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ihn zur Galionsfigur für die „Neue Deutsche Heilkunde“, die aus politischem Kalkül auch selbsternannte Heiler praktizieren ließ, deren Wissen nicht auf rationaler wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern auf Mythen und Überlieferungen der „deutschen Volksseele“ beruhte. An der rationalen Schulmedizin, die als jüdisch denunziert wurde, kritisierte man die „charakterliche Einstellung zu Volk und Rasse“. Sie sei die Folge von „Liberalismus, Individualismus, mechanistisch-materialistischem Denken und jüdisch-kommunistischer Menschheits-Ideologie“. Die NS-Propagandamaschinerie bereitete das "Ihema „Paracelsus“ reichsweit für die breite Bevölkerung auf.”* Die Gauhauptstadt Salzburg inszenierte den 400. Todestag von Paracelsus im Jahre 1941 mit einer großen Paracelsus-Feier vom 20.-28. September 1941, die rein ideologisch ausgerichtet war. In der Aula der Universität fand eine Paracelsus-Ausstellung unter der Schirmherrschaft des Reichsministers des Inneren Dr. Frick (1946 hingerichtet) statt. Er betonte in seiner Eröffnungsansprache, dass Paracelsus besser als seine ärztlichen Zeitgenossen gewusst habe, was einem Volk gut tue. Vom Judentum, von artfremdem Blut und artfremder Geisteshaltung habe Paracelsus nichts wissen wollen: Das körperlich und geistig Minderwertige habe er abgelehnt. Was Paracelsus vor 400 Jahren anstrebte, erdachte und ahnte, das solle und werde im Gesundheitsdienst des Dritten Reiches verwirklicht werden.” Zweieinhalb Jahre später begeisterte der NSAuftragsfilm „Paracelsus“ als Höhepunkt des nationalsozialistischen Paracelsus-Kultes ein Millionenpublikum. G.W. Pabst setzte mit Werner Krauß in der Hauptrolle gekonnt Klischees wie Volksarzt, Medizin-Rebell, Kritiker der Schulmedizin und antisemitischer Arzt in Szene. Die Uraufführung fand am 12. März 1943 im Salzburger Festspielhaus statt. Die NS-Propaganda stilisierte Paracelsus als den deutschen, antisemitischen Arzt schlechthin, aus dessen Geist die „Neue deutsche Heilkunde“ entstand, und hob die Berührungspunkte von Paracelsus mit der nationalsozialistischen Rassen- und Gesundheitspolitik hervor. Josef’ Ihoraks „Paracelsus“-Plastik verkörpert nun die kritische Haltung des „deutschen“ Arztes gegenüber der „alten“ Schulmedizin. In ihr sah man ein dem deutschen Wesen fremdes, vor allem semitisches Element. Paracelsus steht für den „heldischen, artbewußten deutschen Arzt“, welcher die „jüdische Art“ ablehnte, für die „blutgebundene Selbstdarstellung der Rasse und ihres schöpferischen Ingeniums.“”* Thoraks Formensprache vermittelt monumentales, teigiges Pathos. Der „heldische“ deutsche Denker, entindividualisiert, spannungslos und banal, garantiert die leichte Zugänglichkeit für den Betrachter. Die ihm beigegebenen Attribute, das Buch und der Destillierkolben, visualisieren rationale wissenschaftliche Erkenntnis, die theatralisch gerunzelte Stirn und die Körperhaltung sollen dem Betrachter seine kritisch ablehnende 52 ZWISCHENWELT Haltung dazu vermitteln. Thorak setzt damit in seiner Plastik das in allen Medien verbreitete NS-Paracelsus-Klischee um. Die jahrelange nationalsozialistische Indoktrinierung war mit dem Kriegsende und der Besetzung Salzburgs durch amerikanische Truppen in den Köpfen der Menschen nicht gelöscht: Der nationalsozialistische Inhalt des Paracelsus war dem Betrachter auch fünf Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur geläufig, als die Skulptur der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Man wusste noch sehr genau, was die Paracelsus-Skulptur Ihoraks besagte, doch im neuen politischen System war kollektives Vergessen angesagt. Ihorak, der Nutznießer des NS-Regimes, präsentierte sich als dessen Opfer, und die Salzburger Zeitungen bejubelten anlässlich der Ausstellung im Jahre 1950 seine Werke, wie z.B. Max Kaindl-Hönig in den Salzburger Nachrichten oder Matthias Partick im Amtsblatt. Kurzerhand entideologisierte man die Skulptur: Die Bevölkerung war zufrieden, entsprach doch die Formensprache dem trivialen Massengeschmack. So befindet sich der NS-Paracelsus als Beispiel der „wahren, ewigen Kunst als höchsten Ausdruck der deutschen Rassenseele“ weiterhin ohne Kommentar im Kurgarten. Er steht für die letztendlich enthumanisierte, rassistische „neue“ Gesundheitspolitik des Nationalsozialismus, die den „Volkskörper“ über die Heilbehandlung des Individuums stellte. Die Skulptur bietet die Möglichkeit, darüber aufzuklären, wie die NS-Diktatur ihre menschenverachtende Gesundheitspolitik legitimierte und ihre Protagonisten mit allen Mitteln der Propaganda heroisierte, um sie von vornherein über jeden Verdacht erhaben zu machen. Die Wirkung war nachhaltig - die Verantwortung der Ärzteschaft war über Jahrzehnte nach 1945 kein Ihema. Aufzuklären und die Menschen im Anblick dieser Skulptur „sehend zu machen“, wäre wohl im Sinne der historischen Wahrheit eine bessere Option, als sie zu entfernen und in ein Depot zu sperren. Gudrun Ponn-Lettner, Mag.rer.soc.oec., Mag. Phil, Dr. phil., 2002-2006 Diplomstudium der Kunstgeschichte in Salzburg, Mitarbeit beim Forschungsprojekt „Strategien der Macht. Hof und Residenz in Salzburg um 1600°, Publikationen u.a. zur Spätgotik, zum Augustiner Chorherrenstift Vorau. Aktueller Forschungsschwerpunkt: Antisemitismus in Kunst, Architektur und Mode. Anmerkungen 1 Der Beitrag basiert auf der ausführlichen ikonologischen Analyse des Denkmals durch die Autorin. Vgl. dazu Gudrun Ponn-Lettner: Josef Thoraks „Paracelsus“ im Salzburger Kurpark. Eine ikonologische Analyse. In: Chilufim. Zeitschrift für jüdische Kulturgeschichte. Hg. vom Zentrum für jüdische Kulturgeschichte an der Universität Salzburg. Wien 2016, Vol. 20, 89-127. 2 Zur Problematik der Bestimmung des Namens vgl. Udo Benzenhöfer: Paracelsus. Hamburg 1997, 20-25. 3 Die Marmorskulptur hat die Maße 270x 100x135 cm. Zur Entstehung der Skulptur vgl. Hermann Neumann: Der Bildhauer Josef Thorak (1889-1952). Untersuchungen zu Leben und Werk, Diss., 2. Bde. München 1992, hier: Bd. II, 649-650. 4 Ausführlich zu Leben und Werk Josef Thoraks vgl. Neumann, wie Anm. 3; Rolinek/Lehner/Strasser, Im Schatten der Mozartkugel. Wien 2009, 69-70. Eine Kurzbiographie mit den wichtigsten Lebensdaten findet sich im Ausstellungskatalog, Landesgalerie Linz: Politische Skulptur Barlach/Kasper/Thorak/Wotruba. Weitra 2009, S. 138. Eine Auswahl der neueren Literatur zu Josef Thorak ebenda, 146-147. 5 Das Schloss hatte der Witwe des Dichters Hugo von Hofmannsthal gehört. Zu den Vorgängen um den Erwerb durch Thorak vgl. Neumann, wie Anm. 3, Bd. 1,425. Zur Datierung vgl. Neumann, Bd. I, 427, Anm. 14. 6 Organisator war das Kulturamt der Stadt Salzburg in Zusammenarbeit mit der Salzburger Kulturvereinigung. 7 Vgl. dazu Anm. 26. 8 Vgl. dazu Robert Jütte in Verbindung mit Wolfgang Eckart, Hans Walter Schmuhl u. Winfried Süß: Medizin und Nationalsozialismus. Göttingen 2011, 30-33. 9 Karl E.Rothschuh: „Klinische Wochenschrift“, 1935, S. 1405, zit. nach Werner Friedrich Kümmel: Deutsche Medizinhistoriker 1933-1945, in: Andreas Frewer/Josef N. Neumann: Medizingeschichte und Medizinethik. Frankfurt/M. 2001, 179. 10 Fiir das Gebiet von Osterreich erforschte Waltraud Häupl den organisierten Massenmord an Kindern und Jugendlichen. Vgl. dazu Waltraud Häupl: Die ermordeten Kinder vom Spiegelgrund. Wien 2006; Der organisierte Massenmordan Kindern und Jugendlichen in der Ostmark. Wien 2008; Spuren zu den ermordeten Kindern und Jugendlichen in Hartheim und Niedernhart. Wien 2012. 11 Der Dozentenschaftsführer und habilitierte Internist Hermann Schlüter im „Heidelberger Student“, Jahreswende 1936/1937, zitiert nach Eckart, wie Anm. 12, 253. 12 vgl. dazu Wolfgang Uwe Eckart: Medizin in der NSDiktatur. Wien/Köln/Weimar 2012, S. 253. 13 Bis 1933 war die deutsche Rassenhygiene eingebunden in das internationale Netzwerk der Eugenik, vor allem in die International Federation of Eugenic Organizations (IFEO) und die International Union for the Scientific Investigation of Population Problems (TUSIPP). Bis 1933 galten den deutschen Rassenhygienikern die Vereinigten Staaten von Amerika wegen ihrer Vorreiterrolle bei der eugenischen Sterilisierung als gelobtes Land. Vgl. Jütte, wie Anm. 8, 29. 14 Für die breite Masse nutzte man das PropagandaMedium Film, um mit typischen Arzttopoi von der außerordentlichen moralischen Integrität des selbstlosen deutschen Volksarztes die Menschen ins Herz zu treffen. Im Hinblick aufdie Durchführung der biodiktatorischen Programme sollte der deutsche Arzt für die Bevölkerung über jeden Verdacht erhaben sein. Das ideal überhöhte Arztbild transportierte in Unterhaltungsfilmen oftmals kaum identifizierbare Elemente ideologischer Leitmotive wie Rassenhygiene oder Euthanasie. Im Gegensatz dazu wurde in speziellen Arztfilmen wie „Robert Koch“ (1939) oder „Paracelsus“ (1943) dick aufgetragen. Ärztliches Führertum, medizinisches Deutschtum und politischer Kampf standen im Vordergrund, vgl. Eckart, wie Anm. 12, NS-Medizin und Filmpropaganda, 215-232. 15 Karl Sudhoff (Hg.): 1. Abteilung: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften. Bd. 1-14. Miinchen/Berlin 1922-1933. Zur Bibliographie zu Paracelsus vgl. Benzenhöfer, wie Anm. 2, 142-153. www.paracelsus.uzh.ch. 16 Heinz Schott / Ilana Zinguer: Paracelsus und seine internationale Rezeption in der frühen Neuzeit. Leiden/ Boston/Köln 1998, Vorwort der Herausgeber. 17 Udo Benzenhöfer / Karin Finsterbusch: Antijudaismus in den medizinisch-naturwissenschaftlichen und philosophischen Schriften des Paracelsus, in: Heinz Schott / Ilana Zinguer: Paracelsus und seine internationale Rezeption in der frühen Neuzeit. Leiden/Boston/Köln 1998, 96-109. 18 Ebenda, 103-106. 19 Ebenda, 108.