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und politischen Gruppierungen ausschlaggebend, zumal Maria Leitners Brüder Johann (Janos Lékai) und Max zu den frühen Mitstreitern des politisch zwischen die Fronten geratenen Willi Münzenberg (1889 — 1940) gehörten. In dieser Zeit hoffte Maria Leitner noch inständig auf Hilfe aus Amerika, vor allem durch Vermittlung von Theodore Dreiser”", für den sie im Juli 1938 in Paris gearbeitet hatte. Im hektographierten Blatt Freie Kunst und Literatur (Paris) ist in der Ausgabe 1/1938 u.a. zu lesen: „Auf der außerordentlichen Konferenz der Internationalen Vereinigung der Schriftsteller für die Verteidigung der Kultur, die am 25. Juli unter dem Vorsitz von Theodore Dreiser in Paris stattfand, sprachen unter den aus dreißig Ländern zusammengekommenen Schriftstellern von deutscher Seite Anna Seghers, Ernst Toller und Rudolf Leonhard ...“ Maria Leitner war vermutlich durch Vermittlung von Anna Seghers während der Konferenztage Dreisers Assistentin. Rasch entwickelte sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. In ihrem Brief vom 11. Dezember 1940 aus Marseille an Theodore Dreiser erinnerte sie ihn an das damalige Paris, „das so heiter war mit ‚Gehsteig-Kaffee und gutem Essen‘, als er sie seine ‚kluge Sekretärin‘ nannte“ — und sie bat: „Könnten Sie mich retten?“ Sie bekennt, dass sie „jetzt ein Sandkorn im Sturm in einem mörderischen Abenteuer“ sei und fügt hinzu: „Wie ich mich doch sehne Amerika wieder zu sehen, Sie zu sehen, zu schreiben. “”' Wie mir Maria Am£ry (geb. Eschenauer) — damals noch Frau des Dr. Rudolf Leitner aus Wien — mitteilte, lagen im Frühjahr 1941 am poste restante Schalter von Marseille Briefe von Theodore Dreiser an Maria Leitner, die irrtümlich ihr übergeben werden sollten - und vermutlich zurückgingen.? Allerdings erwähnte Frau Leitner-Am£ry auch, dass sie bei ihrer Ankunft in New York eindringlich befragt wurde, ob sie die Schriftstellerin Maria Leitner sei. Dabei blieb offen, ob sie von offiziellen Gastgebern oder „Sicherheitsbehörden“ erwartet wurde, denn politisch „Verdächtigen“ sollte die Einreise verwehrt bleiben. In seinem Buch „Auslieferung auf Verlangen“ erwähnt Varian Fry allerdings eine regierungsamtliche Order für seine Hilfsaktionen 1941/42 in Marseille, die ihm jedwede Unterstützung für etwaige Kommunisten oder deren Sympathisanten untersagte (was er jedoch oft zu unterlaufen versuchte). Deshalb hätte aber vermutlich selbst die Bürgschaft eines bekanntermaßen politisch linksstehenden Prominenten wie Theodore Dreiser fiir die VisumErteilung nichts geholfen. Außerdem hatte sie Mitte der 1920er Jahre in den USA die Arbeit ihres Bruders Johann für die Zeitung ungarischer Emigranten, Uj Elöre, aktiv unterstützt. „Hatten Sie mich nicht Ihre kluge Sekretärin genannt? Könnte ich nicht sogar ein wenig nützlich für Sie sein? Sehen Sie keine Möglichkeit zum Erlangen eines Besuchsvisums für mich? Könnten Sie mich nicht retten?“, hatte die Verzweifelte gefragt. Aber dieser Hilferuf an Theodore Dreiser blieb lange unbeantwortet, denn die Post wurde zunächst fehlgeleitet. Kaum jemand wusste zu diesem Zeitpunkt, dass Iheodore Dreiser im Herbst 1938 nach der Rückkehr von seiner Europareise spontan den Entschluss fasste, mit seiner Lebensgefährtin Helen nach Hollywood umzusiedeln. Helen Dreiser berichtete später in ihrer Autobiografie „Mein Leben mit Dreiser“ über diese turbulente Zeit. Maria Leitners Briefe an Theodore Dreiser haben diesen deshalb nur auf Umwegen erreicht. Dreiser antwortete Maria Leitner jedoch dann umgehend, bat aber um ergänzende Angaben zu ihrer Biografie für die Visabearbeitung in New York. Ihr handgeschriebener Antwortbrief vom 20. Mai 1941 gleicht in den wesentlichsten Passagen einem Resümee ihres Lebens: „(...) Ich veröffentlichte einige Bücher über meine Reisen und einen Roman Hotel Amerika, der sehr erfolgreich war und in einigen Sprachen veröffentlicht wurde. Neue Auflagen dieser Bücher und meines neuen Romans”, (als Hintergrund die Bauxit-Minen in Surinams Dschungel, die ich besucht habe), wurden gedruckt, als die Nazis an die Macht kamen. Aber dann wurden meine Bücher verbrannt, und mein Name erschien auf der Schwarzen Liste. Das geschah hauptsächlich, weil viele Berichte von den Lebensbedingungen in Deutschland und der bereits frühen Manifestierungen der Nazis handelten. Ich machte mit dieser Arbeit für antifaschistische Zeitungen weiter, aber natürlich im Geheimen und unter sehr gefährlichen Umständen als die Nazis an die Macht kamen und zeigte die gigantischen deutschen Kriegsvorbereitungen ... Ich wurde in verschiedene KZ-Lager” gesteckt und ich war in der Gefahr von den französischen Behörden an die Deutschen ausgeliefert zu werden. Ich habe immer gegen die Ungerechtigkeit gekämpft und gegen die Nazis, die ich als Gefahr für den Weltfrieden betrachtete. Aber ich war niemals Mitglied einer politischen Partei.”° Lassen Sie mich nicht zu Grunde gehen!!! [...]*?° In diesem Brief nennt Maria Leitner als mögliche Bürgen für ein rettendes USA-Visum Manfred Georg(e) und Kurt Szafranzki, „die sich bereits in Amerika befinden könnten“. Ihnen war Maria Leitner in den Jahren 1925 bis 1933 begegnet, als sie Mitarbeiterin des Ullstein-Verlages war. In diesem bis zu seiner „Arisierung“ 1933 größten Berliner Verlagsunternehmens war Manfred Georg (1893 — 1965) der Chef der Feuilleton-Redaktion der Abendzeitung Tempo, für die sie regelmäßig schrieb.” Und Kurt Szafranzki (1890 — 1960) machte eine steile Karriere vom Zeichner zum Umbruch-Redakteur und Geschäftsführer der Berliner Illustrirten Zeitung’. Maria Leitner kannte ihn vermutlich seit 1923 vom Axel Juncker Verlag, für den er als Zeichner arbeitete, als sie dort ihre Tibetanischen Märchen” herausgab. 1931 veröffentlichte die Berliner Ilustrirte ihre Reportageserie über die Teufelsinseln. Nach 1933 mussten Georg(e) und Kurt Szafranski emigrieren. Beiden gelang die Flucht in die USA, wo Ersterer das bis dahin bescheidene Mitteilungsblatt Aufbau zu einer angeschenen, auflagenstarken Wochenzeitung vornehmlich für die deutschsprachigen jüdischen Emigranten entwickelte. Der künstlerisch begabte Medienprofi Kurt Szafranski fand in New York zusammen mit seinem ehemaligen Ullstein-Gefährten Kurt Korff eine neue Aufgabe beim legendären LIFE Magazine und führte es zu nachhaltigem Erfolg. Der jedoch kurz vor ihrem tragischen Lebensende in Marseille unternommene Versuch einer Kontaktaufnahme Maria Leitners über Theodore Dreiser mit ihrem früheren „Chef“ kam zu spät und musste erfolglos bleiben. Doch auch im günstigsten Fall hätten diese ihr nur direkt in den USA weiterhelfen können. Auch Hubertus Prinz zu Löwenstein war ratlos und hatte am 31. März 1941 seinem Brief an „Herrn Alfred Kantorowitz in New York“ ein Hilfeersuchen von Maria Leitner mit den Worten beigefügt „[...] jetzt kann ich einfach nichts mehr machen - ich habe alles versucht. Das Emergency Rescue Committee war unfähig (oder unwillig!) ihr ein Affidavit zu verschaffen ... Die American Writers haben nichts getan! Bitte helfen Sie!“ Was wohl kaum jemand wusste — oder wissen wollte — war die Tatsache, dass nicht nur das Emergency Rescue Committee (ERC)?!, sondern alle von den USA aus agierenden Hilfsorganisationen Mai 2016 6/