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hilfreich“ für die verfolgte deutsche Literatur eingetreten war. Ein solches Eintreten hatte ja Theodor Kramer zusammen mit seinen sozialistischen Schriftstellerkollegen in der Petition an den Internationalen PE.N. einen Monat zuvor gefordert. Die Teilnahme von Kreutz am Kramer-Abend zeigte, dass Kramer Kreutz wegen der im PE.N. geleisteten Hilfe schätzte. Und sie zeigte, dass Kramer dazu bereit war, auch mit Menschen zusammenzuarbeiten, die — wie Kreutz — keinem sozialistischen Verein angehörten. Kramer trug so gesehen keine ideologischen Scheuklappen. Kurt Blaukopf erinnerte sich sogar, dass Kramer einmal „unmittelbar nach dem Juliabkommen 1936 zwischen Hitler und Schuschnigg 1936“ ein Gedicht geschrieben habe, „das inhaltlich auf die Versöhnung der im Februar 1934 entstandenen Gegensätze hinausgelaufen ist“; „aufbeiden Seiten“ hätten „arme Hunde“ gekämpft, „die sollten sich nun über dem Graben die Hände reichen“ — mit dieser Auffassung habe Kramer „seinen engsten Gesinnungsgenossen nicht kommen“ k6nnen.!° War Kramer also 1936 bereit, sich auch mit bestimmten ehemaligen Gegnern zu verbünden, um Hitler zu verhindern - im Sinne einer „kritischen Versöhnung“, wie Kaiser sagt!" -, so war es für ihn schon 1934 kein Problem, zusammen mit Nichtsozialisten Lesungen zu veranstalten. Am 17. Mai 1934 verbündete sich aber nicht nur Kramer mit Kreutz, auch Kreutz solidarisierte sich mit Kramer. In seiner Rede am Kramer-Abend hatte Kreutz ja ausdrücklich dazu aufgerufen, die Künstler zu schützen, sie „nicht ganz verhungern“ zu lassen, denn nur so könne der „Kulturbegriff Österreich“ gerettet werden. Die Hilfe für die Schriftsteller sei damit Selbsthilfe. Diese Worte von Kreutz hatten einen realen Hintergrund. Kramers materielle Existenz war nämlich doppelt gefährdet: Erstens wurden ja seit Mai 1933 Kramers Arbeiten nicht mehr in Nazi-Deutschland gedruckt. Und zweitens war im Februar 1933 die „Arbeiter-Zeitung“, die viele Gedichte von Kramer gedruckt hatte, verboten worden.'” Auch wenn Kramer in anderen österreichischen Zeitungen veröffentlichen durfte, so berichtet Kaiser doch davon, dass „die materielle Situation Kramers (...) in der Zeit des ‚Ständestaats‘ immer schlechter wurde. “'® Noch dazu musste im März 1933 die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller in Wien, dessen ObmannStellvertreter Kramer seit wenigen Wochen war, auf behördlichen Befehl hin aufgelöst werden.!” Kramer war also im Jahr 1934 nicht nur materiell gefährdet; es bestand für ihn durchaus auch die Gefahr der Verhaftung: „Seit dem März 1933 ging ein Hagel von Verboten, Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen auf die Arbeiterbewegung nieder“, sagt Kaiser.''° Und Kramer schrieb in dieser Zeit nicht nur Naturlyrik, sondern auch „illegale“ Gedichte, die er aber „nur einem vertrauten Freundeskreis“, darunter Kurt Blaukopf und Johann Muschik, vortrug.'!! Die Unsicherheit auch seiner eigenen Situation fasste Kramer in einem mit „l. November 1933“ überschriebenen Gedicht in die Zeilen: „(...) wer heute durch die Straßen geht, tut’s heut vielleicht zum letzten Mal.“''? Dass Kreutz sich als PE.N.-Vorstandsmitglied am Kramer-Abend beteiligte, deutet also nicht nur auf Sympathie zu einem von Nazi-Deutschland getroffenen Schriftsteller hin, sondern auch auf die Furcht um einen Autor, der durch das Vorgehen der österreichischen Regierung gegen die Arbeiter und ihre Anführer in Gefahr war. Aber war die Beteiligung von Kreutz wirklich eine Demonstration für Kramer — oder einfach nur ein literarisches Lob ohne jedes politische Bekenntnis? Amann sagt, dass der österreichische PE.N. 1934 — nach der Austrittswelle von 1933 — noch einmal in seiner Existenz bedroht war: Habe doch die Regierung Dollfuß versucht, linke intellektuelle Kräfte auszuschalten.''? Als Präsident des Internationalen PE.N. berichtete H.G. Wells in seiner Eröffnungsrede auf dem Internationalen PE.N.-Kongreß in Edinburgh/Glasgow am 17. Juni 1934 davon, dass versucht worden sei, „alle Mitglieder, die für die herrschende Regierung keine Sympathie hätten, also die linksgerichteten Denker, Internationalisten und so weiter“ aus dem österreichischen PE.N. auszuschließen; der österreichische PE.N. habe aber einen „Sieg“ (gegen die Regierung) errungen und sei ein „offener Club“ geblieben.'' Amann!” meint allerdings, dass H.G. Wells „vorschnell“ von einem „Sieg“ des österreichischen PE.N. gegen die Regierung gesprochen habe. Vielmehr habe nach dem Bürgerkrieg im Februar 1934 die „andere Seite“ gesiegt: Nicht nur Fritz Brügel, sondern auch andere PE.N-Mitglieder wie Paul Frischauer, Robert Neumann und Hugo Sonnenschein (dieser war am 21.3.1934 in Schubhaft genommen und in die Tschechoslowakei abgeschoben worden) hätten Österreich mit der Zeit verlassen. An ihrer Stelle hätten konservative Autoren im PE.N. — „gleich wie im übrigen Österreich“ — „die Macht übernommen“: Etwa Guido Zernatto, nach 1934 Präsident des österreichischen PE.N. und ab 1936 Staatssekretär, und dann der Minister Hans Hammerstein, österreichischer PE.N.-Präsident ab 1936. Amann zitiert Neumann: Es kam der „Februar 1934, Bürgerkrieg, ‚Sieg‘ der Austrofaschisten, und nun waren es wir ‚linken‘ Protestierer, die im PE.N. nichts mehr zu bestellen hatten, er war fest in der Hand der neuen Herren. “!!° War Kreutz also nach dem Februar 1934 ein Kämpfer für die „Geistesfreiheit“ auch der „linken‘ Protestierer“ in einem „neu formierten, antinazistisch orientierten PE.N.“? Oder war er — als PE.N.-Vorstand seit Dezember 1933 — Diener der „neuen Herren“ in einem Österreich, das — so Brügel''” in einem Brief an Wells - die „selbstherrlichste Zensur“ übte? Kann man gegen Kreutz den Vorwurf erheben, zu dieser „selbstherrlichen Zensur“ im eigenen Land geschwiegen zu haben, während er doch gegen die deutsche Nazi-Zensur lautstark protestiert hatte? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der österreichische PE.N keinen der „linken Protestierer“ ausschloss, also nach dem Februar 1934 nicht das tat, was — wie Wells sagte — die österreichische Regierung forderte. Der PE.N. kämpfte damit 1934 für Meinungsfreiheit in Österreich. Zwar hatte Kreutz im Mai 1933 geschrieben, Dollfuß zeige „klugen Willen und harten Mut“, Österreich „zu enthitlern und zu entpreußen“.''® Aber im Februar 1934 war mit der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ auch eine Zeitung verboten worden, die 1919 den Roman „Die große Phrase“ von Kreutz in Auszügen veröffentlicht hatte!'?, und es war mit Theodor Kramer ein Dichter zum Schweigen gebracht worden, den Kreutz schätzte. So war der Auftritt des PE.N-Vorstandsmitglieds Kreutz für Kramer — nur drei Monate nach den Februar-Ereignissen — durchaus als Teil des innerösterreichischen Kampfes um schriftstellerische Freiheit zu sehen. Übrigens sollte Hugo Hellers Bukum A.G. einige Monate später, am 8. November 1934, zu einer Vorlesung von Kreutz „aus eigenen Schriften“ einladen, an der auch Esti Freud, Sigmund Freuds Schwiegertochter, mitwirkte!?°; Kramer war von 1926 bis 1931 Vertreter der Buchauslieferung der Bukum A.G. gewesen. '”! Dezember 2016 17/