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unterschiedlichen sprachlichen und BildungsKapitals und durch Lebensgeschichten angehäuften, sozial gesehen positiven und negativen Wissens. Was passiert, wenn zwei solche Positionen — diejenigen der Mehrheitsangehörigen und diejenigen der Subalternen — aufeinandertreffen mit der Absicht eines gemeinsamen solidarischen Kampfes für ein besseres Morgen? Was ist dieses Morgen? Ist es nur eine sichere Existenz im Westen, wie es sich viele der Refugees erträumen, oder die Veränderung eines kapitalistischen Systems, das durch die Triade Rasse-Klasse-Geschlecht funktioniert und sich Uber Moshé Feldenkrais Über das außergewöhnliche Leben von Moshé Feldenkrais (1904 — 1984), dem Begründer einer nach ihm benannten Körpertherapie, der sich heute zahlreiche Institute widmen, war bislang fast nichts bekannt. Der Berliner Journalist Christian Buckard, der 2004 eine wichtige Biographie über Arthur Koester veröffentlichte, hat nun erstmals in einem informativen und genau recherchierten Buch den ungewöhnlichen Lebensweg von Feldenkrais beschrieben. Feldenkrais wuchs in einer wohlhabenden, traditionell jüdischen Familie von Holzhändlern in Slawuta, Kremenez und Baranowicze in der Ukraine beziehungsweise im heutigen Weißrußland auf. Ein besonderes Naheverhältnis hatte er zu seiner gebildeten und sozial aktiven Mutter Sheindel, die ihm später nach Palästina folgte. Seine Jugend war von Pogromen geprägt. 1919, auf der Flucht vor den kämpfenden polnischen und russischen Armeen, machte sich Feldenkrais mit vier anderen Jugendlichen über Bialystok, der Bipolarität des internationalen Kapitals und der nationalen Sicherheitssysteme bedient? In diesem Buch ist keine Frage unwichtig und es liest sich auch bis zum Ende als ein Buch der Fragen. Es sind alle jene Fragen, die wir uns in diversen politischen und auch sonstigen Zusammenhängen stellen: Wie steht es mit der Religion, wenn es darum geht, um Rechte zu kämpfen? Wie steht es mit der Liebe, wenn es darum geht, das individuelle Begehren und kollektive Zielsetzungen in eine Ubereinstimmung zu bringen? Welche Formen von Solidaritat gibt es und wie entfaltet sich diese innerhalb eines konkreten politischen Prozesses? Monika Mokre Warschau, Krakau, Bratislava, Wien und Fiume auf den Weg nach Palästina. Im Laufe der Reise schlossen sich der Gruppe fast 400 weitere Jugendliche an. In Palästina herrschte damals ein Bauboom; Feldenkrais wurde ein stolzer Bauarbeiter in Tel Aviv; laut Buckard arbeitete er an 83 Häusern mit. Weiters lernte er Jiu-Jitsu, worüber er ein Buch schrieb, und wurde Mitglied der Haganah. Er lernte auch im Tanzstudio der Wienerin Margalit Ornstein und maturierte am hebräischen Gymnasium von Tel Aviv. 1930 ging Feldenkrais nach Paris, wo er Ingenieurwissenschaften studierte und die spätere Ärztin Yona Rubinstein heiratete. Er lernte und publizierte über Judo und arbeitete als Nukleartechniker im Labor von Irene Joliot-Curie und Frederic Joliot. 1940 flüchtete er nach Großbritannien, wo er in der U-Boot-Abteilung der britischen Admiralität in Schottland arbeitete. In London lernte Feldenkrais den Dichter Franz Wurm kennen; dessen Freund Paul Celan Das jüdische Museum in der Dorotheergasse zeigte bis zum 6. März in einer Kleinausstellung Postkarten und Dokumente aus dem Getto LödZ, zu der ein informatives Begleitbuch erschienen ist. Die Ausstellung basiert auf einem bisher kaum beachteten Bestand von 22.000 Postkarten im polnischen Staatsarchiv in Lödz; 3.400 davon können den Wiener Iransporten zugeordnet werden. Hannelore Steinert und Angelika Brechelmacher analysieren diesen Bestand in ihren Beiträgen. Brechelmacher hat sich zuvor bereits in einem Film über die beiden Überlebenden Grete Stern und Hella Fixel mit der Geschichte des Gettos befasst. Hanno Loewy verfasste für das Buch einen Aufsatz über Tagebücher und Chroniken; er hatte 1994 das erschütternde Tagebuch des Wiener Journalisten Oskar Rosenfeld aus dem Getto Lödz „Wozu noch Welt“ herausgegeben. Regina Wonisch schreibt über Gettofotografen, Florian Freund über die nach Lödz deportierten Roma und Sinti. In einem Abschnitt werden die Kurzbiographien einiger Deportierter beschrieben, unter ihnen sechs Jugendliche aus dem jüdischen Waisenheim in der Grünentorgasse und Alice Chana hat ein in migrationshistorischer, strategischer, politiktheoretischer Hinsicht wichtiges Buch geschrieben und es bleibt ihr nicht nur viele LeserInnen, sondern auch viele MitkämpferInnen in einem der zentralen politischen Kämpfe heutzutage zu wünschen. Ljubomir Bratid Monika Mokre: Solidarität als Übersetzung. Überlegungen zum Refugee Protest Camp Vienna. Hg. von Andrea Hummer. Wien u.a. transversal texts 2015. 239 5. € 15,vermittelte ihn zum Suhrkamp Verlag, wo seine Bücher, einige in Wurms Übersetzung aus dem Englischen, fortan erschienen. 1950 kehrte Feldenkrais nach Israel zurück, wo er die erste Generation der Feldenkrais-Lehrer ausbildete. Seine berühmtesten Schüler waren David BenGurion, Moshe Dayan, Yitzchak Ben-Zvi und Yehudi Menuhin. In den siebziger Jahren lehrte erauch in den USA, Kanada und in Westeuropa. Buckard beschreibt eindrücklich nicht nur den Menschen Feldenkrais, sondern auch seine Schüler und engsten Freunde wie den israelischen Schauspieler Aharon Meskin und die Familie Wolgensinger in Zürich. EA. Christian Buckard: Moshe Feldenkrais. Der Mensch hinter der Methode. Berlin: Berlin Verlag 2015. 366 S. € 24,70 de Buton, der einzigen weiblichen Autorin der halbofhziellen Lödzer Getto Chronik, die 2007 in fünf Bänden publiziert wurde. Von 5.000 Wiener Juden und Jüdinnen, die nach LödZ deportiert wurden, überlebten 34. E.A. Angelika Brechelmacher, Bertrand Perz, Regina Wonisch (Hg.): Post 41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt. Reports from Litemannstadt Ghetto. Ein Gedenkbuch. A memorial book. Wien: Mandelbaum 2015. 301 S. € 29,90 Mai 2016 89