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Veränderung drängt, sie sind nicht bloß „kritische Kritiker“, wie es bei Marx spöttisch über manche Hegelschüler heißt. So hat die Forderung nach einer besseren Schulbildung, die Stefan Horvath in seinen Büchern für die Volksgruppe der Roma immer wieder erhebt, nicht als Inhalt die bloße „Chancengleichheit“ freier Marktteilnehmer oder ein abstraktes Ziel der „Allgemeinbildung“, sondern zielt immer auch auf Sichtbarmachung und Emanzipation. Und Gerhard Scheits Anschreiben gegen die Kontinuitat einer postnazistischen Intimitat, gegen die Nestwarme der „Volksgemeinschaft“, verschleiert durch nur scheinbare ideologische Differenzen, die stets zur Auflösung in einem barbarischen Gewaltakt drängen, ist ein fortdauernder Einspruch gegen eine erneute Mystifizierung des Politischen, erhebt den Anspruch, Freiheit zu erringen und zu verteidigen. Gerade deshalb, weil beide Autoren in einem sprechenden Verhältnis mit der Geschichte stehen und Kontinuitäten aufspüren, statt Zeitenbrüche und Neuanfänge zu konstatieren oder zu bewerben, sind diese beiden Autoren meiner Meinung nach eng miteinander verbunden — so unterschiedlich ihr Werk auch sein mag. Zu den Werken selbst Stefan Horvath stellt in seinen Veröffentlichungen, z.B. zur Geschichte der drei Oberwarter Roma-Siedlungen, das dar, was Gerhard Scheit wohl ‚Postfaschismus‘ oder ‚Postnazismus‘ nennen würde. Der Porajmos, der Massenmord an Roma und Sinti durch den NS, ging in der 2. Republik in bürokratische Schikanen, sprachliche Denunzierungen und letztlich offen ausagierte Gewalt über. Ein unbändiger Hass gegen den Anderen, der zuletzt zur „Vollendung der politischen Gewalt“ führte, und zwar „in einer Gesellschaft, die wesenhaft auf der Überflüssigkeit des Einzelnen beruht“ — wie es in Gerhard Scheits Buch über Selbstmordattentate „Suicide Attack“ heißt. Postnazismus: Das bedeutet im Falle der Roma im Burgenland, wo nur 800 von 9000 Roma den NS überlebten, dass viele Beamte von vor 1945 auch nach 1945 in ihren Ämtern verblieben. Diejenigen, die davor für „Deportationen“ zuständig waren, zeichneten sich danach für „Neueinbürgerungen“ verantwortlich. Horvath beschreibt in seinen Erzählungen, wie sich der Antiziganismus in die Gegenwart tradierte und tradiert. Auch in der 2. Republik wurde von einem „Romaproblem“ gesprochen, nach 1945 der verbreitete Analphabetismus, Ergebnis andauernder Ausgrenzung aus dem Schulsystem, als Hebel angesetzt, um RückkehrerInnen als „staatenlos“ zu diffamieren und ihnen den Weg zu Entschädigungszahlungen zu verbauen. Postnazismus bedeutet aber auch einen gegen den Staat Israel gewandten Antizionismus. Gerhard Scheit schreibt darüber in unzähligen Publikationen. Scheit schreibt gegen eine „instrumentelle Vernunft“, aber auch gegen das Diktum einer „zynischen Vernunft“ oder die allgemeine Relativierung der Ratio im Poststrukturalismus an. Gerhard Scheit „verficht“ einen Begriff vom Subjekt durch seine Schriften hindurch, verteidigt ihn, analytisch und ideologiekritisch, manchmal notwendig polemisch, gegen die Apologeten seiner Überflüssigkeit. Stefan Horvath „kämpft“ gegen ein rassistisches Gefüge, das ihm im Februar 1995, beim Bombenattentat auf die Oberwarter Romasiedlung, seinen Sohn Peter raubte. Das Bombenattentat in Oberwart und etliche weitere Angriffe durch 28 — ZWISCHENWELT den Rechtsextremen Franz Fuchs bedeuteten auch für Gerhard Scheits Schreiben eine Zäsur. Ab diesem Zeitpunkt wendet er sich immer stärker der politischen Theorie zu und verdichtet diese Auseinandersetzung in der seit 2012 herausgegebenen „sans phrase — Zeitschrift für Ideologiekritik“. Die Herausgabe dieser Zeitschrift bezeichnete Gerhard Scheit in Zwischenwelt als „fast unmögliches Zeitschriftenunternehmen“, das versucht werden müsse. Scheits essayistisches Werk reicht sehr weit, seine Aufsätze tragen Titel wie „Von Waggerl zu Goisern, von der Reichsmark zum Euro“ (u.a. eine Auseinandersetzung mit der Kulturhauptstadt Linz 2009) und sind tabulose Analysen zu Politik, Philosophie und Ästhetik. Der 5. Februar, der Tag nach dem Terroranschlag in Oberwart, ist der Tag, an dem Stefan Horvath zu schreiben beginnt. Der erste Oberwarter Rom mit Hauptschulabschluss legt drei Bücher vor: „Ich war nicht in Auschwitz“, „Katzenstreu“ und „Atsinganos“. Es entstehen der Einakter „Begegnung zwischen einem Engel und einem Zigeuner“ und zahlreiche Gedichte. Aus seinem neuen, noch unveröffentlichten Buch werden wir heute Auszüge zu hören bekommen. In seinen Büchern erzählt er vom Leben in den Oberwarter Romasiedlungen, vom Leben seines Vaters, der die KZ Gusen, Mauthausen, Dachau und Buchenwald überlebte, und dem seiner Mutter, die in den Konzentrationslagern Auschwitz und Ravensbrück gefangen war. Er beschreibt, wie eine Generation von NS-Überlebenden nach 1945 weiterhin drangsaliert und ausgegrenzt wurde, berichtet aber auch bildhaft von der Lebenslust in diesem kleinen, abgelegenen Oberwarter Stadtteil, der zwischen Schießplatz und Mülldeponie lag und von der Kommunalpolitik als lästig und nicht dem Gemeinwesen zugehörig empfunden wurde. Er beschreibt, wie die Duschen in der neu erbauten, dritten Romasiedlung viele — v.a. Frauen — irre machten, weil diese an die KZ-Lager erinnerten, und wie sich manche mit „billigem Rum“ zerstörten, um Perspektivenlosigkeit und Erinnerungen zu entkommen. Doch sind da auch Erzähl- und Liederabende, Gerüche von Bäckereien und theatrale Kartenspielabende, die einem viel mitteilen von einem Zusammenhalt in vielleicht elenden, aber auch vertrauten Verhältnissen. Nach dem Februar 1995 wurde Horvath zum Vermittler zwischen Verwaltung, Öffentlichkeit und Siedlungsbewohnern, er wurde aber auch zum Anwalt und Vorkämpfer für die Rechte der Roma in Österreich. Ein Kampf, der ihn auch erschöpfte und den er literarisch immer wieder aufnahm. Gerhard Scheit ist ein Verfechter kritischer Theorie. Er greift dabei nicht lediglich auf die kritische Theorie zu, sondern entwickelt sie weiter. Den vielerlei einfachen Zugriffen auf beispielsweise Walter Benjamin bei einer Tagung 2015 in Ramallah unter dem Titel „Benjamin in Palestine“, in der Benjamins geschichtsphilosophische These des „schwachen Messianismus“ dazu verdreht wurde, Attentate auf israelische Zivilisten zu rechtfertigen, setzt er ideologiekritische Studien zur „deutschen Ideologie“ entgegen. Er tut dies beispielsweise in seinem Buch „Der Wahn vom Weltsouverän“. In seinen aktuellen Studien knüpft er zugleich an die lange Zeit vergessenen, kritischen Begriffe des „Rackets“ von Max Horkheimer und des „Unstaats“ von Franz Neumann („Behemoth“) an. Von diesen Begriffen ausgehend unternimmt das Buch „Quälbarer Leib. Kritik der Gesellschaft nach Adorno“ (2011) schließlich auch den Versuch einer Neuinterpretation von