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Die Kuratorin Andrea Winklbauer und die Kunsthistorikerin Sabine Fellner haben aus einer Liste von rund 200 Namen 44 jüdische Künstlerinnen ausgewählt, die sie in einer umfangreichen Ausstellung im jüdischen Museum und einem Begleitbuch vorstellen. Über die allgemeine Mädchenbildung in der österreichisch-ungarischen Akademie enthält der Band einen Beitrag des Historikers Dieter J. Hecht. Mädchen stand die 1867 gegründete Kunstgewerbeschule offen, wo der Reformkunstpädagoge Franz Cizek einer der wichtigsten Lehrer war. Die Akademie für bildende Künste konnten sie jedoch erst 1920 besuchen. 1897 wurde die Kunstschule für Frauen und Mädchen, die spätere Wiener Frauen-Akademie, gegründet. Weiters gab es um 1900 rund 35 private Kunstschulen. Marie-Louise Motesiczky, mit Werken in der Ausstellung präsent, besuchte eine der Kunstschulen, die vom k.k. Hofmaler und orthodoxen Juden David Kohn gegründet worden war. Motesiczky schuf im englischen Exil ein umfangreiches malerisches Werk. Ein eindrucksvolles Dokument ihrer Beziehung zu Elias Canetti ist der 2011 veröffentlichte Briefwechsel „Liebhaber ohne Adresse“. Tina Blau-Lang (1845 — 1916), die Tochter eines Arztes, war die erste Künstlerin im 19. Jahrhundert, „die die Kunst mit demselben professionellen Anspruch betrieb, den auch ihre männlichen Kollegen an diesen Beruf stellten“. In einer Sonderausstellung im Belvedere ab 16.Dezember werden ihre Werke wieder zu sehen sein. Das Werk von Broncia Koller-Pinell, „eine der bedeutendsten österreichischen Malerinnen des frühen 20.Jahrhunderts“, der Wolfgang Krug im Begleitbuch ein Kapitel widmet, zeigte das Jüdische Museum bereits 1993 in einer eigenen Ausstellung. Die wichtigste Bildhauerin dieser Zeit war Teresa Feodorowna Ries, die bis 1938 ein Atelier in einem Nebengebäude des Palais Liechtenstein hatte. Ihre Skulptur einer Hexe steht am Beginn der Ausstellung. Ein besonders beeindruckender Teil der Ausstellung sind die Werke der Keramikkünsderinnen Vally Wieselthier, Susi Singer und Kitty Rix. Von Grete Wolf-Krakauer, einer Schülerin der Kunstschule von Johannes Itten, werden nicht nur zwei Bilder, die erst 2015 vom Jüdischen Museum mit Hilfe des Freundesvereins angekauft wurden, sondern auch ein kleines Porträt, das Egon Schiele von ihr anfertigte, gezeigt. Wolf-Krakauer ging 1925 nach Jerusalem, wo ihr Mann, der Architekt und Maler Leopold Krakauer, lebte. Ihm widmete das Israel Museum 1996 eine große Ausstellung. Käthe Braun Prager, von der der Zyklus „Kleine Autobiographie in drei Bildern“ zu schen ist, der 2015 ebenfalls angekauft wurde, war bisher eher als Lyrikerin und Essayistin bekannt. Von Edith Kramer zeigt die Ausstellung unter anderem ein Porträt von Berthold Viertel. Andrea Winklbauer rekonstruiert anhand von Fotografien das malerische Werk von Bettina Ehrlich-Bauer, das im Gegensatz zum Werk ihres Mannes, des Bildhauers Georg Ehrlich, seit 1938 verschollen ist. Die Beiträge des Buches enthalten viele weitere Namen, zum Beispiel die Gebrauchsgrafikerin Nelly Marmorek, die Frau des Architekten und Zionisten Oskar Marmorek, die 1944 ermordet wurde, die in dem Aufsatz von Christian Maryska erwähnt wird. Für die meisten Künstlerinnen war, wie die Herausgeberinnen schreiben, „ihr Judentum kein Thema, manche hatten den Kontakt zu diesen Wurzeln sogar schon verloren“. 1938 folgte ihre Vertreibung und Verfolgung; viele kehrten nie mehr nach Österreich zurück. Ihr Werk wurde zerstört. Friedl Dicker-Brandeis, eine Schülerin von Johannes Itten, gab in Theresienstadt Zeichenunterricht für Kinder; sie wurde 1944 in Auschwitz vergast. Ella Iranyi und Sofie Korner wurden in Izbica, Marianne Saxl-Deutsch in Maly Trostinec ermordet. Auch Helene Taussig wurde deportiert. Ilse Twardowski-Conrat, die Schwester von Erica Tietze-Conrat, entzog sich 1942 der Deportation durch Selbstmord. Das Schicksal von Gertrud Fischel, Franziska Kantor, Gertrud Nagel und Kitty Rix konnten die Autorinnen nicht eruieren. Die ausführlichen Biographien der 44 Künstlerinnen am Ende des Bandes verstehen die Autorinnen bewusst als einen Zwischenstand der Forschung. Sie hoffen auf viele neue Informationen und Anregungen von den Lesern und Besuchern der Ausstellung, die bis zum 1.Mai 2017 zu sehen ist. EA. Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938. ‘The Better Half — Jewish Women Artists Before 1938. Hg. von Andrea Winklbauer und Sabine Fellner. Wien: Metro 2016. 235 S. €29,90 „Gedichte sind selten. Aber Geschichten sammeln sich um diejenigen, die weiße Gefäße schufen oder sie bestellten oder gebrauchten, seien sie nun bettelarm oder der Sohn des Himmels.“ Edmund de Waal begibt sich in seinem Buch „Die weiße Straße. Auf den Spuren meiner Leidenschaft“ auf die Suche nach diesen Geschichten, reist zu den Orten, an denen sie sich zugetragen, heftet sich an die Spuren des Porzellans, ergründet die Geheimnisse seiner Herstellung, der Faszination, die es umgab und umgibt. „Es geht nicht um guten Geschmack, weiße Gefäße zu machen hatte nie mit gutem Geschmack zu tun; Porzellan herzustellen ist eine Art, neu zu beginnen, seinen Weg zu suchen, eine Route und einen Umweg zu sich selbst.“ Die subjektive Haltung des Erzählers, seine Faszination für das Weiß, verknüpft sich mit der Geschichte seiner Protagonisten, die die Geschichte des Porzellans verkörpern: Ein Jesuit in Jingdezhen, ein Mathematiker und ein Alchimist in Dresden, ein Quäker in Plymouth. In Dachau findet er Hans Landauer, als Zwangsarbeiter in der Allacher Porzellanfabrik. Die Geschichte des Porzellans führt von China nach Europa, von wahnwitzigen Königen, die unvorstellbare Summen für ebenso unvorstellbare Mengen an Porzellan ausgeben, nach England, in den amerikanischen Süden und zurück, geht weiter bis zu Bauhaus und Malewitsch; sie reicht bis in die Brennöfen der Nazis und weiter ins China der Kulturrevolution. „Weiß gibt Aufrichtigkeit vor, deckt so viel zu, deckt zu viel zu.“ Die Leidenschaft für das Weiße ist gefährlich, denke ich mir. Suprematie des Weißen — hat Edmund de Waal denn nicht gesehen, wie penibel sich viele Chinesinnen vor der Sonne schützen, damit ihr Teint ja nicht dunkler werde? Das ist es, denke ich, dem ich nachzuspüren versucht habe, dieser flüchtige Blick auf das Weiß, wie es auftaucht und wieder in den Wellen versinkt, der Wind, wie er weisen Staub erfasst und aufwirbelt, der sich hinlegt und neuerlich hinlegt. Er geht, reist seinen Protagonisten nach, forscht in Archiven, rekonstruiert ihr Leben, denkt sich in sie hinein, folgt ihnen und ihren Entscheidungen und Handlungen, ihren Rückschlägen, Leiden und Erfolgen. Die Erzählzeit ist das Präsens. Alles ist gegenwärtig, die Geschichten bündeln sich in der Suche des Erzählers, in der (retrospektiven) Suche nach seinem eigenen Weg, im Umweg zu sich selbst. „Ich bin verstrickt in mein Wettersystem, die Turbulenzen von Optik und Spiegeln und Philosophen.“ Seiner Zuneigung zu den Dingen, zu den Bruchstücken und Scherben, entspricht der Detailreichtum seiner Erzählweise. Die Dinge Dezember 2016 63