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Lucas Cejpek Porzellan. Für Edmund de Waal PORZELLAN Im in China. Mit diesem Satz beginnt Edmund de Waal den Bericht seiner Pilgerfahrt zu den Anfängen der Porzellanherstellung in Jingdezhen vor über tausend Jahren und auf den Spuren der ersten europäischen Porzellanmanufakturen in Meißen und Plymouth. 7he White Road (2005) ist gleichzeitig eine Autobiographie de Waals, der mit fünf Jahren in London zu töpfern begonnen hat und zu seinem 50. Geburtstag wissen will, wie sich Weiß mit dem Wetter ändert. PORZELLAN 1: is white, returning to white. Rohstoff und Endprodukt. Und alles rund um das Weiße Gold ist ebenfalls weiß, wie Marco Polo um 1300 das chinesische Neujahrsfest beschreibt. Die Tartaren nennen es das Weise Fest. Kublai Khan und seine Untertanen tragen Weiß und tauschen weiße Geschenke aus. Beim Weifsen Hoffest knien die Adeligen und Ritter vor dem Kaiser nieder und richten ihr Gebet an ihn, vier Mal. — Das erste Porzellan, das Marco Polo nach Europa mitgebracht hat, ist im Markusdom in Venedig zu schen, eine handgroße, graugrüne Vase, birnenförmig, mit Pflanzenmotiven verziert. — Ich habe bei meinen Besuchen in Venedig den Markusdom nie von innen geschen, weil schon der Markusplatz so überfüllt war. PORZELLAN Scherbenhaufen erinnern an den Anfang der Porzellanherstellung, und Hügel aus Kaolin, die de Waal alle besteigt, drei weise Hügel. Vom ersten aus kann er die Brennöfen von Jingdezhen sehen, die wie ein ewiges Gewitter leuchten. Ein Werkstück kann bis zur Vollendung durch 70 Hände gehen: Wiederholung ist wichtig, Nachahmung ist eine Form von Respekt. Fake. Fraud. Ersatz. Bogus. Replica. Simulacrum. Counterfeit. Forgery. Sham. De Waal macht und zitiert gerne Listen, weil er die Dinge hört, von denen er spricht. Manche Dinge fühlen sich wie Hauptwörter an, körperlich in Form und Gewicht. Andere sind Zeitwörter und im Fluß. Wenn ich sie sehe, höre ich sie. Ein Stapel von Schüsseln ist ein Akkord. PORZELLAN Zwischen Vermeers Briefleserin am offenen Fensterund dem Betrachter steht ein Tisch, der mit einem türkischen Teppich bedeckt ist, auf dem eine Fruchtschale aus blauweißem Porzellan steht, wie sie Mitte des 17. Jahrhunderts aus China importiert worden ist, schreibt Timothy Brook in seinem Buch Vermeers Hut und der Beginn der globalen Welt (2008). Mit chinesischen Motiven bemalte glasierte Tonware, die wie Porzellan aussah, wurde bald in Delft selbst hergestellt, wie der Raucher aufeinem Teller beweist — dieses Motiv gehört erst seit dem 20. Jahrhundert zum Repertoire der chinesischen Malerei, während es auf niederländischen Kacheln und Bildern schon dreihundert Jahre vorher zu finden ist, als Zeichen für Geselligkeit und Heiterkeit. — Johann Vermeer hat keine Raucher gemalt, seine Verwendung von Delfter Blau und seine Vorliebe für Hintergründe in gebrochenem Weiß könnten von seiner Begegnung mit chinesischen Bildern herrühren. - Wenn ich aus dem Fenster meines Arbeitszimmers schaue, sehe ich im Fenster gegenüber zwei chinesische Deckelvasen stehen, mit Tempellöwen als Griff. Die Löwen schauen sich an. 34 ZWISCHENWELT PORZELLAN Zwischen seinen Forschungsreisen sitzt Edmund de Waal in seinem Londoner Atelier und macht Porzellan und liest über Porzellan: Er will der Emperor of White werden, wie er August von Sachsen nennt, der von der Porzellankrankheit befallen war, wie er selbst gesagt hat — bis zu seinem Tod 1586 hatte er die größte Porzellansammlung des Westens zusammengetragen. Die Biicher und Papiere, die de Waal zusammengetragen hat, sind ungeordnet, sodaß wichtiges Material liegenbleibt, während der Zufall neue Wege eröffnet: Über die russische Revolution (Kasimir Malewitschs halbe Teetassen) und das Bauhaus (The Bauhaus is revolution in itself) kommt er zur Ausstellung Deutsches Volk, Deutsche Arbeit in Berlin 1934: Der Umschlag des Katalogs war mit einem weißen Kranz aus Eichenlaub verziert, und ein Ausstellungsraum war mit unverzierten Porzellangefäßen gefüllt. - 1935 wurde in einem Vorort von München die Porzellanmanufaktur Allach gegründet, um die Haushalte von SS-Männern mit Porzellan auszustatten, hergestellt von Zwangsarbeitern aus dem KZ Dachau. Julleuchter zum Jahreswechsel, Sportmedaillen, Plaketten zum Anschluß Österreichs, Geschenke für jeden Anlaß: Das Markenzeichen des großteils reinweißen Porzellans war ein Doppel-S in Form von zwei miteinander verschränkten Blitzen. — Deutsch sein heifst klar sein, hat Adolf Hitler gesagt, Friedrich der Große zu Pferd ist als Porzellanfigur in der Reichskanzlei gestanden. — Auf dem Portrait Reinhard Heydrichs von 1941 ist die Porzellanfigur Der Fechter zu sehen, eine 32,5 cm hohe Figur mit nacktem Oberkérper und nackten Unterschenkeln, einen Arm in die Hiifte, den andern auf seinen Degen gestiitzt. Heydrich, der selbst ein Fechter war, sitzt in SS-Uniform in einem Lehnstuhl, die Beine übereinandergeschlagen, ein Blatt Papier in der rechten Hand — 1941 war er mit der Endlösung der Judenfrage beauftragt — die Uniformjacke ist über dem linken Handgelenk hochgerutscht, sodaß man die Armbanduhr sehen kann. — Als ich das Bild länger anschauen will, komme ich auf eine Homepage mit Bildern anderer Nazigrößen, die ich nur durch sofortiges Abmelden wieder verlassen kann. PORZELLAN Beider Vernissage seiner Keramikausstellung Atemwende in der New Yorker Gagosian Gallery 2013 wird Edmund de Waal gefragt, wie man immer nur weiße Sachen machen kann? — Das ist dieselbe Frage, die mir als Kind gestellt wurde, und es ist immer noch eine gute Frage. White is a way ofstarting again: Weiß steht für Neubeginn. - In Wien, der Heimatstadt seiner Familie, die von den Nazis vertrieben wurde, hat de Waal 2014 unter dem Titel Lichtzwang— wie Atemwende eine Wortschöpfung Paul Celans, dessen Gedichte ihn seit über 30 Jahren begleiten — zwei weiße Regale mit weißem Porzellan rhythmisch gefüllt. £s ist Musik, sagt de Waal. Es ist etwas, das sich langsam offenbart und kein Sofortbild. Die Regale sind an einer weißen Wand im frisch renovierten, weißen Theseustempel so angebracht, daß sie wie die Doppelseite eines Buches wirken, dessen Sprache noch nicht entziffert ist. Lucas Cejpek, geb. 1956 in Wien, wo er lebt. Freier Schriftsteller und Regisseur. Die hier abgedruckte Textfolge ist Teil des Konzeptbuchs „Ein weifses Feld. Selbst-versuch“, das im Frühjahr 2017 im Sonderzahl Verlag (Wien) erscheint.