OCR
Thomas Wallerberger Einführung, StifterHaus, Linz, 17. Oktober 2016 Mir kommt heute die Aufgabe zu, eine Einführung zu den diesjährigen Theodor-Kramer-Preisträgern, Stefan Horvath und Gerhard Scheit, zu geben. Es sind zwei schr unterschiedliche Autoren, die heuer gewürdigt werden. Einerseits Gerhard Scheit, der präzise Essayist und Buchautor, der Analytiker und Kritiker herrschender Ideologie in Politik, Musik, Theater, Philosophie, welcher gerade in den Zwischenräumen, die andere als die postmoderne Mechanik der Zufälligkeit preisen, seine größte Klarheit und Schärfe entwickelt, und auf der anderen Seite Stefan Horvath: Chronist des Lebens von Roma im Burgenland und Österreich, dessen suggestive Erzählweise ein begehbares Bild von Orten (und Lebensgeschichten) vermittelt, die zuerst zur Auslöschung vorgesehen, später an die Peripherie des Gesellschaftlichen, als lästige Probleme, geschoben wurden. Wenn ich Horvath als Kämpfer und Scheit als Verfechter bezeichne, sind dies vielleicht martialische Begriffe; doch forderten die Werke beider Autoren stets Widerstand heraus, sind gegen Bollwerke des Vergessens gerichtet und umschreiten diese nicht nur. In mehrerer Hinsicht ist die Aufgabe diese beiden Autoren vorzustellen eine herausfordernde: Sie ist allgemein herausfordernd. Allgemein insofern, als durch einen gemeinsamen Preis an zwei Autoren Gemeinsamkeit zuerst einmal nur behauptet wird, sie will erklärt werden über das spezifische Werk und aufgehoben sein in einem weitreichenden Zusammenhang, womöglich in einem gemeinsamen Ziel, einer geteilten Haltung, einem Widerstand gegen oder ähnlichem Streben für etwas. Ich sche Scheit und Horvath aufdem gemeinsamen Standpunkt der Kritik: Scheit als Verfechter eines spezifischen Blicks der Kritik und Horvath als kritischen Kämpfer gegen Benachteiligungen einer Volksgruppe, als Kämpfer für Verbesserungen und gegen das Stillhalten. Als einen, der um eine literarische Stimme ringt und sie den Ungehörten und Vergessenen gibt. In gewisser Hinsicht sind beide auch Vorkämpfer. Und hier mag neben der allgemeinen, für mich persönlich, auch die besondere Herausforderung liegen. Wie jedes Jahr wird der Iheodor Kramer Preis an verschiedenen Orten präsentiert. In seiner Laudatio in Niederhollabrunn identifizierte Konstantin Kaiser als Gemeinsamkeit der beiden Preisträger den „langen Weg und den Bruch“. Diese Brüche sind sicherlich nicht chirugisch bestimmbar, sie kreisen bei Gerhard Scheit um die Entscheidung, Kontinuität von Antimodernismus und Antisemitismus in Kunst und Politik im 20. und 21. Jhd. zum eigenen Thema zu machen — abseits vom gängigen intellektuellen Mainstream an Universitäten und in der Publizistik —, und bei Stefan Horvath um den traumatischen Verlust seines Sohns Peter Sarközi bei einem Bombenattentat am Rande der Oberwarter Romasiedlung, ausgeführt durch den Rechtsextremen Franz Fuchs im Februar 1995. Als mindestens eine Generation jünger, sind diese beiden Brüche für mich in gewisser Hinsicht - man möge mir das Wort verzeihen — „historisch“. Die Wichtigkeit der Thematisierung der NS-Vergangenheit des chem. Bundespräsidentschaften Kurt Waldheim und alle Auseinandersetzungen, die darauf folgten oder ihr vorangingen, können von mir allenfalls nachgelesen werden und dies u.a. bei Gerhard Scheit. Die Bombenattentate des Franz Fuchs — 1995 war ich gerade acht Jahre alt — wurden mir wiederum als allgemein dämonische Bedrohung, die abstrakt „ganz Österreich“ treffen könne, vermittelt. Sie waren Schauergeschichten meiner Großmutter, Angehörige einer Generation, die oftmals gängige rassistische Ressentiments und das postnazistische Residuum tradierte. Hier liegt für mich neben dem allgemeinen Zusammenhang, auf den ich noch zu sprechen komme, eben der besondere in einem persönlichen Sinne. Denn aufbauend auf Bruch und den langen Wegen der beiden Autoren, wurde es für viele möglich, an eine Kontinuität der Kritik anzuschließen, Perspektiven zu entwickeln, Distanz zu gewinnen, eigene Brüche zu kontextualisieren. Ab dem Zeitpunkt, da sich die faktischen Bedingungen des historischen Exils und Widerstands radikal änderten - ab dem Sieg über den Nationalsozialismus —, ab dem wir nun über das Fortoder Weiterleben bzw. die Neuformierungen von Antimodernismus und NS-Ideologie sprechen, stellen sich auch Exil und Widerstand anders dar. So schreibt der österreichische Exilant und Widerständler, KZ-Häftling und Shoah-Überlebende, Jean Améry von einem lebenslangen Exil. (Gerhard Scheit gab drei Bände der Amery-Gesamtausgabe mit heraus.) Das Exil dauerte an und mit ihm auch der Widerstand. Widerstand gegen wen oder was? Widerstand gegen Vergessen, Verdrängung, Wiederholung aber auch Vereinfachung. Das Exil war nicht die Theorie einer widerständigen Praxis; ebensowenig lassen sich Gerhard Scheit und Stefan Horvath in eine solche Dichotomie drängen. Sie haben beide einen kritischen Zugang, sie plädieren sowohl für eine Verbesserung als auch für eine grundlegende Veränderung von Denk- und Lebensweise und sind dabei im besten und im weitesten Sinne des Wortes Kultur- und Ideologiekritiker. Die ungarische Philosophin Ägnes Heller verortet „das allgemeine Problem des Verhältnisses von Theorie und Praxis“ als „ein besonderes Problem der bürgerlichen Gesellschaft“. Ob marxistisch eingestellt oder nicht, beide, Horvath und Scheit, formulieren eine Kritik, die zur Dezember 2016 2/