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Lea Grundig (1906 — 1977), die in der DDR hochgeehrte Malerin und Grafikerin, wuchs als Tochter des orthodoxen jüdischen Kaufmanns Langer in Dresden auf. 1928 heiratete sie den Maler Hans Grundig, den späteren Rektor der Kunstakademie von Dresden. 1936 wurde sie als Kommunistin verhaftet, 1939 flüchtete sie mit einem von Berthold Storfer organisierten Transport aus Bratislava nach Palästina. Nach einer abenteuerlichen Überfahrt wurde sie ein Jahr lang von der britischen Mandatsmacht in Atlit interniert. In Haifa, wo ihre Schwester lebte, schuf sie in den folgenden Jahren ein umfangreiches Werk. Sie illustrierte rund 20 Kinderbücher mit etwa 350 Zeichnungen, auch von so beliebten Autoren wie Lea Goldberg und Levin Kipnis. Zu ihrem Bekanntenkreis gehörten Louis Fürnberg, Arnold Zweig, Hermann Struck und Josef Kastein. 1949 kehrte sie über Prag nach Dresden zurück, wo sie als erste Frau einen Lehrstuhl an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden erhielt. 1958, im Todesjahr ihres Mannes, veröffentlichte sie ihre Autobiographie. Während die aus Deutschland vertriebene Schauspielerin, Vortragskünstlerin, Theaterpädagogin und Regisseurin Minnie Maria Korten in ihrem Zufluchtsland Neuseeland als prägende Gestalt der nationalen Theatergeschichte gilt, ist sie in ihrem deutschsprachigen Wirkungsbereich heute nahezu vergessen. Mit ihrer literarischen Biografie versucht Monica Tempian sich der Persönlichkeit dieser Vergessenen anzunähern. Geboren 1904 in Berlin, schlägt Minnie Kronfeld nach ihrem Schulabschluss die Bühnenlaufbahn ein, die sie u.a. 1926 ans Wiener Burgtheater führt. Unter dem Bühnennamen Minnie Maria Korten feiert sie Erfolge an der Seite von Stars wie Raoul Aslan, Hedwig Bleibtreu oder Else Wohlgemuth. In Wien fällt — wohl nicht zufällig — auch eine wichtige persönliche Entscheidung der aus einem jüdischen Elternhaus stammenden Schauspielerin, in dem Religion eine untergeordnete Rolle spielte: ihre Hinwendung zum Katholizismus, der auch in ihre spätere Theaterpraxis hineinwirkte und vor allem in ihren Versuchen als Lyrikerin zum Ausdruck kommt. Ihre jüdische Herkunft hat sie dennoch nie verleugnet. 1928 nach Deutschland zurückgekehrt, kommt es bald darauf zur prägenden Begegnung mit Max Reinhardt, dessen 'Iheaterkonzeption sie zeitlebens verbunden bleiben sollte. Die vielversprechende Karriere der jungen Schauspielerin wird durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten beendet. Minnie Maria Korten flieht im Dezember 1938 zunächst nach England. Von dort gelangt sie mit ihrem Mann Adolf Dronke und den beiden Kindern mit Hilfe katholischer Geistlicher im August 1939 nach Neuseeland. Vorerst mit dem Stigma des „enemy alien“ behaftet, ringt die Schauspielerin um die Wiederaufnahme des „entglittenen Fadens“, zugleich um eine künstlerische Neuorientierung, gibt es doch in dem entlegenen britischen Dominion mit seinem kaum entwickelten Kulturleben kein professionelles Theater, das einen Wiedereinstieg in den Beruf ermöglichen könnte. Noch im Jahr der Ankunft eröffnet sie eine Schauspielschule und wird als „Madame Dronke“ zur Pionierin 62 _ ZWISCHENWELT der Ausbildung einer ersten Generation neuseeländischer Berufsschauspieler. Diese erfolgt nach den theaterpädagogischen Grundsätzen Max Reinhardts. Den Sprachwechsel meisternd, ist sie als Schauspielerin im Rahmen verschiedener Amateurtheatergruppen tätig und wendet sich bald der Regie zu. Neben den Klassikern inszeniert sie, u.a. an der Bühne ihres Studios, Autoren wie Ibsen, Hofmannsthal, Beckett, Anouilh oder T.S. Eliot. Spektakulär sind ihre Masseninszenierungen, so das biblische Mysterienspiel No room (gem. m. ihrem Schüler Richard Campion, Auckland 1944), das mit unübersehbarem Gegenwartsbezug den Weg des jüdischen Volkes ins Exil thematisiert. Ein Schritt zur Professionalisierung des Theaters in Neuseeland ist die Griindung der Association of Teachers of Speech and Drama 1952, unter der federführenden Mitwirkung Maria Dronkes. Erst in den sechziger Jahren ist der Boden bereitet für die Entstehung des ersten Berufstheaters der Doppelinsel, des Downstage in Wellington, an dem auch Persönlichkeiten des Kreises um Dronke beteiligt sind. Schon 1940 begann Maria Dronke mit der Veranstaltung von Rezitationsabenden und etablierte damit eine bislang in Neuseeland unbekannte Kunstform. Mit ihren Lesungen trägt sie nicht nur zur Verbreitung deutschsprachiger Literatur, sondern auch der neuseeländischen Avantgarde bei. Darüber hinaus hält sie auch literatur- und theatertheoretische Vorträge. So erweist sich die geflüchtete Schauspielerin als Protagonistin eines Kulturtransfers, in dem die Ideen der europäischen 'Iheater- und Literaturmoderne für die spezifischen Bedingungen der neuseeländischen Kunstszene fruchtbar gemacht werden. Nach ihrem Rückzug von der Bühne 1957 findet Dronke im Schreiben, das nicht zuletzt der Bewältigung der traumatischen Lebensereignisse dient, ihr künstlerisches Betätigungsfeld. Die autobiografischen Fragmente und Gedichte wurden allerdings — mit wenigen Ausnahmen - nie publiziert. Die Biografie der Maria Dronke verweist auf die Mühsal des Neubeginns im Exil, auf Maria Heiner, die Autorin dieses mit 44 Grafiken illustrierten Bandes, war mit Lea Grundig befreundet und betreute sie auch als Ärztin. Sie kuratierte Ausstellungen des Ehepaars Grundig und arbeitet an einem Werkverzeichnis der Künstlerin. EA. Maria Heiner: Lea Grundig. Kunst für die Menschen. Mit einem Vorwort von Esther Zimmering. Berlin: Hentrich & Hentrich 2016. 128 S. € 13,30 (Jüdische Miniaturen. Ba. 184). prototypische Erfahrungen wie das Ringen um Akzeptanz und Zugehörigkeit im Zufluchtsland, das stets neue Ausloten und Verhandeln der eigenen Identität zwischen den Kulturen. In einer Rede im neuseeländischen Parlament Ende August 1945 warb Dronke angesichts des antisemitischen und fremdenfeindlichen Rollbacks in der nationalen Presse für die Inklusion der Flüchtlinge: „We want so much to belong somewhere again. Let us belong.“ So unverzichtbar diese Zugehörigkeit für die Humanistin und Weltbürgerin auch sein mochte, so wenig war ihr Selbstverständnis durch nationale Kategorien definiert: „Eine geographisch verortete Herkunft kann für die Exilschauspielerin nicht mehr wichtig sein; denn Identität konstituiert sich für sie immer wieder neu in verantwortlichem Handeln, wird nicht als einmal zu Erringendes geschen, sondern als stete Performanz, als Prozess des In-der-Welt-Seins, des Handelns.“ Der Biografin gelingt es mit großem Einfühlungsvermögen, aber nicht psychologisierend, die Person Maria Korten/Dronke vorzustellen. Wiewohl aufumfangreichem Quellenmaterial, u.a. dem Nachlass der Schauspielerin, basierend, kommt der Text ohne beschwerlichen Anmerkungsapparat aus. Im Anschluss steuern Menschen, die Maria Dronke begegnet sind, ihre persönlichen Eindrücke bei. Ein Anhang enthält Dronkes Gedichte aus den dreißiger Jahren wie auch aus der letzten Lebensperiode (sie starb 1987), eine Aufstellung der wichtigsten deutschsprachigen und neuseeländischen Bühnenauftritte, der Regiearbeiten und Übersetzungen, einen Dokumententeil zu jedem Kapitel und ein ausführliches Literaturverzeichnis. Das Buch ist zugleich ein Beitrag zum wenig bekannten deutschsprachigen Exil in Neuseeland. Christine Kanzler Monica Tempian: Minnie Maria Korten. Ein Schauspielerleben rund um die Welt. Würzburg: Königshausen & Neumann. 2015. 222 S. €29,80/30,70 (A)