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Sevilay Einmal war sie gut aufgelegt, Sevilay, die Tochter von zwei Arbeitsmigranten. Da sagte sie: „Kinder, das ist der Kravuzi, er hilft euch bei Sorgen und Weh. Kommt alle her, holt eure Sessel, setzt euch nieder im Kreis — erzählt ihm, was euch betrübt.“ Als Erste nahm den Plüschhund Ella an sich. „Mein Bruder schlägt mich“, sagte sie so leise, dass man ihr die Worte von den Lippen kaum ablesen konnte. „Erzähl das der Mama“, folgte die trockene Antwort. Dann war Karim dran: „Ich bin traurig, weil der Papa nicht mehr bei uns wohnt...“ „Da hilft dir sicher die Mama.“ „Meine Mami schimpft mich so oft...“ „Rede mit ihr!“ „Mein Papa hat einen Teller in der Küche kaputt gemacht...“ „Und was sagte die Mama?“ Die Kleinen erzählten weiter der Reihe nach. Einigen flossen die Tränen, sie haben verzweifelt versucht die Welt der Erwachsenen zu begreifen. Sevilay war aber schon schr weit weg in Gedanken. Aus einem für sie nicht erfassbaren Grund grübelt sie über ihre Oma nach, die in der Türkei beheimatet ist und die sie noch nie geschen hat. Weil die Alte es nicht über sich gebracht hat, ihrer Tochter die Flucht übers Meer zu verzeihen und die Heirat mit diesem Blindgänger aus dem benachbarten Dorf. Lara Die knuddelige Lara, laut Kommentaren der „Tante“: „Zigeunertochter“. Die kleine Unzierde der Gruppe, die keine leiseste Ahnung hat, weshalb sie von der ganzen Umgebung bestraft wird. Der Vater schrie sie vor Kurzem an. Die Mutter brachte sie zu einer komischen Frau, die meinte, dass alles in Ordnung sei. Die Tante der Gruppe meint, aus ihr wird ‚ne Schlampe‘, weil sie so früh beginnt. Nun ja... Die vom ununterbrochenen Treiben verschwitzte Lara reibt ihren Leib gegen die Böden, Matrazen und Tische. Sie kann noch kaum sprechen, weshalb alle denken, dass sie es nicht auffasst, wenn jemand fragt: „Was denkst du, könnte sie kommen?“ 32. ZWISCHENWELT