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Roland Widder Greta Freist und La Liberation Greta Freist (1904 Weikersdorf — 1993 Paris) studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Rudolf Bacher und Rudolf Jettmar. Während ihres Studiums lernte sie ihren späteren Lebenspartner und Künstlerkollegen Gottfried Goebel kennen. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Heimito von Doderer bewohnte das Künstlerpaar ein Atelier in der Hartäckerstraße in Wien, das zu einem literarischen Treffpunkt wurde, in dem unter anderem auch Elias Canetti und Otto Basil verkehrten. 1936 emigrierte Freist nach Paris, wo sie mehrmals im Salon d’Automne und im Salon des Ind&pendants ausstellte. Stilistisch entwickelte sich Freist vom Realismus über das Surreale hin zum Abstrakten. Bereits vor dem Krieg präsentierte sie ihr Werk im Hagenbund, 1956 in der Wiener Secession, und 1961 widmete ihr das Kulturamt der Stadt Wien eine Ausstellung. Ebenso war sie Mitglied der Künstlergruppe „Der Kreis“ und beteiligte sich an deren Ausstellungen. Greta Freist malt „La Liberation“ zu Kriegsende 1945. Was wie ein verträumtes und weltentrücktes Stillleben anmutet, ist die künstlerische Reaktion auf die Befreiung von der Nazi-Besatzung Frankreichs. Es ist nicht nur ein Bild der Zeit des politischen Umbruchs, sondern steht auch am Wendepunkt der künstlerischprivaten Entwicklung der Malerin, die sich ab den 1950er Jahren zunehmend der abstrakteren Malerei widmet. Bereits 1936 übersiedelt Greta Freist mit ihrem Lebensgefährten Gottfried Goebel in ihre Wahlheimat Paris. Ein Hunger auf Veränderung, auf künstlerische Inspiration und der Wille, das Alte von sich abzustreifen, sind der Antrieb gewesen. Greta Freist lehnt zeitlebens das Heimelig-Brave ab; geboren in Weikersdorf in Niederösterreich und aufgewachsen in kleinbürgerlichem Millieu ist ihr Wien zu eng. Sie lebt und liebt die Durchbrechung der Etikette und die Absage an biedermännische Konventionen. Trotz künstlerischer Erfolge in Österreich und obwohl Greta Freist mit Freunden wie Doderer und Canetti in der Wiener Kunst- und Literaturszene etabliert ist, entscheidet sie sich zur Auswanderung. Der Fortgang ist nicht politisch motiviert. Greta Freist versteht sich selber als Privatmensch und apolitische Künstlerin, die plakative und vereinfachte Bildaussagen meidet und ihre Gefühle und künstlerischen Anliegen in eine symbolische, geheimnisvolle Bildsprache übersetzt. Helga W. Schwarz In „La Liberation“ verdichtet Greta Freist diese, ihre eigene magische Symbolsprache in einem Stillleben mit Porzellanpferdchen um einen Federbaum. Ein Posaunenengel schwebt über dem Arrangement, um ihn ranken sich die künstlichen Blumen der Tapete wie verlebendigt. Das Bild mutet surreal an, es nutzt den Widerspruch zwischen scheinbarer Bewegung bei gleichzeitiger Zeitlosigkeit. Die Pferde stehen still und umkreisen den Baum doch gleichermaßen, der Engel schwebt herein. Die Szenerie hat keinen Ort, die Standfläche ist mit dem Hintergrund verschwommen und jede Bildtiefe ist vermieden. Das Geschehen spielt sich auf einer Vordergrundbühne ab. Von leicht erhöhtem Standpunkt blicken wir auf die plastisch modellierten Figuren. Über einem rosafarbenen Tuch reißt der Hintergrund aufund der Posaunenengel verkündet mit seinem Fanfarenstoß die Freiheit. Die Zeiten sind für Greta Freist turbulent, sie muss miterleben, wie ihre Wahlheimat Frankreich von den eigenen österreichischen Landsleuten besetzt wird. Gottfried Goebel, künstlerisch und privat ihr wichtigster Bezugspunkt, wird interniert, weil er nach dem Anschluss Österreichs offiziell deutscher Staatsbürger ist. Sie selber wird mehrfach wegen Schwarzmarkthandels verhaftet. Umso intimer mutet das Bild an, mit dem Greta Freist ihre Gefühle dieser bewegten Zeit zum Ausdruck bringt. Es ist das ganz Kleine, dem Greta Freist hier eine monumentale Größe gibt: Spielzeug, Tand, das Unauffallige und Kitschige wird in einer symmetrischen Komposition aufgebaut und überhöht. Die altmeisterlich feine Malweise in dieser Schaffensperiode, die Beschränkung der Farbpalette auf Rot- und Blautöne und die klare Abgrenzung der Farbflächen tragen maßgeblich zur Bildsimmung bei. Der Posaunenengel als inhaltliches Zentrum an der Spitze der Figurengruppe begegnet uns auch in einem anderen Werk aus dieser Zeit — „Les angles de la paix“ —, hier eindeutig benannt als Friedenssymbol und -bringer. Greta Freist übersetzt das Weltgeschehen in ein Bild aus scheinbaren Nebensächlichkeiten und komponiert aus dem, was unwichtig erscheint, die Allegorie einer überzeitlichen Freiheit. Zuerst erschienen in: Roland Widder: Bilderreise. Kunsthandel Widder. Wien, Weitra 2014. Versuch einer Vorbetrachtung Die Problematik großer Flüchtlingsströme bestimmt gegenwärtig politische Diskussionen und Alltagsgespräche beinahe weltweit. Trotz täglich neuer Bildberichte in allen modernen Medien stehen aber nie die Ursachen und Verursacher dafür oder gar die Menschenschicksale im Zentrum der Betrachtungen, die sogar Hilfesuchende in Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge aufteilen und gegeneinander ausspielen. Doch ist diese Unterscheidung immer so eindeutig zu treffen? Sind denn nur die Bedrohungen und Folgen unmittelbarer kriegerischer Auseinandersetzungen der aktiven Hilfe für solcherart Vertriebene wert? Oder ist der auf Grund großer wirtschaftlicher Not oder geistiger Bedrängnis und politischer Verfolgung aus seinem Land Geflüchtete nicht ebenso der Unterstützung würdig, damit er überhaupt eine Lebensperspektive hat? Mai 2016 63