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Lilli Lilli, sie lebt so gerne in ihrer Traumwelt. Da, wo die rosa Elefanten aus Zuckerwatte federleicht durch die Lüfte gleiten und manchmal sind sie sogar so schr beschwingt, dass sie mit den Rüsseln von Liebe erfüllt aus der Höhe winken. In dieser vollen rosa Elefanten Welt stößt der Vater die Mutter nicht mehr so oft und gar nicht mehr auf der Straße. (Weil dann weint die Mutter zu Hause ganz laut!) In dieser wunderschönen Welt redet die Mama auch mit ihr Thailändisch und nicht in diesem Deutsch, für welches der Vater sie verhöhnt. In ihrer eigenen Welt dürfen sie alle länger in Thailand bleiben, weil die unvermeidliche Armut nicht das ist, wofür man sich schämen soll. In dieser vollen Rosa Elefanten-Welt, wenn die anderen das zulassen, versucht sie oft im Kindergarten zu leben. Das sind Tage, an welchen sie die Kinder nicht anspuckt und nicht beißt und nicht schubst. Eylül Eylül, auf Deutsch — September. Geboren im Frühling, dick eingepackt in die stinkenden Lumpen von der Schwester. Verliert sie — kriegt sie Wutattacken, na ja, deswegen spielt sie lieber alleine, diese kleine Eylül, die niemand versteht. Man darf sie nicht anschauen, sonst plärrt sie und schmeißt sich oder die Bausteine gegen die Wand. Und wenn sich mal doch so was wie ein Gespräch ergibt, dann sagt sie nur yes, Spongebob und noch ein paar Wörter aus dem Fernsehen, die kleine Eylül, die niemand ansieht. Eylül versteht kein Deutsch. Eylül redet nicht Türkisch. Sie sagt nur yes, Spongebob und noch ein paar englische Wörter. Und sonst, wenn sie sich unbeobachtet fühlt, streift sie im von Spielzeugen vollen Raum herum, murmelt vage die Silben vor sich hin und weiß nicht, wonach sie sucht, die kleine Eylül, Vorschulkind in ihren stinkenden Lumpen. Iryna Lykovych wurde 1984 in Transkarpatien (Ukraine) geboren, absolvierte ein Studium der Ukrainischen Philologie an der Uzhgoroder Nationalen Universität und ein Slawistik-Studium an der Universität Wien. In der Ukraine arbeitete als Journalistin in Odessa. Ihr literarisches Debut, der Kurzgeschichten-Band Zugvogel, erschien 2006. Sie ist Gewinnerin verschiedener literarischer Auszeichnungen (etwa: Debut 2007 des ukrainisch-deutschen Oles-Hontschar-Preises (2009) und der Koronazija Slowa 2010). Bisher erschienen vier Werke der Autorin, von denen zwei (Tatzelwurm und Senderin) auf der ukrainischen BBC-LONGLIST Buch des Jahres platziert waren. Derzeit lebt Iryna Lykovych in Wien. Sie arbeitet als Sprachforderin. Dezember 2016 33