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Deutschland, aber wann immer ich meinen eventuellen Besuch in einem Brief erwähnte, lehnte er sofort höflich aber doch sehr entschieden ab. Er schrieb mir einmal, dass er im ersten Weltkrieg verschüttet worden war und eine schwere Gasvergiftung gehabt habe, die in der Folge sein ganzes Nervensystem zerrüttet hätte.“ Emma ist verletzt, obwohl das in keinem ihrer Briefe steht. Zudem entspricht die Wirklichkeit der Nachkriegszeit in Deutschland nicht dem, was sie sich in Südamerika vorgestellt hat. Ihrer Wahrnehmung nach erfolgt der Wiederaufbau primär nach materiellen Gesichtspunkten. Geistige Hilfe, die sie leisten möchte, wird selten angenommen. Nach einigen Monaten wechselt sie von Rastatt nach Göttingen. Dort könnte sie die Stelle einer Bibliothekarin an der Universitäts-Bibliothek antreten, lehnt jedoch ab und kehrt enttäuscht nach Argentinien zurück. Zu Beginn der Fünfzigerjahre lebt Emma einige Zeit in Mendoza, zieht dann wieder nach Buenos Aires und wird 1954 Mitarbeiterin von Lili Lebach, die seit 1942 in der Avenida Corrientes die Buchhandlung „Pigmaliön“ mit deutscher und englischsprachiger Literatur betreibt. Lebach ist 1911 in Wuppertal-Elberfeld zur Welt gekommen, ein Jahr bevor Zech diese Stadt verlassen hat. Bald lernt Emma einen jungen Kollegen kennen, der wie sie selbst bis vor kurzem in der Bundesrepublik gearbeitet hat. Er heißt Horst Stephan und ist im Jahr zuvor vom Inhaber einer anderen ortsansässigen Buchhandlung, „El Buen Libro“, mit einem dreijährigen Vertrag nach Argentinien geholt worden. Er soll die Leitung der Firma übernehmen, da ihr Besitzer nach Deutschland zurückkehren möchte. Barta-Mikl und Stephan treffen sich von Zeit zu Zeit. Es bleibt nicht aus, daß bei solchen Gelegenheiten auch über berufliche Dinge gesprochen wird. Stephan ist nicht verborgen geblieben, daß es sich bei „El Buen Libro“ um einen „rechten“ Laden handelt. Da sein Vertrag inzwischen abgelaufen ist, fällt es ihm 1957 nicht schwer, auf Barta-Mikls Vorschlag einzugehen, bei „Pigmaliön“ die deutsche Abteilung zu übernehmen, die sich im Untergeschoß der Buchhandlung in der Corrientes befindet. Sie selbst ist im Parterre für englischsprachige Bücher zuständig. Die gemeinsame Tätigkeit bei Lili Lebach dauert nicht lange, denn die Kollegin kündigt Anfang der Sechzigerjahre und wechselt nach Lima. Horst Stephans Kommentar dazu: „ Warum sie das tat, war aller Welt ein Rätsel. Ich glaube, sie suchte die Atmosphäre der Inka-Kultur, angeregt durch die Lektüre des sehr umstrittenen Autors Georg Ivanovich Gurdjeff.“ Dieser Religionsgründer propagiert ein „esoterisches Christentum“. Emmas Versuch, durch den Ortswechsel ihrem Leben eine neue Wende zu geben, mißlingt. Schon bald sicht sie sich gezwungen, wieder Geld zu verdienen und geht zurück in den Beruf, der ihr am meisten Freude bereitet. In Perus Hauptstadt wird sie Mitarbeiterin der Firma ABC, die hier zwei Buchhandlungen betreibt. „Deren Besitzer Herbert Moll,“ so weiß Stephan zu berichten, „Sohn eines bedeutenden Professors an der Universitat Lima [...] hatte keine Ahnung von Biichern, er war Philatelist, hatte aber viel Geld und war ein Weltenbummler.“ Innerhalb kurzer Zeit gelingt es seiner neuen Mitarbeiterin, die Zahl der Läden von ABC in Lima auf sechs zu erhöhen. Mit besonderer Sorgfalt pflegt sie die Bereiche „Englischsprachige Literatur“ sowie „Technik“. Mit diesen Sparten erzielt sie hohe Umsätze, steigt zur Geschäftsführerin der Buchhandels-Kette auf und vermag qualifiziertes Personal einzustellen. Stephan berichtet: „Amerikanische und englische Verleger wurden auf sie aufmerksam und gewährten Kredite, sodaß sie ein hervorragendes Lager aufbauen konnte.“ Emmas beruflicher Erfolg geht zu Lasten ihrer Lebensqualität. 28 _ ZWISCHENWELT Ihr bleibt kaum noch Freizeit, zumal sie nicht im Zentrum der Millionenstadt wohnt. Zu Beginn ihres Aufenthaltes in Peru hat sie sich eine Wohnung am Fuß der Vorkordillere ausgesucht, weshalb sie täglich viele Stunden in Verkehrsmitteln verbringen muß, die ebenso primitiv wie unzuverlässig sind. Da sie naturverbunden leben möchte, hält sie sich in ihrer Wohnung einen Zwergaffen, der außer viel Zuwendung eine spezielle und kostspielige Heizung benötigt. Aufden Besuch von Theatern, Kinos und Museen glaubt sie verzichten zu können. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellt. Zwischenmenschlicher Austausch beschränkt sich auf geschaftliche Kontakte. Horst Stephan weiß von einer Ausnahme: „Zu ihrem Glück lernte sie eine amerikanische Wissenschaftlerin kennen, die bei der Uno in Lima arbeitete. Sie hatte dadurch eine große Hilfe und war vor allem nicht mehr so einsam wie in der ersten Zeit.“ Nach einem halben Jahrzehnt gelangt Emma zur Überzeugung, so nicht weiterleben zu können. Vor allem fehlt ihr Oskar. Sie will zurück nach Argentinien und hofft, dem Sohn, der inzwischen geheiratet hat, auch innerlich wieder näher zu kommen. Seiner Ehe entstammen drei Töchter. Ihrem bisherigen Chef macht die erfolgreiche Buchhändlerin den Vorschlag, in Buenos Aires eine Filiale von ABC mit englisch-deutschem Sortiment zu eröffnen. Da Moll leistungsgerecht bezahlt hat, besitzt Emma genügend Geld, um nicht als Bittstellerin auftreten zu müssen. Ihr bisheriger Arbeitgeber solle Hauptaktionär der Firma sein, sie wolle sich finanziell beteiligen. Zudem möchte sie Horst Stephan als Mitarbeiter und Teilhaber gewinnen. Moll ist von diesem Plan begeistert und Stephan zeigt sich den Vorschlägen gegenüber nicht abgeneigt. Er kommt nach Lima. Das künftige Unternehmer-Trio wird rasch handelseinig, obwohl Moll verlangt, daß die Bonaerenser Eröffnung schon in drei Monaten stattfinden muß. Stephans Kommentar: „Dies war natürlich unmöglich, denn er wollte die beste Lage für dieses neue ABC. Außerdem hatte er plötzlich die Idee, Filialen in ganz Südamerika aufzumachen.“ Zurück in Buenos Aires gelingt es Stefan, in der Florida 725 ein Ladenlokal ausfindig zu machen, das leer steht. Weil sich die Räume in schlechtem baulichen Zustand befinden und aufwendig renoviert werden müssen, kann der von Moll gewünschte Zeitplan erst recht nicht eingehalten werden. Am 30. November 1968 läßt Emma Barta-Mikl den Verfasser dieses Beitrags wissen: „Ich gehe im Augenblick durch eine schr harte Zeit. Wie ich Ihnen vielleicht schon schrieb, leitete ich hier während der letzten fünf Jahre einen Buchladen für wissenschaftliche und technische Bücher. Nun habe ich vor einem halben Jahr gekündigt, und die Firma (sie besitzt