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Arthur Rimbaud Schlechtes Blut Aus: Ein Sommer in der Hölle, aus dem Französischen von Josef Kalmer Ich habe von meinen gallischen Ahnen das helle blaue Auge, das enge Gehirn und die Ungeschicklichkeit im Kampfe. Ich finde meine Gewänder ebenso barbarisch wie die ihren. Aber ich buttere mein Haar nicht. Die Gallier waren die albernsten Tierschinder und Kräutersieder ihrer Zeit. Von ihnen habe ich: den Götzendienst und die Vorliebe für Tempelschändung; — oh! alle die Laster, Zorn, Unzucht, — großartig, die Unzucht; vor allem Verlogenheit und Faulheit. Ich verabscheue jedes Handwerk. Meister und Arbeiter, alle Bauern, niedrig. Die Hand mit der Feder ist so viel wert wie die Hand am Pflug. — Welch eine Zeit für Hände! — Ich werde meine Hand nie gebrauchen. Dann führt mir auch dieser Zustand der Knechtschaft zu weit. Daß die Bettelei ehrenhaft ist, zerreißt mir das Herz. Die Verbrecher sind widerlich wie Entmannte: ich bin intakt, und das ist mir gleichgültig. Aber wer hat meine Zunge so falsch gemacht, daß sie meine Faulheit bis heute geführt und geschützt hat? Ohne mich meines Körpers auch nur im geringsten zu bedienen und müßiger als eine Kröte, habe ich überall gelebt. Keine Familie Europas, die ich nicht kennen würde. — Ich verstehe darunter Familien wie die meine, die alles von der Erklärung der Menschenrechte halten. — Ich habe jeden Sohn aus gutem Hause gekannt! Wenn ich ein Vorleben hätte zu irgendeinem Zeitpunkt der Geschichte Frankreichs! Aber nein, nichts! Es ist mir ganz klar, daß ich immer von minderer Rasse war. Ich kann die Empörung nicht begreifen. Meine Rasse erhob sich immer nur, um zu plündern: wie die Wölfe es mit einem Tier tun, das sie nicht getötet haben. Ich erinnere mich an die Geschichte Frankreichs, der ältesten Tochter der Kirche. Ich, der Bauernlümmel, hätte die Reise nach dem Heiligen Lande gemacht; ich habe in meinem Kopfe die Straßen in den schwäbischen Ebenen, den Anblick von Byzanz und den der Wälle Solymas: der Marienkult und die Rührung über den Gekreuzigten erwachen in mir zwischen tausenden unheiligen Gedanken. — Ich sitze, ein Aussätziger, in Tonscherben und Nesseln, am Fuße einer von der Sonne zernagten Mauer. — Später hätte ich als Reiter unter dem Nachthimmel Deutschlands biwakiert. Ah! das noch: ich tanze im Sabbat auf einer roten Lichtung mit Hexen und Kindern. Ich erinnere mich nicht an mehr als diese Erde und das Christentum. Ich werde damit, mich in dieser Vergangenheit zu schen, nicht aufhören. Aber stets alleine; ohne Familie; welche Sprache sprach ich denn nur? Nie sche ich mich im Rate Christi, noch auch im Rate der großen Herren, — der Vertreter Christi. Was war ich im letzten Jahrhundert? Erst heute finde ich mich wieder. Keine Landstreicher mehr, keine schweifenden Kriege. Die mindere Rasse hat alles mit Beschlag belegt — das Volk, wie man sagt, die Vernunft, die Nation und die Wissenschaft. 14 ZWISCHENWELT Oh! die Wissenschaft! Man hat alles verbessert. Für den Körper und für die Seele, — die heilige Wegzehrung, — hat man die Medizin und die Philosophie, — die Hausmittel und bearbeitete Volkslieder. Und die Belustigungen der Fürsten und die Spiele, die sie verboten haben! Geographie, Kosmographie, Mechanik, Chemie! ... Die Wissenschaft, der neue Adel! Der Fortschritt. Die Welt ist auf dem Wege! Warum sollte sie nicht umkehren? Das ist die Vision der Zahlen. Wir gehen zum Geiste. Das ist ganz sicher, Orakel ist das, was ich sage. Ich verstehe, und da ich mich ohne heidnische Worte nicht erklären kann, will ich lieber schweigen. Das heidnische Blut gespenstert. Der Geist ist nahe; warum hilft mir Christ nicht, indem er meine Seele Adel und Freiheit gibt? Ach, die Botschaft des Heils ist verklungen! Das Evangelium! Das Evangelium! Gierig erwarte ich Gott. Ich bin von in alle Ewigkeit minderer Rasse. Da liege ich an der armorischen Kiiste. Wie die Städte aufleuchten im Abend! Mein Tagewerk ist getan; ich verlasse Europa. Die Seeluft wird meine Lungen verbrennen, verlorene Klimate werden mich bräunen. Schwimmen, Kräuter reiben, rauchen vor allem; Schnäpse trinken, die so stark sind wie kochendes Metall, — wie es meine teuren Ahnen an den Lagerfeuern taten. Ich werde wiederkehren, mit eisernen Gliedern, dunkler Haut und grimmigem Blick: meiner Maske nach wird man auf eine starke Rasse schließen. Ich werde Gold haben und müßig und brutal sein. Die Frauen pflegen solche wilde Kranke, die aus heißen Ländern zurückkehren. Ich werde in politische Affiren verwickelt sein. Gerettet sein. Jetzt bin ich verdammt, mich schaudert’s vor der Heimat. Das Beste ist ein trunkener Schlaf am Gestade. Aber man reist nicht ab. — Laßt mich wieder die Straßen hier ziehen, beladen mit meinem Laster, dem Laster, das mir meine Wurzeln des Leidens in die Flanken getrieben hat, seit ich denken kann, — es steigt zum Himmel auf, es schlägt mich, wirft mich zu Boden, schleppt mich nach! Letzte Unschuld und letzte Ängstlichkeit. Das ist so. Nicht meinen Ekel und meinen Verrat in die Welt tragen. Vorwärts denn! Marsch, Last, Einöde, Langeweile und Zorn. Wem mich verdingen? Welches Tier muß man anbeten? Welches Heiligenbild bestürmen? Was für Herzen werde ich brechen? An welche Lüge soll ich mich halten? — In welchem Blute waten? Vielmehr sich hüten vor der Gerechtigkeit. — Hartes Leben, einfache Verdummung, — aufheben mit verdorrter Faust den Deckel des Sarges, sich hineinlegen, ersticken. So gibt es weder Altern noch Gefahren: der Schrecken ist nicht französisch. — Ach! Ich bin so verlassen, daß ich gleichgültig welchem Götterbild die Begeisterung für die Vollendung opfere! O meine Selbstverleugnung, o meinc herrliche Barmherzigkeit! Hier unten, dennoch! De profundis, Domine, bin ich blöd!