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ihn aufgrund seiner Jugend nicht heiraten will, obwohl er sie dazu drängt. Erwin findet schließlich einen Weg aus dem Chaos durch eine „Emanzipation des Herzens“, wie die Verfasserin den zweiten Teil des Buches nennt, indem er die Liebe eines gleichaltrigen Mädchens gewinnt, das sich als Sozialarbeiterin in der Armenfürsorge engagiert. Dem Roman vorangestellt ist ein Wort von Heraklit: „Die Grenzen der Seele wirst du nicht erreichen, und wenn du jeden Weg zu Ende gehst.“ Auf ihrem Lebensweg bleibt der Verfasserin mancher schmerzhafte „Sturz ins Reale“ nicht erspart, stets aber erhebt sie sich wieder, geht weiter voran und versucht ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Dabei hilft ihr Literatur. Wenige Monate nach dem Tod von Lawranz Mikl lernt Emma den Kaufmann Ladislaus Barta kennen. Er ist fünf Jahre älter als sie, Sohn eines Holzhändlers namens Benö Barta und wohnt in Graz im Haushalt seiner verwitweten Mutter. Aus der anfänglichen Freundschaft entwickelt sich im Verlauf der Jahre eine erotische Beziehung. 1936 erkrankt Ladislaus an Lungentuberkulose und seine Mutter stirbt. Emma fühlt sich verpflichtet, dem Lebensgefährten ein Heim zu geben und zieht mit ihm zusammen. Zunächst scheint alles gut zu gehen. Sie kann weiter so leben wie bisher und verkehrt in ihren eigenen Kreisen. Das Paar schafft sich ein behagliches Heim, geht zusammen auf Reisen und Oskar wächst wohlbehütet heran. 1937 hat Emma auch als Schriftstellerin Erfolg, denn der in Wien und Leipzig ansässige Europäische Verlag veröffentlicht ihren Roman. Ein Jahr darauf freundet sie sich mit Ernst Wiechert an, den die Nazis seit ihrem Machtantritt verfolgen. Er ist schon einige Monate im Konzentrationslager Buchenwald eingesperrt gewesen. Im Dezember 1938 wird Emma in zweiter Ehe die Frau von Ladislaus Barta. Nicht nur der Mann, den sie noch immer heimlich liebt, auch ihre Freunde und Bekannten sind darüber entsetzt, einige davon aus antisemitischen Motiven, denn der Bräutigam ist Jude. Seit dem „Anschluß“ Österreichs an Nazi-Deutschland im März des Jahres sicht er sich vermehrt Anfeindungen ausgesetzt, muß um sein Leben fürchten und kann nicht länger im Land bleiben. Um sein Vermögen zu retten, hat er sich der sogenannten „Aktion Gildemeester“ angeschlossen, einer Organisation, die unter dem Vorwand, Hilfe für Auswanderungswillige zu leisten, ihre Klientel ausbeutet. Wahres Ziel dieser „Aktion“ ist es, die jüdische Bevölkerung aus Österreich zu vertreiben und sie um ihren Besitz zu bringen. Ein Großteil der Gelder, die durch den widerrechtlichen Vermögensentzug zusammenkommen, wird dazu verwendet, an mehr als 4000 ausreisewillige, aber mittellose Juden Zuschiisse zu zahlen. In den Unterlagen der „Aktion Gildemeester“ steht, daß sich Ladislaus Barta zu Gunsten dieser Organisation im November 1938 in Graz von zwei Mietshäusern in der Pestalozzistraße 1 und in der Wielandgasse 2 sowie von der Holzhandlung Benö Barta trennt. Auch seine Ehefrau Emma Barta wird als Geschädigte aufgeführt. Gemeinsam mit dem Gatten will sie Österreich schnellstens verlassen. Ihre Freunde versuchen sie davon mit dem Argument abzuhalten, als Arierin habe sie nach einer Scheidung von Ladislaus nichts zu befürchten, wenn sie im Lande bleibe. Sie denkt nicht daran, diese Ratschläge zu befolgen. Nach ihren eigenen Worten entscheidet sie sich vielmehr für: „Verfolgung, Demütigung jeglicher Art, Ausweisung — Auswanderung.“ Unbeirrt folgt sie zusammen mit ihrem Sohn dem Ehemann ins Exil. Die drei nehmen den D-Zug nach Triest, buchen bei der italienischen Cosulich-Line Schiffs-Passagen nach Südamerika und treffen 26 _ ZWISCHENWELT nach mehrwöchiger Seereise mit dem Dampfer „Neptunia“ am 25. Januar 1939 im Hafen von Buenos Aires ein. Die Flucht bringt das Paar einander nicht näher, sondern entzweit die Ehepartner. Ihre Beziehung steckt in einer Krise. Emma sieht den nun folgenden Zeitraum als „Jahre der Erstarrung“ und bekennt: „Ein bleiernes Schweigen legte sich über den Abgrund, in den alles Gemeinsame gestürzt war, jeder für sich litt und ging seinen schweren Weg. Dies dauerte ein Jahr, dann kam cs zur neuerlichen Erkrankung meines Mannes, die ihn zwang, eine Anstalt in den Bergen aufzusuchen.“ Ladislaus zieht nach Mendoza am Rande der Anden, während seine Frau in Buenos Aires den Lebensunterhalt für sich und Oskar als Geschäftsführerin eines Hutladens verdient, den ihr eine wohlhabende Freundin eingerichtet hat. Bei ihr handelt es sich um Elisabeth Reinke, die Nichte eines in Argentinien zu Reichtum gekommenen Deutschen namens Rodolfo Funke. Emma berichtet: „Ich verwandelte mich zu einer leblosen Maschine und es war notwendig meinen Mann zu stehen, denn ich hatte ja für die Erziehung meines Jungen zu sorgen, den ich in dieses Schicksal mit hereingerissen hatte.“ Ähnlich wie Doris Dauber, eine ihrer Schicksalsgefährtinnen in Buenos Aires, nimmt sie jede Arbeit an, sofern die nur Geld einbringt. Auch sie kann von sich sagen: „Ich bin durch ein Dutzend von Berufen gegangen, Heimarbeit, Kunstgewerbe, Erzicherin, Mode, Büro etc. und ich kann überall mein Brot verdienen“. An dieser Situation ändert sich erst etwas, als sie in spärlich bemessener Freizeit wieder Kontakt zu Mitmenschen sucht und einen Kreis jüngerer Leute um sich schart, denen sie durch gemeinsame Lektüre von Büchern deutsche Kultur vermitteln will. Daran erinnert sich 2015 ein Mitglied des Kreises, Gisela Brunnchild, so: „Es waren etwa 10 bis zwölfjunge Männer und junge Mädels. Wir arbeiteten in Büros, wo immer man ungelernte Kräfte verwendete. Wir konnten nicht studieren, mußten beitragen zum Familien-Einkommen (waren wir doch nur mit 10 erlaubten Mark eingereist)“. Die Liebe zur deutschen Kultur veranlaßt Emma auch, Verbindung mit dem Schriftsteller Paul Zech aufzunehmen, der seit Ende 1933 in Buenos Aires lebt. Wie sie aus Emigrantenkreisen erfahren hat, ist er vor den Nazis aus Berlin geflohen. Der über sechzigjährige Autor gilt als schwierig und meidet „Das andere Deutschland“, eine Gruppierung antifaschistischer Flüchtlinge in der argentinischen Hauptstadt. Emma schreibt 1946 an Kurt Erich Meurer, einen in Deutschland lebenden Freund und Kollegen Zechs: „Wir waren einander vor zwei Jahren, anlässlich eines von ihm in den Deutschen Blättern veröffentlichten Gedichtes begegnet“. Dem Verfasser dieses Referates teilt sie mit: „Ich habe Paul Zech erst schr spät kennen gelernt [...] durch die in Chile erschienenen ‚Deutschen Blätter‘, deren Mitarbeiter er war. Seine Beiträge machten einen starken Eindruck auf mich und so schrieb ich ihm denn eines Tages, und daraus entwickelte sich unsere schöne Freundschaftsbeziehung.“ Zechs Antwort auf Emmas ersten Brief ist erhalten. Sie trägt das Datum des 5. Juni 1945. Darin behauptet er: „Ich bin jetzt im zwölften Jahr im Exil, nachdem ich Konzentrationslager und ähnliche Dinge hinter mir habe und drüben alle meine Angehörigen verlor.“ Die Empfängerin hat keinen Grund, an diesen Worten zu zweifeln und erfährt erst Jahre später, daß Ehefrau und Kinder des Schriftstellers unbehelligt von den Nazis in der Nähe von Berlin leben. Sie lädt Zech, den sie als Autor schätzt, auf Besuch in die eigene Wohnung ein. Ihr Heim wird schon