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die Zeitung „Der Rote 13er“. Beim Verteilen des Blattes wurden Spenden gesammelt, um Familien von Häftlingen zu unterstützen, insbesondere aber die des Gruppenführers des Schutzbundes in Hietzing, Karl Münichreiter, der am 14. Februar 1934 standrechtlich zum Tode verurteilt und trotz seiner schweren Verletzungen im Landesgericht gehenkt worden war. Mutter saß in Schuschnigg-Zeiten einmal im Gefängnis, weil sie denunziert worden war. Nachdem Hitler die deutschen Hausmädchen aus Westeuropa zurückberufen hatte, weil er sie für die Rüstungsindustrie brauchte, gab es in England einen Mangel an Hausangestellten. Daher entwickelte sie ab 1936 ehrenamtlich ein Projekt, durch das jüdische Frauen als Hausgehilfinnen nach England vermittelt wurden. Bald nach dem „Anschluss“ im März 1938 machten die Nazibehörden eine Hausdurchsuchung. Sie konnten das politische Material nicht finden, da mein Bruder Rafael rasch einige Papiere im Plumpsklo versenkte. Aber die Nazis haben in einem Koffer und in der Schreibmaschine dennoch die Projektunterlagen gefunden und konfisziert. Sie haben bei der Hausdurchsuchung sogar die Tuchenten aufgeschnitten. Unsere Mutter musste einige Tage später zur Polizei. Sie nahm mich dorthin mit, da sie dachte, dann gehen die Beamten freundlicher mit uns um. Das war natürlich nicht der Fall. Bevor der Naziofhzier uns den Koffer zurückgab und uns gehen ließ, sagte er: „Je mehr Leute Sie hinausschaffen, um so besser ist das für uns.“ Beim Hinausgehen rief er in einem sehr rauen Ion nach: „Und am besten beschaffen sie sich selbst gleich einen Posten in England.“ Sie hat diesen „Rat“ wirklich umgesetzt. Nach dem Krieg versuchte ich, diesen Beamten zu finden, da ich dachte, dass er es eigentlich doch 56 ZWISCHENWELT gut gemeint hatte und keinen anderen Ton vor seinen Kollegen anschlagen konnte. Aber ich konnte ihn nicht mehr finden, weil er im Krieg als Wehrmachtssoldat gefallen war. Exil in England Im September 1938 flüchteten mein Bruder und ich nach Großbritannien. Also, als wir dreizehn Jahre waren, mussten wir Österreich verlassen; damit war unser Familienleben beendet. Mein Bruder Rafael und ich sind ganz alleine gereist. Kindertransporte gab es ja erst ab Ende 1938. In Deal bei Dover kamen wir in ein Heim, dessen Leiter Mr. Howard Schuldirektor einer Landschule war. Wir Zöglinge spürten die Klassenunterschiede sehr, weil diejenigen Schüler, deren Schulgeld durch das Committee aufgebracht wurde, zweitklassig behandelt wurden. Wir mussten Hausarbeiten leisten und waren dort ein ganzes Jahr in der Schule. Der Unterricht war für Buben und Mädchen getrennt, der ganze Lehrplan war für Buben viel anspruchsvoller. Ich war eine gute Schülerin, musste jedoch nebenbei viele Hausarbeiten erledigen und war mit dem Unterricht eigentlich nicht zufrieden. Wir hatten jedoch eine sehr nette Lehrerin, Miss Billings, die mich ins Herz geschlossen hatte, sie schenkte mir sogar einen Gedichtband. Ein Jahr später, als mein Bruder wie üblich wieder im Garten arbeitete, hatte er irgendetwas nicht richtig gemacht. Von Mr. Howard zur Rede gestellt, bekam er eine kräftige Ohrfeige, die er erwiderte. Das war natürlich ein Skandal, deshalb flogen wir beide aus dem Heim. Dies war für mich aber ein Glück, dort hätte ich ja keine gute Ausbildung erhalten. Wir kamen nach London in ein Buben- bzw. Mädchenheim. Durch die Leiterin des Mädchenheims, die deutsche Ärztin Dr. Gellner, bekam ich ein Stipendium für Bristol. Sie hatte einen geistig behinderten Sohn, dem ich Lesen und Schreiben beibrachte. Diese Aufgabe übernahm in der Folge meine Lateinlehrerin Stella Klein-Löw* aus Wien. 1943 machte ich meinen Schulabschluss mit sehr gutem Notendurchschnitt in Bristol. Die Universität von London hat das Zeugnis als Cambridge School Certificate (entspricht einer Matura) anerkannt. Das Zeugnis war für mein späteres Studium der Pädagogik in Wien wichtig. Dann fuhr ich nach London, wo ich auf Stellensuche war. Beim Aufnahmegespräch bei Anna Freud, Tochter Sigmund Freuds, war ich sehr aufgeregt, doch sie nahm mir in kürzester Zeit die Aufregung. Ich konnte als Trainee in der „Hampstead War Nursery“ arbeiten. Dort betreuten wir viele Jahre Kinder, die vom Krieg traumatisiert waren. 1944-46 arbeitete ich in der Austrian Day Nursery des Austrian Centre in der Fitzjohns Avenue, die es schon bald nach Kriegsbeginn gab. Ich lernte in meiner Freizeit das Austrian Centre und Young Austria kennen. Bei Young Austria in London kannte ich Fritz Walter, Fritz (Hans) Propst, Hans Klamper; Herbert Steiner sowie seiner Frau Rella war ich gut befreundet. Ich besuchte leider selten das Iheater, schätzte aber Otto Tausigs Auftritte. Young Austria-Funktionäre forderten uns Mädchen auf, den Soldaten gegen Hitler Mut zuzusprechen, deshalb hatte ich Briefkontakt mit Max Rottenberg, der in Nordafrika gegen die Deutsche Wehrmacht kämpfte. Seine spätere Frau Judith Prager war auch in Young Austria aktiv.