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Rezeption Mahlers in Österreich seit 1918, mit dem aussagekräftigen Titel „Feindbild Gustav Mahler. Zur antisemitischen Abwehr der Moderne in Österreich“. Im Mahler-Jahr 2011 schrieben die beiden Autoren ein weiteres Buch über den Komponisten, diesen ewigen Anfeindungsbild des Wiener Musiklebens: „Treffpunkt der Moderne. Gustav Mahler, Theodor W. Adorno, Wiener Traditionen“. Scheit und Svoboda kommen darin zum Schluss, dass die Musik Mahlers und deren Deutung durch Adorno „eine Bestimmung dessen, was Moderne überhaupt ist und sein kann, in einem anderen Sinn notwendig machen, als es der bloße Stilund Epochenbegriff zu leisten vermag“. Antisemitismus, Antimoderne, Wahn... Doch das so wahnhaft wirkende Agieren der WienerInnen, zumindest jener, die sich als echte Deutsche fühlen wollten, war nicht ganz unpragmatisch, denn Orpheus hatte eine goldene Lyra in seiner Wohnung und Amor besaß sogar ein Stück Himmel. Gerhard Scheit schrieb einiges zum Raubmord der Nachbarn, so 2000, dem Jahr Null von Schwarz-Blau, in einem Aufsatz für das „Braunbuch Österreich“: Daß aber der größten Vernichtung der Menschheitsgeschichte der größte Reichtum entspringt, der jemals zu haben war, darin bestand das eigentliche Wunder der Nachkriegszeit, das man mit dem Begriff „Wirtschafiswunder“ schon wieder zu rationalisieren sucht. Daß Nationalsozialismus, Massenmord und Vernichtungskrieg notwendig gewesen zu sein schienen, um die Krise zu überwinden und den Nachkriegsboom zu bekommen, ist ein Wissen, das offenkundig tabuisiert werden musste [...] (Gerhard Scheit: Deutsche Krisenbewältigung, österreichisches Lebensgefühl. In: Hermann Gremliza (Hg.): Braunbuch Österreich. Ein Nazi kommt selten allein. Hamburg 2000, S. 61). Gegen dieses und viele andere Tabus, die uns Naziverfolgung und Shoah hinterlassen haben, schreibt Gerhard Scheit seit 1981 an. Begonnen hat er als Student der Theaterwissenschaft an der Uni Wien mit einer Broschiire tiber bzw. gegen den Professorengott am Theaterwissenschaftshimmel Heinz Kindermann, dem der Führer ganz persönlich ein Institut in Wien geschenkt hatte, um deutsches Bühnenwerk zu lehren. Gerhard Scheit studierte auch an der FU Berlin Theaterwissenschaft, Deutsche Philologie, Philosophie und Politikwissenschaft. Als Sohn des Wiener Philharmonikers Ernst Scheit hatte er eigentlich als Musiker begonnen, ähnlich wie Adorno, und zwar an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien (Violine, Posaune und Klavier). So führte er auch in Berlin sein Musikstudium fort, und zwar privat beim Exilösterreicher Georg Knepler in Ostberlin. Dieser hatte in den 1930er Jahren Lesungen Karl Kraus’ als Pianist begleitet, weiters mit Bertolt Brecht, Hans Eisler und Helene Weigel zusammengearbeitet. Nachdem Gerhard Scheit, ausgehend von den Theorien Peter Szondis und Georg Lukacs’ bei Paul Stefanek, dieser hatte inzwischen mit anderen TheaterwissenschaftlerInnen die alte Nazigarde in Wien abgelöst, mit einer Dissertation über „Krise und Kritik des modernen Dramas: Am Beispiel von Brecht und Bronnen“ abschloss, begann er ein Buch nach dem anderen zu publizieren. Mit der verborgenen Dialektik moderner Dramaturgie beschäftigte er sich in den darauf folgenden Jahren und schrieb u.a. eine der ersten umfangreichen Studien zu Jura Soyfer (1988) sowie die rororo-Monographie iiber Franz Grillparzer (1989). 1989 gehörte er zu den MitbegründerInnen der Jura Soyfer Gesellschaft und gab mit Konstantin Kaiser die Nullnummer der Zeitschrift „Jura Soyfer“ heraus. In „Dramaturgie der Geschlechter. Über die gemeinsame Geschichte von Drama und Oper“ (erschienen 1995) beschreibt Gerhard Scheit, wie sich in Bühnentexten und auf der Bühne jeweils Extreme von Ordnung und Unordnung, Telos und Konflikt ausbilden. In seiner „kleinen Geschichte der Komik von Mozart bis Thomas Bernhard“ mit dem Titel „Hanswurst und der Staat“ (1995) beschäftigt er sich mit dem subtilen und ganz eigenen Kampf zwischen Bühne und Amtsstube in Österreich. 1995 wird auch „Orpheus im Exil“ veröffentlicht. Darin legte Gerhard Scheit gemeinsam mit Wilhelm Svoboda und dem Musikwissenschafter Walter Pass eine erste Bestandsaufnahme der Vertreibung österreichischer Musikschaffender von 1938 bis 1945 vor. 1991 geschahen in Hoyerswerda brutale Übergriffe von Neonazis auf Flüchtlinge. Zwischen dem 22. und 26. August 1992 kam es zum Pogrom von Rostock. Hunderte Neonazis belagerten ein Flüchtlingsheim und legten Feuer unter dem Jubel tausender Rostocker. Nur der glückliche Zufall wollte es, dass keiner der 115 Dezember 2016 25