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Marie Luise Kaschnitz Daten Diese präzisen Geräte Deine Daten und meine Mechanisch gespeichert Zukunft ausgerechnet Von tickenden stummen Maschinengehirnen Und noch immer der Brunnen Der Stein der nicht aufschlägt Auf den wir horchen Der Nicht aufschlägt. Beim Warten auf dieses Aufschlagen, wohl weil ich erhoffte, es wäre das Geräusch, das mich aufweckt aus einem langen Alptraum, der nicht enden will, habe ich mich getröstet mit Nicht-wissenwollen, was sonst noch überall und jetzt geschicht. Ich konnte in keinem Buch mehr lesen. Nach wenigen Seiten musste ich es weglegen, weil ich mich nicht konzentrieren wollte auf die Worte. Meine Konzentration lag ganz beim Horchen nach dem ersehnten Aufschlag des Steines. So habe ich nach über zwei Jahren Leseblockade oder Leseverweigerung erst in Deinen Lyrikbänden wieder angefangen, wieder überhaupt etwas zu lesen. Ganz besonders tief konnte ich eintauchen in Deine Gedichte, die von Leid, Verlust, Schmerz und Tod sprechen. Mitmurmeln kann ich, wenn Du schreibst über verlorenes Glück. Mitschreien will ich bei Deinen Worten, die Unglück und Unrecht aussprechen. Und ich lausche lachend in Deine Gedichte hinein, wenn sie mich vergnüglich und hoffensfroh stimmen, auf dass ich darin Zukunft höre. Gefühlte schlaflose Tage und wie leblose Nächte hat es mich anfangs gekostet, die Vibrationen in Deinen Gedichten zu erspüren und zu deuten. Kenne ich doch dieses zwischen den Zeilen schreiben wie lesen, wohinein sich gerne verkrochen und versteckt wird. Immer wieder fand ich Parallelen des Erlebens, Denkens und Empfindens in Deinen Gedichten, die mich dort trafen und festhielten, wo ich mich eigentlich verlieren wollte. Mich in Deine Lyrik hineinzuatmen, ohne in Luftnot zu geraten. Sprich, mich durch dieses Wenig, was ein Menschenleben bedeutet, durchzuhecheln, das hat mich Lebens-Unlust-Kräfte gekostet. Dir sei Dank. Günter Ruddat hat im Jahre 2014 zu Deinem 40. Todestag „In Memoriam Marie Luise Kaschnitz“ einen einfühlsamen Text über Dich, Dein Leben und Dichten geschrieben. Parallelblitze habe ich darin geschen, besonders in dem, was ich über Dich und Deinen Mann erfuhr. Uber die Zeit, als ihr zusammengekommen seid, schrieb Ruddat: „So verwurzelt in dieser Zeit dann auch die erste literarische Tätigkeit, die ihr Mann nach Kräften unterstützt und kritisch begleitet. Das ‚Ein-Herz-und-eine-Seele-sein‘ ihrer Ehe ist wohl die lebenslang besondere Voraussetzung zum Schreiben.“ Auch ich habe, noch schr jung, erst durch meinen Mann, den ich in Karlsruhe kennenlernte und der mich dazu antrieb, meine anfänglichen Schreibversuche weiterzuführen, angefangen, mein Schreiben ernst zu nehmen. Auch mein Mann wurde später krank und ist gestorben. Auch ich war bei diesem Unglück Mitte fünfzig, so wie Du. Auch wir waren über dreißig Jahre lang glücklich zusammen. Ich fühle mich bei diesen Parallelen, die ich in Deinem und meinem Leben entdecke, wie auf einem Schiff, das immer ein Ufer entlangfährt und sich nicht entscheiden kann, ob es hinaus aufs Meer will oder ankern soll. Du hast, während ich Deine Gedichte lese, das Steuer in der Hand auf diesem Schiff, das nur einige Wellen lang uns gemeinsam das Wasser, Überschwimmen, An-Meeren und Ein-Flüssen lässt. Ganz zu Schweigen von den erbaulichen Überbachungen und den spritzigen Aus-Pfützungen. So mit vollem Nass gefüllten und aufgerissenen Augen bin ich eingetaucht in Deine von mir einge-Seeten Gedichte. Leid-und-Lustvoll bin ich in Deinen Worten geschwommen. Irgendwie seltsam, dass Deine Gedichte und was ich über Dein Leben erfahre, gerade jetzt in mein Leben hinein fließen. Es kann Zufall oder Schicksal sein, dass ausgerechnet in dieser Zeit, in der ich mich oft frage: Dieses Leben?, Deine Lyrik mir Türen und Fenster öffnet und mich mit Parallellicht und -luft, zum Weitermachen, zum Weiterschreiben anregt und ermuntert. Das erste Gedicht, dass ich einige Monaten nach dem Tod meines Mannes schreiben konnte, lautet: Laut meiner Jürgenlosigkeit Tonlos sprachlos blicklos und keine Berührung mehr kein sinnlich sinnvolles Glattstreichen der Gänsehaut die aus Glück auf Glück bestand Der Seelenzustandsanzeiger dreht durch und durch und droht in bewegter Gefahr ohne der Liebesaufsicht zweifach zischend ab und davon zu geraten An jedem Morgen neu der Tau Des leise furchtvollen Atmens In Räumen voller Jürgenlosigkeit Und der Zeittrost scheint wie Butter Dem das Brot gestohlen Die Lebensgeister gehen mit den Totengeistern Hand in Hand ziellos als ob sie gar nicht ahnten mit wem in diesem Spaziergang sie aussichtslos verbunden Ich hatte vor vielen Jahren das Glück, die große Dichterin Hilde Domin kennenzulernen. Und ihr danach noch einige Male zu begegnen. In einem Dokumentarfilm über sie und mit ihr, sagt sie nach der Frage, wie es denn so war in der langen Zeit ihres Eheglückes: „Herrlich ist’s zu zweit zu sein.“ Zu zweit zu sein, das ist etwas, wonach die Mehrheit der Menschen immer auf der Suche war. Paarweise das Leben zu durchschreiten. Heute sehe ich mit Staunen, wie natürlich und Oktober 2016 45