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plötzlich auf die eigene Obstbaumwiese oder den nächsten Berghang im österreichischen Hinterland ...“ Zugrunde lag das Prinzip „Aufrechterhaltung der Manneszucht“; die aufgelisteten Beispiele bezeugen, dass es bis zum Ende galt: „wegen Feigheit vor dem Feinde erschossen“. Der Autor erwähnt, dass 2009 das österreichische Parlament sämtliche Urteile der NS-Militärjustiz aufhob — spät aber doch. Handlungsspielräume bringen zwei Aufsätze über Zivilcourage und Mut. Heimo Halbrainer schreibt über Widerstand „in der Endphase des NS-Regimes in der Steiermark“: Es gab Aufrufe zur Desertion: „Sammelt Euch zum Kampf für ein freies Österreich!“ Ausführlich geht der Autor auf (linkspartei-)politische Hintergründe ein. Es werden die Organisationen beschrieben, denen es in der Endphase des Krieges noch gelang, „nicht nur den von den Alliierten im Herbst 1943 in Moskau geforderten Widerstand“ zu leisten, sondern „vielfach durch ihre Aktivitäten die Städte und Gemeinden vor der Zerstörung in der Endphase“ zu bewahren“. — Engelbert Kremshofers Aufsatz „Lebensretter aus der Steiermark“ widmet sich den „Gerechten unter den Völkern“, beim Lesen ist Aufatmen erlaubt. Es gab menschliches Mitleid, Kremshofer stützt sich zum Teil auf Interviews, die er mit Beteiligten zwischen 2010 und 2012 führte. In Orten wie Nestelbach, Thondorf, Hitzendorf setzten sich — wenige — Frauen und Männer BUCHZUGÄNGE mit Mut gegen das Verbrechen durch, unter Lebensgefahr. Die sogenannte „Stunde Null“. In zwei Abschnitten behandeln Barbara StelzI-Marx „Die ‚sowjetische‘ Steiermark“ und Siegfried Beer „Die Briten als ambivalente Besatzer der Steiermark 1945 bis 1948“. Vor allem die sowjetische Besatzungsmacht reagierte „sensibel“ auf alles, was sie als Bedrohung empfand, Stelzl-Marx verweist auf den Zusammenhang mit der Entwicklung des Kalten Krieges. Trotz Fraternisierungsverbotes gab es aber auch „Besatzungskinder“. Beer zeigt, dass trotz anfänglicher strenger Oberherrschaft der Briten deren zehnjährige Anwesenheit in mildem Lichte gesehen worden ist. Er erklärt dies vor allem durch die britische Wiederaufbau-, Flüchtlings- und Kulturpolitik. Dennoch gab es Justizpolitik: Vom Herbst 1945 bis August 1948 waren 31.517 Personen vor britischen Militärgerichten angeklagt, 28.894 wurden rechtskräftig verurteilt, nur 2.623 freigesprochen. Vor Höchsten Militärgerichten mit etwa 100 Angeklagten gab es mehr als 50 Todesurteile, 42 davon wurden vollstreckt. Auch die Praxis der Entnazifizierung wird dargestellt. Es war das auf 1943 zurückgehende Interesse der Briten, Österreich als „wiedererstandene Demokratie“, von Deutschland losgelöst, zu festigen. Nachzeit: Aufarbeiten und Erinnern. Im letzten Abschnitt fasst Claudia Kuretsidis-Haider die „Verbrechen zu Kriegsende und deren strafrechtliche Ahndung durch österreichische Gerichte nach 1945“ als „Endphaseverbrechen“ zusammen. Victoria Kumar skizziert exemplarisch „Gedenken und Erinnern an den NS-Terror in der Endphase des Krieges im öffentlichen Raum“ mit eindrucksvollen Fotos, etwa in Hieflau, am Präbichl, in Graz oder Fürstenfeld. „Der schwierige Neubeginn“ nennt Gerald Lamprecht zu Recht seinen Beitrag über die Anfänge der jüdischen Gemeinde und illustriert ihn mit fast skandalösen Bedingungen etwa bei den Versuchen, „arisiertes“ Vermögen in Graz zurückerstattet zu erhalten. Der aus dem Exil zuriickgekehrte Rechtsanwalt Ludwig Biré erwarb sich hier große Verdienste. Einem besonderen Aspekt der Zeit widmet sich Karin M. Schmidlechner: „Frauenarbeit und Trümmerfrauen“ — obwohl die Frauen vorübergehend die Arbeit der Männer übernommen hatten, spielten sie nach 1945 weiterhin vorwiegend die Rolle der Hausfrauen und Mütter. Der wichtige Band liest sich wie eine logische Fortsetzung des Sammelbandes „NS-Herrschaft in der Steiermark. Positionen und Diskurse“, herausgegeben von H. Halbrainer, G. Lamprecht und Ursula Mindler im Böhlau Verlag, Wien 2012. Hedwig Wingler Heimo Halbrainer, Victoria Kumar (Hg.): Terror. Kapitulation. Besatzung. Neubeginn“. Graz: Clio 2015. 285 S. € 22, Günter Bischof, Barbara Stelzl-Marx, Alexandra Kofler: Zukunftsfonds der Republik Österreich. Entstehung, Entwicklung und Bedeutung. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2015, 284 S. € 35,Traude Bollauf, Ilse Korotin, Ursula Stern (Hg.): „Erlebtes und Gedachtes“. Stella KleinLöw (1904 — 1986). Pädagogin — Psychologin — Politikerin — Erwachsenenbildnerin. Wien: Praesens 2015. 162 S. (biografiA. Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung. 16. Hg. von I. Korotin) Anne-Marie Corbin, Jacques Le Rider, Wolfgang Miiller-Funk: Der Wille zur Hoffnung. Manés Sperber — Ein Intellektueller im europäischen Kontext. Wien. Sonderzahl 2013. 189 S. € 22.Enthält unter anderem Beiträge von Robert Schindel, Marcus G. Patka über Sperber und den Zionismus und von Michael Rohrwasser über Sperber und Arthur Koestler. 96 _ ZWISCHENWELT Roque Dalton: ;Fusilemos la noche! Erschießen wir die Nacht! Gedichte. Spanisch und Deutsch. Auswahl und Übersetzung Erich Hackl und Tina Leisch. Mit einem Aufsatz von Horacio Castellanos Moya und der CD des Films von T. Leisch über R. Dalton. Klagenfurt/Celovec: Edition Meerauge im Verlag Johannes Heyn 2015. 106 S. € 17,90 Alexander Emanuely: Avantgarde I. Von den anarchistischen Anfängen bis Dada oder wider eine begriffliche Beliebigkeit. Stuttgart: Schmetterling Verlag 2015. 204 S. (Reihe theorie.org) Alfred Gong: Manifest Alpha. Hg., ins Ukrainische übersetzt, mit Nachwort und Glossar von Peter Rychlo. Deutsch und Ukrainisch. Czernowitz: Knyhy - XX12015. 250 S. Fortsetzung von Peter Rychlos Reihe von Übersetzungen bukowinischer ‚Klassiker‘ — bisher erschienen im selben Verlag in schöner Ausstattung, Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger und Paul Celan. Rychlos repräsentative Auswahl aus dem Lyrischen Werk Gongs ist auch fiir jene reizvoll, die des Ukrainischen nicht mächtig sind. Erich Hackl (Hg.): So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg. 46 Texte deutschsprachiger Frauen und Männer aus sechs Ländern. Zürich: Rotpunkt 2016. 399 S. € 25,-/SFr 28,U.a. mit Beiträgen von Egon Erwin Kisch, Arthur Koestler, Walter Fischer, Lisa Gavrié, Ruth Tassoni, Gusti firku, Joseph Roth... Mit etlichen Entdeckungen, so der köstlichen Schilderung eines Fußballländerspiels Österreich gegen Italien am 21. März 1937 von Valentin Gelber („Die Schlacht von Guadalajara im Wiener Stadion‘). Leander Kaiser: Die Gesellschaft der Zeitzerstörung. Ein Bericht. (Vorwort von Hubert Christian Ehalt.) Wien: Bibliothek der Provinz edition seidengasse 2016. 62 S. (Karl Kraus Vorlesungen zur Kulturkritik. Bd. 7. Hg. für die Wiener Vorlesungen von H.Chr. Ehalt).