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Penclub angehörte, das muss ich als eine Gipfelleistung des Unbegreiflichen betrachten. “'® In seiner Antwort an Kreutz vom 26. April 1947 sprach Neumann von „offenbar irrigen Informationen“, die er über Kreutz erhalten habe. Er, Neumann, habe Fontana zusätzliche Anmeldeformulare übersandt - und es werde ihn „sehr freuen“, Kreutz „in Zürich zu sehen — umsomehz, als ich Ihrer immer mit persönlicher Wertschätzung gedacht habe (...).“'® Drei Tage vorher, am 13. April 1947, hatte Neumann in seiner englischsprachigen Antwort an Fontana erklärt, dass er seit seinem Treffen mit Ferdinand Kégl die „Situation“, auch was Kreutz betreffe, klarer sehe; es werde ihn freuen, Kreutz in Zürich zu sehen, jedoch müsse sich Kreutz selber um das Schweizer Visum und um die Finanzierung der Reise kiimmern.'”? Und Kögl wiederum berichtete Kreutz am 22. April 1947, Neumann habe ihm in London gesagt, dass — wie er gehört habe — Kreutz „sich dem Nazisystem in irgendeiner Weise gefügt“ habe. Er, Kögl, habe aber den „Leidensweg“ von Kreutz und sein „charaktervolles und mannhaftes Verhalten“ gekannt und sei daher „offenkundigen Unwahrheiten“ entgegengetreten, worauf Neumann gesagt habe, „er sei offenbar nicht richtig informiert worden“.'’”! Die von Neumann so genannte „irrige Information“ war der Vorwurf, Kreutz habe versucht, sich eine „arisierte“ Literaturagentur anzueignen.'”? Damit, dass Neumann diesen Vorwurf als „offenbar irrige Information“ bezeichnete, war aber für Kreutz die Sache „keineswegs erledigt“: Denn „böswilliger Tratsch“, schrieb Kreutz am 1. Juni 1947 an Neumann, habe ja „die Eigenschaft, durch Herumgerede noch böswilliger zu werden, wenn ihm nicht energisch entgegengetreten wird“.'”? Kreutz schrieb weiter: „Ich habe nach Einsichtnahme in Ihren Brief an Robert Michel den konkreten Tatbestand der Anwürfe gegen mich erfahren und kann Ihnen weder meine Verwunderung noch mein Befremden vorenthalten, dass Sie dieses idiotische Geschwätz eines halbwüchsigen Burschen für wert erachten, eine Misstrauenskampagne gegen mich zu eröffnen.“ Dieser ihm „persönlich unbekannte Jüngling“ habe „herumerzählt“, Kreutz und Robert Michel hätten durch eine „arisch getarnte“ Literaturagentur eine „literarische Machtergreifung“ versucht; eine nähere Charakterisierung dieses Vorwurfs erübrige sich „für Vollsinnige“, so Kreutz.!’* In seinem Brief vom 26. April 1947 hatte Neumann das Schreiben der Reichsschrifttumskammer, in dem Kreutz jede schriftstellerische Tätigkeit verboten worden war, als „hoch interessant“ bezeichnet, zugleich aber die schon erwähnte Frage nachgeschoben: „Aber warum haben Sie überhaupt um Aufnahme angesucht (...)?“ Im gleichen Brief, in dem Kreutz sich zu Recht über Neumanns „Misstrauenskampagne“ aufgrund „böswilligen Tratsches“ beschwerte, sagte er, das vom Staat anerkannte Opfer des Nazismus, noch folgendes: Die Emigration, „im Gastland geistig frei und und körperlich weit weniger gefährdet als wir“, sei „oft geneigt“, „die ungemeinen Schwierigkeiten unseres Daseins im Zuchthaus Adolf Hitlers zu unterschatzen*.'” Kreutz sprach damit zwar allgemein von „der“ Emigration, aber eigentlich meinte er den Emigranten Neumann, der „geneigt“ sei, „die ungemeinen Schwierigkeiten“, die Kreutz in der Nazizeit hatte, nicht wahrzunehmen. Kaiser und Bolbecher sagen, „eine Verständigung zwischen den Daheimgebliebenen und den Vertriebenen“ habe auch „nach dem Zusammenbruch Hitlerdeutschlands kaum stattgefunden.“ Die offenbar von Neumann abgebrochene Korrespondenz mit Kreutz (eine Antwort von Neumann findet sich nicht im KreutzNachlass) ist ein Beispiel für diese fehlende Verständigung zwischen im Land Gebliebenen und Emigranten. Immerhin waren Kreutz 16 _ZWISCHENWELT und Neumann ja näher miteinander bekannt: In einem Brief an Erich Bielka vom 17. Jänner 1969 erinnerte sich Neumann daran, dass er 1936 Kreutz in seinem Haus in Grundlsee besucht habe. Neumann schrieb, Rudolf Jeremias Kreutz sei ihm „aus jener Zeit eine sehr lebendige Erinnerung“.'7” Und Neumann sagte im gleichen Brief, dass er „so vielen Leuten in so vielen Beziehungen Unrecht getan“ habe. Kreutz war auch nicht der einzige, dem die Einladung zum im Juni 1947 stattfindenden Züricher PE.N.-Kongress „vorenthalten“ worden war. So hatte Neumann zu diesem Kongress Viktor Matejka und Edwin Rollett eingeladen, nicht aber Csokor und Alexander Sacher-Masoch.'’® Dabei hatte doch der „vorläufige Ausschuss“ des neuzugründenden österreichischen PE.N. 1946 Csokor ersucht, Präsident des neuen PE.N. zu werden, während Sacher-Masoch Sekretär werden sollte.' Und Sacher-Masoch war im Jänner 1947 davon ausgegangen, dass er mit Csokor nach Zürich „mitfahren“ werde.'°° Die Teilnahme am Züricher Kongress war Csokor und Sacher-Masoch deshalb so wichtig, weil sie hofften, dort die Neugründung des österreichischen PE.N. durchzusetzen'*, die — zwei Jahre nach Kriegsende - immer noch nicht erfolgt war. Csokor hielt es dabei für „ungerechtfertigt“, dass der Londoner PE.N. bei der Neugründung des österreichischen PE.N. „die gleichen Vorsichtsmaßregeln“ anwende wie bei der Neugründung des deutschen PE.N.: So habe doch „die Majorität des österreichischen PE.N.-Clubs 1933 protestiert, während der Deutsche BE.N.-Club, (wer von ihm noch da war) Hitler gehorsam, die Selbstauflösung verfügte“. Als Csokor dann erfuhr, dass Robert Neumann ihn und Sacher-Masoch nicht eingeladen hatte, telegraphierte er am 11. März 1947 an Sacher-Masoch: „ROBERT INTRIGIERTE.“'# In der Folge verzichteten Matejka und Rollett darauf, Neumanns Einladung anzunehmen. '* So konnten Csokor und Sacher-Masoch am Züricher Kongress teilnehmen, auf dem dann am 5. Juni 1947 die „Wiedererrichtung“ des österreichischen PE.N. beschlossen wurde.'® In seiner Rede vor dem Kongress am gleichen Tag hatte Neumann - so der Bericht von Sacher-Masoch — darauf hingewiesen, dass „viele Kollegen einen ehrenvollen Rang im österreichischen Widerstand eingenommen haben“.'?° Am 13. November 1947 wählte dann die Generalversammlung des österreichischen PE.N. Csokor zum Präsidenten, SacherMasoch zum Generalsekretär und Kreutz zu einem ihrer Vorstandsmitglieder; in dieser Sitzung wurde auch Theodor Kramer zusammen mit Hermann Broch, Ferdinand Bruckner, Elias Canetti und Berthold Viertel zum Ehrenvorstandsmitglied ernannt.'” In der Zeit des Ständestaates hatte Kramer in seinem schon erwähnten, mit „l. November 1933“ überschriebenen Gedicht diesen Imperativ formuliert: „Halt dich rein“.'#® Kramer hatte sich im Ständestaat und in der Nazi-Zeit „rein gehalten“. Es war damit auch Kramers Verdienst, dass der österreichische PE.N. am 5. Juni 1947 wiedererstehen konnte. Aber auch Kreutz hatte mit seiner Resolution von 1933 Anteil an diesem Erfolg. 9) Das Gedenken an Kreutz und sein literarisches Werk Rudolf Jeremias Kreutz starb am 3. September 1949 in Grundlsee.’ Er ist zusammen mit seiner Frau auf dem Grinzinger Friedhof begraben (Gruppe 10, Reihe G2, Nummer 6). Auf der Gedenktafel am Haus Neubaugasse 71 in Wien steht: „In diesem Hause wohnte der österreichische Dichter Rudolf Jeremias