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Editorial Patriotismus, Nationalismus, Chauvinismus, Rassismus - es schwirrt einem der Kopf vor all den Ungeheuern, die die friedliche Entwicklung und die europäische Einheit bedrohen. Dem Nationalismus wird nachgesagt, er habe geradewegs zum Nationalsozialismus geführt. Adolf Hitler seinerseits soll geprahlt haben, er setze an die Stelle des liberalen Begriffs der Nation die Rasse, also die mystische Verbundenheit des Blutes. Zur militärischen Mobilisierung der Volksmasse benötigte man dennoch die Nation; daran hat sich auch für heutige Machthaber wenig geändert. Erst als sich die Niederlage abzeichnete, wurde mehr und mehr zur Verteidigung des Abendlandes aufgerufen, sei es, um das Mordregime bei den Westmächten als Garanten abendländischer Zivilisiertheit für künftigen Gebrauch zu empfehlen, sei es, um angesichts schwindender Ressourcen frisches Kanonenfutter anzuwerben. Was man heute sozusagen an jeder Ecke hurtig als Rassismus schmäht, hat mit dem Nazi-Rassismus offenbar wenig zu tun, und ich zweifle, ob es einen politischen oder pädagogischen Sinn hat, jedes Vorurteil, jeden Vorbehalt gegen den Islam, gegen Zuwanderer und Flüchtlinge gleich als rassistisch motiviert hinzustellen. Der Rassismus-Vorwurf wiegt moralisch schr schwer, er unterstellt eine grobe Mißachtung der menschlichen Würde und baute eine unsichtbare Barriere zwischen denen, die den Vorwurf erheben, und denen, die ihn verständlicherweise meist zurückweisen, auf. Aber sprechen wir von einem alten Bekannten, der uns schon so vertraut geworden ist, daß wir ihn kaum mehr wahrnehmen: dem Jargon der Herausforderung. Vor nunmehr wieder fast 15 Jahren notierte ich in meinem „Logbuch“: Seit mehr als 15 Jahren sind alle offiziellen Redeübungen in Europa von einem Jargon der Herausforderung durchdrungen. Wer immer etwas auf sich hält, eine Karriere anstrebt oder bloß seine errungene Position verteidigt, stellt sich der Herausforderung oder begrüft die neuen Herausforderungen, die Abwechslung in der Routine monotonen Gelderwerbs versprechen. Wer sich hingegen der Herausforderung nicht stellt, ist verurteilt abzusinken - zur Bedeutungslosigkeit, Randerscheinung, Nischen-, schließlich Nichtexistenz. Denn HerausJforderung ist Existenz, sie entspringt nicht der Geschichte, Bildung, Erziehung, den vorhandenen Fähigkeiten, eingefleischten Lüsten und langgehegten Wünschen der Individuen. Sie tritt von aufen an das Innerste heran und verheifst einen neuen Adam. Eine Elite bilden fortan die, die der Herausforderung sich zu stellen vermochten. Und auch den Gemeinwesen ist, bei Strafe des Untergangs, auferlegt, die Herausforderungen anzunehmen. Sie werden als Organismen angesehen, deren Überlebensfähigkeit in einer sich verändernden Umwelt auf dem Prüfstand steht. In unaufhebbarer Konkurrenz mit anderen sozialen Organismen müssen sie sich als Wirtschafisstandorte mit geordneten und günstigen Rahmenbedingungen erhalten, finden sie sich mit dem Geltungsanspruch anderer, fremder Völker konfrontiert. Hinter dem Jargon der Herausforderung lugt der alte Sozialdarwinismus in neutralisierter und abstrahierter Form hervor; es scheint, er gibt heute allen die gleiche Chance, sich einen Platz an der Sonne zu erkämpfen, nicht nur den sogenannten zivilisierten Nationen. Dieser Schein der Chancengleichheit wird vermutlich darum gewahrt, weiler das ganze Ausmaß wohlkalkulierter Benachteiligung, destruktiver Intervention, illegaler Einflufnahme bis hin 4 ZWISCHENWELT zum Schüren langwierigen Bürgerkriegs zum Anekdotenschatz der Globalisierungsgegner verharmlost und den Verelendeten selbst die moralische Schuld an ihrem Elend auflädt. Ein wesentlicher Aspekt an der Sache ist die Externalisierung sozialer und kultureller Prozesse. Das, was sehr wohl seine inneren Ursachen hat, die zu durchdenken und erwägen wären, steht uns hier als Anforderung von außen in genormter Fragestellung gegenüber. Das sich gegen solche Heteronomie aufbäumende Bedürfnis der Autonomie erscheint nun vielfach als dumpfes Ressentiment; im ungleichen Wechselspiel von Heteronomie und Autonomie, die zur Selbstmotivierung heruntergekommen ist, verbirgt sich die in der Externalisierung vollzogene Entfremdung, von der jene, die eine Politik des Ressentiments betreiben, nichts wissen wollen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Nivellierung sozialer Prozesse, sie werden zu Feldern der Dürftigkeit, aus denen man sich schleunig in die Idiotie des Privatlebens zuriickzieht, das Falsche des öffentlichen Lebens beteuernd. Der soziale Prozess scheint ohne innere Spannung; ausgeliefert ist er einem mehr oder weniger gelungenen sozialtechnologischen Management. Die Kluft zwischen Zugehörigen und Nicht-Zugehörigen wächst. Nun gut, wenn man das alzuschr zuspitzt und verallgemeinert, landet man flugs bei David Riesmans „Einsamer Masse“ und Theodor W. Adornos „verwalteter Welt“. Für mich ist es jedenfalls evident, daß eine Gesellschaft, die ihre Konflikte nach außen verlagert, nicht gerade besonders integrativ sein kann. Sie neigt tendentiell zur Abschließung. Wobei Integration nicht nur eine den Zuwanderern und Flüchtlingen auferlegte Pflichtübung ist, sondern eine tagtägliche Notwendigkeit für alle Angehörigen eines Gemeinwesen, das ja nicht ewig aus denselben Personen besteht. Mit der Geburt als Österreicherin oder Österreicher hat man seinen Weg noch nicht gefunden. Warum in diversen, für Zugewanderte gedachten Integrationsfibeln Grundprinzipien der österreichischen Verfassung wie jenes der Gewaltentrennung als „Werte“ ausgegeben werden, die „wir bei uns“ hochhalten, ist schwer begreiflich. Grundrechte wie das der freien Meinungsäußerung, der Gleichheit vor dem Gesetz ungeachtet von Geschlecht und Religion, der Vereins- und Versammlungsfreiheit sind nun einmal Rechte, die jedem Menschen zustehen, ob er sie nun wertschätzt oder nicht. Auch die teilweise gegebene judizielle Durchsetzbarkeit von Klagen gegen geschlechtliche Diskriminierung ist kein Wert, sondern positives Recht. Zugewanderte treten nicht in eine Wertegemeinschaft, sondern in Rechtsverhältnisse ein. Das Gerede von Werten anstelle von Rechten und Pflichten, bei dem sich auch einschmuggeln läßt, was nicht rechtens ist, und soziale Rechte kaum erwähnt werden, verbreitet einen leisen, doch keineswegs milden Hauch von Abendland. Vielleicht sind diese unprofessionellen Reflexionen, wenn sie auch sonst nichts nützen, wenigstens dazu angetan, das Interesse von ZW am „Gewissen der Welt“, an Menschenrechten und MenschrechtlerInnen in vorliegendem Heft verständlich zu machen. Konstantin Kaiser