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(2002) steht als Geburtsdatum: „20.12.1899 Österreich“. Arnold Wiznitzer war aus der gemeinsamen Wiener Studienzeit ein enger Freund des großen österreichisch-jüdischen Historikers Salo W. Baron (1895 — 1989). Studiert haben Wiznitzer und Baron an der ,, Wiener Israelitisch theologischen Lehranstalt“, abgekürzt ITLA, wie sich das in der österreichischen Hauptstadt beheimatete Rabbinerseminar ofhziell nannte. Ich vermute, dass auch der Rabbiner und Kantor Mendel Diesendruck (S. 147f.) an der ITLA studiert hat. Jürgens nennt in der entsprechenden Passage über seine Ausbildung eine „Rabbinerschule“. (Das Wort „Rabbinerschule“ findet sich allerdings im Eintrag über Diesendruck im bereits zitieren Handbuch). Jürgens nennt als Geburtsjahr 1903. Im Handbuch steht: „30.6.1902“. Diesendruck war ab 1952 Rabbiner in Säo Paulo in Brasilien. Auch Wiznitzer lebte bis zu seiner Auswanderung 1950 in die USA als Exporteur in Rio de Janeiro. In Los Angeles lehrte er an der University of Judaism, einer Ausbildungsstätte der konservativen Denomination des amerikanischen Judentums. Jürgens hat ein lesenswertes Buch mit vielen berührenden Fotos geschrieben; es ist ein kleiner, wichtiger Mosaikstein der Exilforschung. Das Buch ist der erste Band der Reihe edition lusofon, herausgegeben von Univ. Prof. Dr. Kathrin Sartingen vom Institut für Romanistik der Universität Wien, die auch das Vorwort schrieb. Die Steiermark war eine der Hochburgen des österreichischen Nationalsozialismus. Bereits während der Monarchie errangen dort deutschvölkisches Denken, Slawenhass und Antisemitismus — verstärkt durch ein reges Vereinsleben — vor allem unter mittelstandischen und provinzbiirgerlichen Schichten vielfach die kulturelle Hegemonie. Dieses Fundament war in der Endphase der Ersten Republik — nicht nur durch Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit begiinstigt — durch die steirische NSDAP noch wesentlich verbreitert worden. So konnte die Nazipartei — wahrend im restlichen Osterreich das Gros der Heimwehren letztlich den Kurs von Dollfuß unterstützte — die organisatorische Erbschaft der militanten Wehrformation Steirischer Heimatschutz antreten. Unter anderem durch die Personalpolitik der ÖsterreichischAlpinen Montangesellschaft wurden auch Teile der obersteirischen Industriearbeiter gewonnen und ebenso gelangen Einbrüche in die Bauernschaft, die anderswo gegenüber dem Nationalsozialismus in höherem Maß als übrige Bevölkerungsgruppen resistent geblieben war. Hier hatte der antiklerikale Landbund Vorarbeit geleistet, dessen Bauernwehren sich auch am NS-Putsch 1934 beteiligten. Und nicht zuletzt waren es die Zentren der Evangelischen Kirche im Ennstal, die sich zur Gänze im braunen Lager sammelten. Entscheidend verstärkt wurde die NSDAP noch durch das Gewicht der Universitätsstadt Graz, deren Studenten- und Akademikerschaft zu den Stützen des Nationalsozialismus zählte. Im vorliegenden Sammelband werden vorwiegend quellenzentriert die Binnenstrukturen der illegalen steirischen NSDAP zwischen Juni 1933 und März 1938 erforscht, was weitergehenden Analysen solide und unverzichtbare Grundlagen bietet. Martin Moll beschreibt in seinem Aufsatz den Weg des Steirischen Heimatschutzes vom ursprünglichen Konkurrenzfaschismus bis zur Fusion mit der NSDAP. Ehemalige Führer des 94 ZWISCHENWELT Heimatschutzes (Meyszner, Rauter, Kammerhofer) waren in der Folge in höchsten SS-Rängen aktiv an NS-Verbrechen beteiligt. Besonders materialreich sind die Beiträge des Regionalhistorikers Herbert Blatnik ausgefallen. Seine Organisationsgeschichte der SA zeigt die Logistik der Gewaltexzesse und das Konfliktfeld zwischen Terrormethoden und der von vielen NS-Aktivisten als Verrat empfundenen Unterwanderungsstrategie nach 1934. Er schildert auch die fatalen Folgen der Infiltration von Gendarmerie, Bundesheer und Justiz: Die steirischen Richter waren zur Hälfte dem Umfeld der NSDAP zuzurechnen. Weiters untersucht er die Propagandaarbeit und das Bemühen um Sozialdemokraten nach dem Februar 1934. Ein beklemmendes Sittenbild krimineller Energie mit hohem Blutzoll bietet Blatniks anhand vieler lokaler Details dicht dokumentierter Beitrag über Vorgeschichte und Verlauf des NS-Putschversuches in der Steiermark. Durch das Vorpreschen der Steirer wurden — entgegen der vorerst reservierten Haltung der österreichischen SA-Führung in München - auch andere Bundesländer noch nach dem Scheitern des SS-Putsches in Wien mitgerissen. Insgesamt kam jeder zweite österreichische Juliputschist aus der Steiermark. Mit den steirischen Naziflüchtlingen innerhalb der im Deutschen Reich stationierten Österreichischen Legion setzt sich Hans Schafranek (Verfasser des Standardwerkes Söldner für den „Anschluss“. Die Österreichische Legion 19331938) auseinander. Schafranek hat gründliche Pionierarbeit geleistet und 14.945 Datensätze von namentlich erfassten Angehörigen der Österreichischen Legion ausgewertet. Dadurch konnte er regionale und lokale Herkunft, Altersstruktur, NS-Organisationsdichte und Berufsstruktur der Legionäre aus der Steiermark dokumentieren und eine Auflistung von Kurzbiographien steirischer Legionäre mit höherem SA-Rang anschließen. Die Forschung muss jedoch weitergehen. Auf S.193 schreibt Jürgens: „Einen genauen Überblick darüber zu erhalten, wann wie viele Flüchtlinge nach Portugal kommen, wie lange sie sich aufhalten und wann sie das Land verlassen, ist schwierig.“ Mag.’ Katrin Sippel, die neue Geschäftsführerin der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung, arbeitet derzeit an einem Forschungsprojekt zum gleichen Thema. Auf die Ergebnisse sind wir sehr gespannt. EA. Uli Jürgens: Ziegensteig ins Paradies. Exilland Portugal. Wien: Mandelbaum 2015. 222 S. €19,90 In einem weiteren Beitrag schildert Schafranek in nahezu minutiöser Präzision NS-Fememorde während des Ständestaates und gibt Beispiele, wie an „Verrätern“ bestialische Exempel statuiert wurden. Auffallend dabei ist, wie sehr die Abschreckungsfunktion nach innen und außen erfolgreich war, ohne dass dadurch die Attraktivität und Anziehungskraft der NSBewegung beeinträchtigt worden wäre. Die Hälfte aller zwischen 1934 und 1938 verübten tödlichen Naziverbrechen waren Fememorde an eigenen Parteigängern. Im Anhang des Buches präsentiert Schafranek außerdem ausgewählte Biographien von 36 führenden steirischen NSAkteuren. Gerald Wolf weist in seiner regionalgeschichtlichen Studie über die NSDAP im weststeirischen Bezirk Deutschlandsberg anhand des Datenmaterials von 35 lokalen NS-Führern die starke personelle und funktionelle Verschränkung des deutschvölkischen Vereinswesens mit der NS-Bewegung nach. Diese Vereine boten nach dem Parteiverbot im Juni 1933 den Nationalsozialisten eine wichtige Basis zur Fortführung ihrer Aktivitäten. Heimo Halbrainer analysiert die justizielle Ahndung des Juliputsches 1934 anhand der Prozesse des dafür geschaffenen Miltärgerichtshofes und wertet die bei den Senaten Graz und Leoben geführten Verfahren aus. In Graz sind vergleichsweise mildere Urteile gefällt worden. Die Bestimmung, dass den Angeklagten keine Wahlverteidiger zustanden, wurde von nationalsozialistischen Rechtsanwälten unterlaufen, indem sie sich „von Amts wegen“ als Verteidiger meldeten. In Graz und Leoben wurden 419 Juliputschisten verurteilt; zwei von fünf verhängten Todesurteilen wurden vollstreckt. Von den 861 in Österreich rechtskräftig verurteilten Juliputschisten waren 40 Prozent Steirer. Halbrainer untersucht ebenso die nach 1945 durch Volksgerichte durchgeführten Verfahren. Es fällt auf, dass die Beteiligung am Naziputsch zwar als erschwerendes Indiz