletter, Vol. II. Issue 1, 2004, S. 5. http://www.kapralova.org/JOURNAL.htm 7 Ebd. 8 Jiti Mucha: Au seuil de la nuit, Editions de ’ Aube 1991, S. 75. 9 Karla Hartl: Vitézslava Kapralova. An Annotated Life Chronology, S. 126. 10 Briefan Hanus Weigl 26. XII. 1935, zit. nach HanuS Weigl: Remembering Kapralova in: The Kapralova Society, Newsletter, S. 7. 11 Karla Hartl: Vitézslava Kaprdlova. An Annotated Life Chronology, S. 126. 12 Esther Rebecca Neumann: Vitézslava Kaprdlova, Dipl. Arbeit, S. 31. 13 Jitf Mucha: Au seuil de la nuit, S. 95. 14 Karla Hartl: An annotated Life Chronology, S. 134. 15 Karla Hartl: Vitézslava Kaprdlova. An Annotated Life Chronology, S. 130. 16 Jiti Mucha: Au seuil de la nuit, S. 126. 17 Jiti Crump: Martini and the Symphony, Great Britain 2010, S. 77. 18 Jitf Mucha: Au seuil de la nuit, S. 140. 19 Vgl. dazu Zeitungsausschnitt vom 18.6.1938 abgedruckt in: Esther Rebecca Neumann,:Vitézslava Kapralova, Bildteil S. I. 20 Brief an die Eltern 28. März 1939, private collection, zit. in: Karla Hartl: Introduction, in: The Kaprälovä Companion, S. 4. 21 Ebd., vgl. dazu auch Erika Fronkova: Last Concertino, Ihe Kapraolova Society Newsletter, Volume 2, Issue I, Spring 2004, S. 2. 22 Karla Hartl, Erik Entwistle (Hg.): The Kaprälovä Companion, S. 6. 23 Esther Rebecca Neumann. Vitezslava Kaprälovä. Dipl. Arbeit, S. 11, sie spricht von drei Verlobungen. 24 Jiti Mucha: Au seuil de la nuit, S. 23. 25 Man hatte auch ein Krebsgeschwulst entdeckt, vgl. dazu: Nicolas Derny: Vitézslava Kapralova, S. 165, und Jiri Mucha: Au seuil de la nuit, S. 374. 26 Vgl. dazu: www. kapralova.org/SOCIETY. htm 27 Jiti Mucha: Au seuil de la nuit, S. 74.