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man in Uschhorod genauso wie im tiefsten Karpatental. Das ist transkarpatische Folklore. Vielleicht liegt hier ein Grund dafür, warum es die Propagandisten einer russinischen Nation (als „vierter ostslawischen“) so schwer haben. Doch das ist ein anderes Kapitel. Für den Nationalfeiertag hatte man sich im Schlosspark von Uschhorod eine symbolträchtige Geste überlegt: Gemeinsam mit Vertretern der Religionsgruppen traf man sich bei Sonnenaufgang zu einem Gebet für den Frieden in der Ukraine. In einem robusten Linienbus geht es das Theresiental hoch, dicke Profilreifen außen und einfache Bänke ohne Kopfstützen innen. Bis Dubowe ist die Straße tadellos, linker Hand fällt es oft steil zum Flussufer ab. Dann wird es interessanter — Schotterpiste, Asphalt und Schlaglöcher wechseln einander ab. Der Empfang bei Familie Kais im Haus mit der Nummer 83 ist herzlich. Man schiebt einen weiteren Sessel an den Tisch in der Sommerkiiche, der Hund bellt. Töchter und Söhne des Hauses sitzen schon da und essen, dazu noch zwei Jungs um die 20 aus einem Nachbardorf und eine weißrussische Studentin — beschwingtes Leben zwischen dem Steilgarten hinter dem Haus und der Dorfstraße. Die Landler sind Besuch gewohnt: Internetforen und Fachpublikationen zeugen von einer regen Aktivität von Journalisten und Sprachforschern. Und da gibt es noch die Linzer Landlerhilfe — seit 20 Jahren entsendet sie Zivildiener in die Ukraine und nach Rumänien, man betreut die weihnachtliche Paketaktion, unterrichtet Deutsch und hackt Holz für ältere Leute. Drei der Ehemaligen haben mit Frauen aus Königsfeld Familien gegründet und leben mit ihnen in Österreich. Viele sind auch nach Deutschland ausgewandert. Allmählich kommen der Landlerhilfe die Landler abhanden. Es gibt nur noch rund 30 Familien, in denen zumindest ein Familienmitglied österreichische Wurzeln aufweist. Aktive Deutschsprecher kann man sowieso an einer Hand abzählen. Nur noch ein Monat verbleibt der Großfamilie in den Waldkar ae % Elisabeth Kais in ihrem Wohnzimmer. Foto: P. Adelsgruber Typ, der nicht herumredet und auf Fragen meist eine präzise Antwort parat hat. Seit Jahren Baptist, spielt für ihn und seine Familie der Glaube eine wichtige Rolle. Wir kommen auch auf den aktuellen Flüchtlingsstrom nach Europa zu sprechen. Valentin zeigt wenig Verständnis für erleichterte Aufnahmebedingungen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bürokratischen Hürden, die Mitglieder seiner Familie bei der Einreise nach Österreich überwinden mussten. Die Besiedelung des Tals durch die ersten 100 oberösterreichischen Holzarbeiter und ihre Familien begann im Jahr 1775. In den Listen der Auswanderer, es waren allesamt Katholiken, findet sich ein „Mathias Kälß, Holzknecht, ledig, geboren 1753 in Bad Ischl, letzter Wohnort Obereck bei Ischl“. Ein Vorfahr der Familie Kais? Abschreibfehler waren schnell passiert, ein „|“ konnte schon mal zu einem „i“ mutieren. Man brauchte die Männer in der menschenleeren Gegend, die damals zu Ungarn gehörte, um den Holzbedarf für den Betrieb der nahen Salinen gewährleisten zu können. Im Unterschied zur Vertreibung der innerösterreichischen Protestanten in den Jahrzehnten davor handelte es sich hier um die Anwerbung von gesuchten Arbeitskräften. Viel Platz war nicht zwischen den bewaldeten Hängen und der Tereswa: Eng an eng stehen die Stirnseiten der Häuser im langgezogenen, 1.500 Einwohner zählenden Königsfeld. Alte Holzhäuser im Salzkammergutstil zeugen noch von der handwerklichen Finesse der Landler. Zwei Kirchen (eine römisch-katholische, eine orthodoxe), die Schule, zwei Hotels, ein paar Geschäfte und Cafes markieren den Ortskern. Zum Friedhof hinauf führt eine Schotterstraße. Ich folge der Straße eines Abends weiter und erreiche nach 40 Minuten den Bergrücken - hier bewirtschaftete man früher Almen. Seit der Zeit der Kollektivierung ist das passé, der Wald holt sich die Wiesen zurück. Zwei alte LKWs winden sich den steilen Weg herunter, auf der Ladefläche sitzen Heidelbeerpflücker, die von ihrem Tagwerk heimkehren. Eine Person kann es auf bis zu 50 Kilogramm täglich bringen, das bringt umgerechnet 30 Euro. Viel Geld, wenn man bedenkt, dass die Mindestrente bei 50 Euro liegt.