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Tat um, eines der unmenschlichsten überhaupt. Paul Blobel wurde 1951 in Landsberg am Lech erhängt. Jüdische Bürger wurden aufgefordert, sich zur Umsiedlung am Rande der Stadt, in der Altweiberschlucht, einzufinden. „Wer den Anweisungen nicht folgt wird erschossen!“ Pässe, Wertgegenstände und Geld seien mitzubringen. Der größte Teil der damals in der Stadt lebenden Juden floh aus der Stadt und konnte dem Massaker entgehen. Andere, jüdische Frauen und Männer, Greise und Kinder, folgten der Aufforderung. Ihre Habseligkeiten wurden ihnen genommen, sie wurden geschlagen und erniedrigt, mussten sich entkleiden. Mütter umklammerten ihre Kinder, schrien. Am 29. und 30. September 1941 wurden 33.771 Menschen auf kaum vorstellbare Art und Weise von SS, Wehrmacht und Sicherheitspolizei liquidiert — Genickschuss! Generalmajor Eberhard hatte seine Pflicht erfüllt! 1961 wurde der junge Dichter Jewgeni Jewtuschenko aus dem Süden Sibiriens von einem Tag auf den anderen mit seinen beiden Gedichten über das Massaker von Babi Jar berühmt. Heute ist er ein weltweit bekannter russischer Schriftsteller. In der Literaturnaja Gaseta, einer sowjetischen Kulturzeitschrift, erschienen 1961 die Gedichte, Dimitri Schostakowitsch vertonte sie. Fünf Sätze gehören zu der Sinfonie Nr.13 in b-moll, op 113, doch nur der erste Satz erzählt von Babi Jar. Nikita Chruschtschov, damals Ministerpräsident der UDSSR, ließ die Vertonungen verbieten. Schostakowitsch war der größte Komponist der Sowjetunion im 20. Jahrhundert, er starb 1975 in Moskau. „Über Babij Jar, da steht keinerlei Denkmal. Ein schroffer Hang — der eine unbehauene Grabstein.“ (Übersetzt von Paul Celan). 75 Jahre sind vergangen seit den Gräueltaten, nach 75 Jahren gedenken wir des Geschehenen. Präsident Petro Poroschenko hat die Welt eingeladen zum Erinnern und Gedenken. Exzellenzen, Eminenzen, das diplomatische Korps, eine Delegation des Jüdischen Weltkongresses aus New York, wichtige andere jüdische Vertreter Erika Bezditkova Mein langes Schweigen aus der gesamten Welt und der Ukraine sind anwesend, die Medien sowieso. In Babi Jar ist es dunkel geworden, die Herbstkühle zieht durch den Park, auf einer Freilichtbühne werden performanceähnliche Musikvideos gezeigt. Ruhige musikalische Klänge des Komponisten Svyatoslav Lunyov ziehen vorbei, fünf musikalisch hochbegabte Kiewer Kinder, Anastasia Bahinska, 11 Jahre, Oleksandr Podolyan, 12 Jahre, Varvara Vasylyeva, 12 Jahre, Oleksandra Khmara, 11, Vadim Perig, 11, singen literarische Texte, spielen auf Instrumenten. Präsident Poroschenko hält seine ukrainische Rede, andere Europäer, der EU-Ratspräsident Donald Tusk, Janos Äder, Staatspräsident von Ungarn, der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck und Peggy Pritzker aus den USA treten ans Pult. Freiheit, Demokratie, nie mehr Antisemitismus, nie mehr Fremdenhass, kein Nationalismus, kein Rassismus — nie wieder, nie wieder... Im Vokabular ist man sich einig. Gauck erinnert in seiner Rede an das Buch von Katja Petrowskaja „Vielleicht Esther“, eine gute Idee, eine gute Rede. Katja Petrowskajas Großmutter wurde 1941 in er Schlucht von Babi Jar erschossen, die Enkelin lebt in Berlin, erhielt vor drei Jahren den Ingeborg Bachmann-Preis, hat in Kiew recherchiert und ein fiktives Buch geschrieben. Luigi Toscanas fotografische Portraitsammlung von fünfzig Holocaustüberlebenden in Großformat durchziehen den Park von Babi Jar. Zuvor war diese Sammlung in Mannheim, der Heimatstadt des Fotografen und Filmemachers Toscana, zu sehen. In den zwei Jahren der Besetzung Kiews wurden nicht nur Juden, auch Andersdenkende, Anderslebende, Kommunisten, „Zigeuner“ und russische Kriegsgefangene ermordet, über 200.000 Menschen. An der übergroßen Menora, dem siebenarmigen Leuchter, dem wichtigsten religiösen Symbol des Judentums, werden in der Dunkelheit von den Politikern Kerzen abgestellt. 1992 erst entstand am Platz der Erschießungen die eiserne Menora des Künstlers Yuri Paskevich. Anden einen Tag zuvor verstorbenen ehemaligen Präsidenten Israels Schimon Peres wurde in einer Gedenkminute erinnert. 60 _ ZWISCHENWELT Am Morgen des Gedenktages wurde im Nationalmuseum am Taras Shevchenko Boulevard eine Erklärung unterzeichnet. Ein Erinnerungszentrum, eine Gedenkstätte, Dokumentationsund Lehrzentrum (Baby Yar Holocaust Memorial Center) soll in Kiew, in Babi Jar, gebaut und bereits im Jahr 2021 zum 80. Jahrestag eingeweiht werden. Alle Welt hat solche Zentren. Berlin, New York und Jerusalem wurden in den Reden der Mitglieder der Initiative besonders hervorgehoben. Rabbi Yaakov Dov Bleich, Oberrabbiner der Ukraine, Joschka Fischer, Deutschland, Mihail Fridman, Pavel Fuks, German Khan, Volodymyr Klitschko, Alexander Kwasniewki, Polen, Joe Lieberman, USA, Victor Pinchuk, Ukraine, Natan Sharansky, Svyatoslav Vakarchuk sind die Mitstreiter dieser wichtigen Initiative. Neben Petro Poroschenko, dem Präsidenten, war auch Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, zugegen. „Ich halte es für meine Mission als Bürgermeister der Hauptstadt, das Projekt der Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer von Babi Jar zu realisieren“, hatte er den Nachkommen der Opfer im Dezember 2015 versprochen. Bjorn Geldhof, der belgische Kurator und künstlerische Direktor des privaten PinchukArtCentre für Moderne Kunst begann 2015 über eine Ausstellung nachzudenken. Das 'Ihema „Babi Jar“ wurde aktuell. Drei internationale Künstler suchte er aus: Christian Boltanski aus Paris, Berlinde de Bruyckere aus Gent und Jenny Holzer aus New York. Bis Januar 2017 sind ihre künstlerischen Ideen zum Ihema Babi Jar ausgestellt. Geldhof führte mit großer Begeisterung und Engagement durch die Ausstellung „LOSS — In memory of Babi Yar“, „VERLUST — In Erinnerung an Babi Jar“. Die Sonne senkt sich im Westen hinter den Bäumen, der Abendnebel zieht über die Altweiberschlucht, mich fröstelt. Ich verlasse den Ort des Grauens, gehe über die vul Mel’nykova zur U-Bahn-Haltestelle Dorohozhychi, fahre mit der Rolltreppe einige hundert Meter unter die Erde und komme am Platz Eva Tolstoho aus der Metro herauf. In Kiew ist es Nacht geworden.