Erika Mitterer
Der Vertriebene
Ich stehe vor einem Haus; es wohnen
fremde Menschen darin. Sie gaben mir Zuflucht.
Die Bläue des Himmels erinnert an Heimat
wie die Blumen mit all ihren leuchtenden Namen,
andern als jenen im Land, das uns ausstieß,
zufällig angeworfenen Namen.
Ein Bauer betrachtet die Furchen des Ackers. Ein Bauer,
wie ich zu Hause gar oft einen stehn sah,
im prüfenden Blick Vertrauen und Vorsicht,
Gefühle des Mannes.
Mir aber, was frommt mir? Mißtrauen und Blindmut,
der Abenteurer freche Gelüste, Blicke
auf Frauen zu werfen wie auf Tomaten,
die an umzäunten Stauden reifen...
Sag es mir Mond, der dort hinterm Waldsaum hervorschwebt:
Warum lebe ich noch?
Zerbrochen war mir das Werk meiner Hände,
im Seewind zerflatterten alle Gedanken.
Mein Knabe lernt höflich sein unter Händlern
und mein Weib scheuert irgendwo schmutzige Böden.
Ich bin allein wie das Kalb einer erschossenen Hinde,
wie ein krankes Tier, das vom Rudel verstoßen,
nichts besseres weiß, als die Wunden zu lecken.
Ich sinne und sinne: Was hab ich getan?
Unser sind Viele. Das kann keinen trösten. So ziehn wir,
Schemen Verfolgter, von Türe zu Türe,
bettelnd wie Pilger vergangener Zeiten.
Doch nicht steht am Ende des Weges die Gottheit,
der wir den Staub von den Füßen zu küssen
kamen von weither — ach, und vertrieben
hat uns kein Gott aus den lieblichen Tälern,
hat uns kein Gott von den schimmernden Bergen
und aus den fröhlichen Städten der Heimat...
Mann mit dem Pflug, du verstehst nicht die Rede,
wende den Blick der redlichen Prüfung
wieder der schwarzen, fruchtbaren Erde
zu, daß sie Kinder und Enkel ernähre —
säe den Samen und laß mich enteilen....
Erstveröffentlicht in Erika Mitterer: Zwölf Gedichte. 1933-1945.
Wien: Ilse Luckmann 1946, 5. 10-11.
Joseph Kalmers begeisterte Besprechung des schmalen Bandes im
Londoner „Zeitspiegel“ (No. 33, 17.8.1946, S. 11) nimmt fast eine
ganze Druckseite ein. Mitterer habe, schreibt Kalmer, mit ihren
ZWÖLF GEDICHTEN den Beweis erbracht, „daß die innere Emig¬
ration der Zu-Hause-Gebliebenen etwas Positives geleistet hat“. Noch
ausführlicher als Kalmer geht Ernst Waldinger in seiner Besprechung
in der New Yorker „Austro American Tribune“ (November 1946, S.
4) auf das Buch ein. „Dies“, schreibt er, „ist das erste österreichische
Versbuch seit der Befreiung des Landes, das zu unseren Herzen spricht;
es ist das erste mit jenem unvergleichlichen Seelenklima, das unsere
besten menschlichen Eigenschaften mitformte.“ Und weiter unten:
„Erika Mitterers Sympathie mit den Vertriebenen begann, wie aus
dem Datum hervorgeht, mit dem Augenblick, da die Vertreibung
anfing, und ist nicht eine Konjunkturangelegenheit, wie sie uns heute
gleich widerlich und empörend entgegentritt.“
Erika Mitterer (1906 - 2001) hat mit ihrem Roman „Der Fürst
der Welt“ (Hamburg 1940, mehrfach wiederaufgelegt), wohl den
bedeutendsten Beitrag zur Literatur der „Inneren Emigration“ in
Österreich geleistet. Er durfte, nachdem seine „antinazistische Ten¬
denz“ durch eine Rezension der norwegischen Übersetzung publik
wurde, nicht mehr weiter verbreitet werden. (Ironie am Rande: Im
„Lexikon der österreichischen Exilliteratur“, Wien 2000, besserte eine
eifrige Lektorin, gelernte Germanistin, ohne Rückfrage bei den Auto¬
ren „antinazistisch“ auf „antisemitisch“ aus, was leider erst ruchbar
wurde, als das Lexikon nach kürzester Zeit nicht mehr lieferbar war.)
Wir danken Martin G. Petrowsky (Erika Mitterer Gesellschaft) für
die freundliche Abdruckgenehmigung.
staatstragend
heißen sie uns
den gürtel
enger schnallen
die herrn hingegen
gefallen sich
in maßgeschneidertem
ohne leibriemen
es wäre ihm
ein leichtes gewesen
über den laufkäfer
hinwegzusteigen
allein die lust
erzwang sein tun
bedenkenlos also
zertrat der riese
das insekt