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interniert. An anderen Orten wurden Eltern von ihren Kindern getrennt, in Viehwagen verladen und in das Durchgangslager Drancy am Rand von Paris verschleppt. Der Ministerrat beschloss auch die Deportation der Juden aus dem damals noch nicht besetzten Teil Frankreichs. Das konnte geschehen, weil die Besatzungspolitik in Frankreich sich änderte. Heydrichs Vertreter, SS- und Polizeiführer CarlAlbrecht Oberg und SS-Obersturmführer Helmut Knochen, hatten der französischen Polizei Autonomie zugesichert, was ein Risiko war, jedoch große Vorteile für die Nazis brachte. Denn die Bevölkerung hatte gegen französische Polizisten, die in Paris auf Judenjagd gingen, weniger einzuwenden. Im August 1948 verteidigte sich Bousquet mit der Behauptung, die Autonomie der französischen Polizei „bedeutete die Verteidigung französischer Interessen“ und kompromittierte damit die französische Polizei und Gendarmerie, die im Interesse einer scheinbaren Souveränität hemmungslos die Interessen der Besatzer bedienten. Die französische Polizei unter Rene Bousquet traf eine Übereinkunft mit der SS, die ihr einen hohen Grad an Autonomie sicherte; dafür verpflichtete siesich die „Feinde des Deutschen Reichs“ zu bekämpfen. Im Herbst 1941 blieben lediglich 2.900 deutsche Polizisten in Frankreich, weniger als in den Niederlanden. Die Nazis brauchten die Polizisten nötiger in Polen und in den besetzen Gebieten der Sowjetunion, außerdem konnten die französischen „Ordnungskräfte“ die Jagd auf Juden erfolgreicher durchführen. Bousquet war derjenige, der die Verhaftung der Juden auch im damals nicht besetzten Gebiet vorschlug. Am 18. August 1942 gab er den Präfekten mit einem geheimen Telegramm die Anweisung, auch Kinder zu deportieren. 1949 wurde Bousquet zu fünf Jahren Ehrverlust verurteilt, doch dieses Urteil wurde mit der Begründung aufgehoben, er habe ab 1943 dem Widerstand geholfen. Nachdem er sich an die politische Linke anschloss und ein Freund von Mitterrand wurde, der selbst bis 1943 Vichy diente, machte Bousquet eine glanzende Karriere in der Wirtschaft. Erst 1991 erneuerte die Staatsanwaltschaft die Untersuchung gegen ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch bevor sein Prozess begonnen hatte, wurde er von einem Geistesgestérten an der Tür seiner Wohnung erschossen. Ende 1943 wurde Bousquet abgelöst und durch den Milizionär Joseph Darnand, der als Obersturmführer der SS Hitler die Treue geschworen hatte, ersetzt. Wenn vorher Juden, die mit der Polizei zu tun hatten, manchmal auf guten Willen oder Gleichgültigkeit zählen konnten, waren sie 1944 den absolut feindseligen Milizionären ausgeliefert. Wie viele Franzosen unterstützten die Kollaboration? Allein die rechtsextremistischen Parteien hatten ungefähr 100.000 Mitglieder. Die Ausstellung zeigte aber eindeutig, dass sowohl die Kollaboration alsauch die Resistance ein Minderheitenprogramm war. Die meisten Franzosen wählten die Anpassung oder den passiven Widerstand, d.h. sie beschwerten sich anlässlich des Schlangestehens, Hausfrauen protestierten gegen leere Geschäfte, es gab auch Streiks für höheren Lohn und viele hörten BBC, um zu realen Informationen zu gelangen. Es gab tapfere Franzosen, die Juden und abgeschossen alliierte Piloten versteckten oder ihnen halfen aus Frankreich nach Spanien zu fliichten. Nicht vergessen dürfen jene sein, die ihr Wort gegen die Verfolgungerhoben. „Temoignage chretien“, die erste illegale katholische Zeitschrift der Resistance, die im November 1941 herauskam, attackierte den damals weit verbreiteten katholischen Antisemitismus. Der katholische Bischof von Montauban, ließ am 30. August 1942 in allen Kirchen seiner Diözese den „empörten Protest des 6 _ ZWISCHENWELT christlichen Gewissens“ verkünden. Er betonte, „alle Menschen sind Brüder, weilvom selben Gott geschaffen, welcher Rasse und welcher Religion auch immer, sie haben das Recht von Personen und Staaten respektiert zu werden. Deshalb sind die aktuellen antisemitischen Maßnahmen eine Verachtung der Menschenwürde, eine Verletzung der heiligsten Rechte der Personen und der Familie“. Auch die protestantische Kirche Frankreichs stellte sich gegen die Verfolgung der Juden. Chambon-sur-Lignon ist das bekannteste Beispiel einer protestantischen Gemeinde, die tausenden Juden half. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben die Historiker Robert Paxton und Eberhard Jäckel zu einer gründlichen Änderung der französischen Geschichtsschreibung beigetragen. Sie fanden in den deutschen Archiven die Beweise dafür, wie die Rechtsextremisten die Vichy-Regierung unterstützten und Serge Klarsfeld konnte eindeutig die wirkliche Beteiligung des französischen Staatesan den Judenverfolgungen aufzeigen. Ohne deutschem Druck errichtete die Vichy-Regierung das „Commissariat general aux questions juives“ (CGQ]J), und die „Police aux questions juives“ (PQJ). Dazu meldeten sich Antisemiten, aber viele Polizisten, die man einsetzte, um Juden zu verhaften, wurden erst von der VichyRegierung zu willigen Dienern gemacht. Nach der Befreiung mussten Polizisten vor „Säuberungskommissionen“ erscheinen und wie anderswo haben viele sich auf ihre Befehle und auf Zwang berufen. In diesen Kommissionen waren auch Kommunisten vertreten. Polizisten, die Kommunisten verhafteten, beriefen sich auf die von Ministerpräsident Daladier am 26.9.1939 erlassene Verordnung, welche die Kommunistische Partei verbot. Damals war die KPF Anhängerin des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes und verurteilte den „imperialistischen“ Krieg, sie riefihre Anhänger auf, die Kriegsanstrengung zu sabotieren und aus der französischen Armee zu desertieren. Nach dem deutschfranzösischen Waffenstillstand wurden die meisten Kommunisten aus den Internierungslagern entlassen. Die Lage änderte sich radikal nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion. Vichy machte die „jüdischen und fremden“ Kommunisten verantwortlich für die französische Niederlage und viele der von der französischen Polizei erneut verhafteten Kommunisten wurden hingerichtet oder in deutsche Konzentrationslager verschleppt. Die Polizei diente fast bis zum letzten Moment der Besatzung. Erst in letzter Minute schloss sich die Pariser Polizei dem Widerstand an. Die Säuberungskommissionen waren in der Regel nachsichtig, wenn es um Polizisten ging, die Juden grausam behandelten. Nicht so nachsichtig waren sie gegen diejenigen Polizisten, die in Paris den Streikaufrufvom 15. August 1944 nicht beachteten und nicht bereit waren gegen die abzichenden deutschen Besatzer am 20. August zu kämpfen, beziehungsweise vorher Kommunisten oder Gaullisten verhafteten und folterten. Nehmen wir zum Beispiel den Fall Jean Frangois. Dieser 1884 geborene Polizeioffizier machte eine blendende Karriere. Im Oktober 1940 wurde er Chef der Fremdenpolizei und im April 1941 wurde er zum Direktor der administrativen Angelegenheiten der Polizei ernannt. Seine Rolle bei den Razzien und dem Internierungslager Drancy waren der Säuberungskommission bekannt, er wurde suspendiert und dann pensioniert, doch im Gegensatz zu vielen anderen Polizeioffizieren nicht interniert. Es gab viele Zeugenaussagen, die Francois schwer belasteten, doch ihm gelang es, die Schuld seinen jüdischen Opfern zu unterstellen, die sich doch „freiwillig“ der