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„Liberte!“ (Freiheit!). Das Gedicht wurde in Folge nicht nur in anderen Untergrundzeitschriften publiziert, sondern auch von der „Royal Air Force“ als Flugblatt über ganz Frankreich abgeworfen. Noch 1943 wird Francis Poulenc das Gedicht vertonen. Ab 1943 erschien dann monatlich eine Art Untergrund-Periodikum, vom Umfang cher ein Flugblatt, nämlich „Les pages libres de la Main 4 Plume“ (Die freien Seiten der Hand an der Feder). Die freien Seiten entstanden immer als Kooperation zwischen jeweils einem, einer DichterIn und einem, einer KünstlerIn. AutorInnen waren Péret, Breton, Arnaud, Manuel Viola, Laurence Iché, Robert Rius, Christian Dotremont, KiinstlerInnen waren Pablo Picasso, Oscar Dominguez und die zu diesem Zeitpunkt schon ermordete Tita.”° Die abgetrennten Glieder Als im Sommer 1942 Hans Schönhof in seiner Wohnung 6, rue Vercingétorix in Montparnasse verhaftet und im Cherche-MidiGefängnis interniert wurde, nahm die Polizei seine Personalien auf: Hans Schomonohof, auch als Schénhof und Schoenhoff bekannt, am 15. Janner 1913 in Brno geboren, Beruf: Homme de lettres. Mehr wurde nicht vermerkt. Am 23. September 1942 kam er mit dem 36. Transport aus Drancy in Auschwitz an.” Dieser brachte 1.000 Juden und Jüdinnen, 644 Männer und 342 Frauen und 14 Personen ohne weitere Angaben, unter den 1.000 200 Kinder,” in das Todeslager. In diesem Transport befand sich auch der Choreograf der Pariser Oper René Blum, der Bruder von Léon Blum, der sofort nach Ankunft und nach einem Verhör durch den Lagerkommandanten mit 475 Menschen des Transportes in den Gaskammern ermordet wurde. Hans Schönhof dürfte zu jenen wenigen gehört haben, die nicht gleich ermordet wurden, denn er starb am 2. November 1942. Tita wurde am 16. oder 17. Juli 1942 beim „Rafle du Vel D’Hiv“ (Razzia der Winterradrennbahn) in ihrem Atelier verhaftet. Sie war Jüdin und somit auf jener tausende Namen und Adressen umfassenden Liste, welche in den Wochen zuvor minutiös von der Pariser Polizei zusammengestellt worden war. Die Künstlerin erreichte mit dem Transport Nr. 32 aus Drancy, der ebenfalls ca. 1.000 Juden und Jüdinnen umfasste, am 16. September 1942 Auschwitz. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehörte sie nicht zu jenen 49 Frauen, die nicht sofort in den Gaskammern ermordet wurden.” In Paris hatte die Polizei alle Arbeiten der Künstlerin weggeworfen, so sind heute nur wenige Bilder erhalten: Zeichnungen in „LaMain & Plume“ und ein Ölbild, welches in Pilsen, im von AdolfLoos eingerichteten Brummel-Haus - Titas Mutter war eine geborene Brummel - in der Husova Nr. 58 hängt.” Weiters wurden verhaftet, jedoch bald wieder freigelassen, da die Gestapo und ihre französischen Handlanger von der Carlingue im Sommer 1942 in Paris vor allem Juden und Jüdinnen suchte: Jean-Francois Chabrun, Jacques Bureau, Noél und seine Frau Cécile Arnaud. Jean-Pierre Mulotte, ein 15-jahriger Schiiler, der sich im Juni 1944 der Gruppe angeschlossen und Noél Arnaud seine Gedichte gezeigt hatte, wurde noch im selben Monat auf dem Pont d’Austerlitz erschossen, nachdem er einen SS-Mann angegriffen hatte. In diesen letzten Wochen der deutschen Besatzung hatte die KPF die Losung ausgegeben, dass sich jeder/jede einen Deutschen zu holen habe. Jean-Pierre Mulotte war gerade dabei gewesen, eine Theorie einer Surrealisation der Musik zu verfassen und hatte in seinem Tagebuch notiert, wie er mit den nervenden Klängen aus dem Radio und von den Platten umgehen wolle, um konkrete Musik-Objekte zu gestalten, wie Zitronen-Musik oder SuppenMusik. Bei diesem Musikschaffen wollte er ähnlich wie Max Ernst in der Malerei vorgehen. Der 16-jährige Marco Menegoz, Robert Rius und ein enger Freund, der Herausgeber der mit der „Main & Plume“ kooperierenden Literaturzeitschrift „Cahiers de poésie“ (Hefte der Dichtung) Jean Simonpoli, wurden bei dem Versuch, im Wald von Fontainebleau einen Maquis zu gründen, von deutschen Soldaten gefangen genommen, verhört und gefoltert. Im Juli 1944 wurden sie mit 33 anderen Rösistancekämpfern beim Rückzug der Wehrmacht von dieser ermordet und in einem Massengrab verscharrt. Jean-Claude Diamant-Berger war mit Einheiten des Freien Frankreich in der Normandie gelandet und fielam 8. Juni 1944 bei den Kämpfen um Caen. Der Dichter Marc Patin wurde als Zwangsarbeiter nach Berlin deportiert, wo er in der Argus-MotorenFabrik arbeitete und am 13. März 1944, komplett erschöpft und unterernährt, an einer Pneumonie starb. Nach der Befreiung Während des Zweiten Weltkriegs bildeten sich in ganz Europa Widerstandsgruppen, die aus sehr jungen Mitgliedern bestanden, welche oft gerade ihre Schulzeit oder ihr Studium hinter sich gebracht hatten. Einige dieser Gruppen hatten sich, vom Geist des Surrealismus angesteckt, gebildet. In Frankreich gab es „La Main a Plume“, in Dänemark von 1940 bis 1945 „Helhesten“ (Das Höllenpferd) mit Asger Jorn und seinem Bruder Jorgen Nash. In der Tschechoslowakei war 1942 die Gruppe „RA“ gegründet worden, u.a. mit dem Dichter und Übersetzer Ludvik Kundera, dem berühmten Cousin Milan Kunderas. Von Ludvik Kundera erschien 1947 übrigens ein Essay über die zeitgenössische tschechische Dichtung?” im oben erwähnten „Plan“-Schwerpunktheft zur tschechischen Lyrik. Greta Freist und Gottfried Goebel waren in Paris im Umfeld der „Reverberes“-Gruppe, wenig ist über das Paar aus dieser Zeit zu erfahren, außer gleich im ersten „Plan“ vom Oktober 1945, wo man über Paris-Korrespondent Gottfried Goebel, der schon im Jänner 1938 im allerersten „Plan“ publiziert hatte und 1945 den spannenden Kurz-Essay „Wandlungen der Malerei“ lieferte, erfährt: Gottfried Goebel, geboren 1906 in Wien, ist Maler und lebt seit 1936 in Paris, wo er zusammen mit Wilhelm Thöny die „Vereinigung österreichischer bildender Künstler in Paris“ gründete. 1938 erhielt er den ersten Preis für junge Malerei „Pour que Esprit vive“. Nach Kriegsausbruch meldete er sich zum französischen Arbeitsdienst. 1943 stellte er im Salon d’Automne aus; diese Ausstellung im besetzten Paris wurde unter der Führung von Braque und Matisse zu einer flammenden Kundgebung gegen die Münchener Kunstpolitik. 1944 wurde Goebel von der Gestapo nach Deutschland verschleppt.” Mai 2016 61