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Leidvolle Erinnerungen werden preisgegeben, etwa in dem erschütternden Monolog der Zigeunerkönigin Rita, die Lagerstrukturen werden auch im Zug „in die Freiheit“ nicht abgelegt, alte und neue Tode werden gestorben, während sich das Dampfroß mit dem rhythmisch stampfenden Lied des Lokführers wieder einem Lager (Mauthausen?) nähert. Es sind Momente epischen Theaters, mit denen Gatti versucht, dem Requiem zu entgehen. In der Theaterarbeit im Wiener Dramatischen Zentrum hat er jeden Tag das Schema einiger Szenen vorgegeben, das von den Teilnehmern kollektiv aufgefüllt wurde. Nachts entstand sein Text. Ein Text mit aktuellem Wien-Bezug, warb man hier doch gerade für einen Präsidentschaftskandidaten, der alles vergessen und nur seine Pflicht getan hatte. Mit dieser création collective wurde die Gefahr eines Entgleitens in einen vorfabrizierten Theatertext (alle Teilnehmer waren ähnlich der Brechtschen Radiotheorie zugleich Sender und Empfänger) vermieden und somit auch die Prolongierung des Schweigens. Wie schon in der kollektiven Spurensuche rund um den Tod des Widerstandskämpfers Roger Rouxel führten auch „Die sieben Möglichkeiten des Zuges von Auschwitz“ plötzlich zu einer Vertiefung der individuellen Narrative. Die tragischen historischen Lager-Ereignisse und Erinnerungen hatten plötzlich mit dem aktuellen Alltag aller Mitwirkenden zu tun. „Aktivisierung“ hätte Brecht diese Vorgangsweise genannt: aktionistisch, aggressiv, reinigend und somit wieder unbrechtisch (da kathartisch) wurde diese creation collective zu interaktiver Alexander Emanuely Frankreich Chronik: 1933 bis 1946 1933 30.1.: Hitler wird deutscher Reichskanzler 4.3.: Bundeskanzler Dollfuß verkündet die „Selbstausschaltung des Parlaments“ und regiert mit dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz. Es folgen Versammlungsverbot und Zensur. 15.3.: Wiederzusammentritt des österr. Parlaments wird durch die Polizei verhindert. 26.5.: Auf Initiative von Gaston Bergery (später Kollaborateur) wird in Frankreich eine überparteiliche antifaschistische Einheitsfront gegründet. 29.9.: Gründung der französischen faschistischen Partei der Frankistischen Bewegung durch den späteren Kollaborateur Marcel Bucard. 2.11.: Der Deutsche Klub in Paris organisiert das Konzert der Vertriebenen unter Walter Jacob an der Universit& du Parthenon, 64 rue du Rocher. 12.12: Pariser Tageblatt. Quotidien en langue allemande (1936: Le quotidien de Paris en langue allemande) erscheint bis 14. Juni 1936 in Paris. Österr. MitarbeiterInnen: Frank Arnau, Raoul Auernheimer, Oskar Baum, Vicki Baum, Max Beer, Moshe Ya’akov Ben-Gavriel, Franz Blei, Robert Blum, Max und Otto Brod, Ferdinand Bruckner, Albert Ehrenstein, Theodor Fanta, Bruno Frei, Paul Frischauer, Anna Gmeyner, Fritz Gross, Fritz Grünbaum, Arnold Höllriegel, Ludwig Huyn, Fritz Jellinek, Joseph Kalmer, Lili Körber, Arthur Koestler, Rudolf J. Kreutz, Anton Kuh, Leo Lania, Robert Musil, Hans Natonek, Alfred Polgar, Emil Alphons Rheinhardt, Alexander Roda Roda, Arthur Rosenberg, Josef Roth, Friedrich Torberg, Karl und Walter Tschuppik, Johannes Urzidil, Joseph Wechsberg, Hermynia Zur Mühlen, Stefan Zweig u.a. 72 ZWISCHENWELT Trauerarbeit, das Persönliche politisch. So wurde ein mitwirkender Waldheim-Anhänger „umgedreht“ (er arbeitete später mehrfach mit Gatti zusammen) und zwei Herren in grauen Business-Anzügen, die nur zuschen wollten, wurden in die Zugbesatzung eingegliedert. Es stellte sich später heraus, daß sie nicht von der Stapo waren, sondern Emissäre des Kontrollamtes der Stadt Wien, die offenbar wissen wollten, wofür die schmalen finanziellen Zuwendungen an das Dramatische Zentrum verwendet würden. Gattis paroles errantes waren auch in diesen kleinen anekdotischen Details auf fruchtbaren Boden gefallen. Anmerkungen 1 In: Travail Théatral, printemps 1971, 15. 2 Wolfgang Schuch in seinen Anmerkungen zur Dramatik von Armand Gatti. In: Armand Gatti. Stiicke, Berlin 1970, 461. 3a.a.O., 459 f. 4 Zitiert nach Gérard Gozlan, Jean-Louis Pays: Gatti aujourd’hui, Paris 1970, 239. 5 Siegfried Kienzle: Modernes Welttheater, Stuttgart 1966, 210. 6 „L’Enclos“ wurde in Jugoslawien (Slowenien) in Schwarz-Weiß gedreht, Dauer: 1 Stunde, 45 Minuten. Es handelt sich um eine französisch-jugoslawische Koproduktion von Clavis-Films (Paris) und Triglav-Films (Ljubljana) 1960. Die zahlreichen Laiendarsteller, großteils aus Slowenien, hatten zu drei Viertel persönliche Lagererfahrung. 7 In: CEuvtes theätrales, Lagrasse 1991, Band III, 851 ff. Frankreich (F): Bildung von vier Regierungen bis Ende des Jahres (Regierungen Paul-Boncour, Daladier, Sarraut, Chautemps). 1934 6.2.: Putschversuch faschistischer Gruppierungen in Paris, darunter La jeunesse patriotique, die Frankistische Bewegung und die Solidarité frangaise, teilweise unterstützt von Monarchisten wie der Action frangaise (Charles Maurras), vom rechten Veteranenverband Croix-defeu (colonel de la Rocque) und anderen antirepublikanischen Kräften, 16 Tote beim Kampf mit der Polizei. 7.2.: Rücktritt der seit 30.1. amtierenden französischen Mitte-LinksRegierung von Edouard Daladier 12.-15.2.: Februarkämpfe in Österreich. 25.7.: Juli-Putsch der Nationalsozialisten in Österreich. Ermordung von Dollfuß. August: In Paris erscheint Der Schriftsteller. Zeitschrift des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller. Weitere Ausgaben erscheinen im Juli 1937 und November 1938, hg. vom Schutzverband Deutscher Schriftsteller, Sektion Frankreich, redigiert von Rudolf Leonhard. Österr. MitarbeiterInnen: Albert Ehrenstein, Bruno Frei, Arthur Holitscher, Arthur Koestler, Josef Roth, Berthold Viertel, Franz Werfel, Stefan Zweig. F: Bildung von vier Regierungen bis Ende des Jahres (Regierungen Chautemps, Daladier, Doumergue, Flandin). 1935 17.1.: Deutsche Freiheit. Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands, seit 21. Juni 1933 täglich in Saarbrücken (wich wiederholt kurzfristig nach Straßburg aus), erscheint zum letzten Mal.